Missing Link zu Smart Borders: Die Stadt der Zäune und das Land der Träume

Seite 3: Die Überfahrt auf der Fähre über den Ärmelkanal

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Auf dem Schiff herrscht enges Gedränge. Kasinos versprechen den Reisenden ein paar Stunden unbeschwerten Spielvergnügens. Laster im Staub fahren auf der Kaimauer entlang und bauen den Hafen aus. Es sind keine schwarzen Menschen auf dem Schiff zu sehen, nur weiße Menschen. „Wir würden Sie gerne auf das neue Parfüm „Joy“ von Christian Dior aufmerksam machen“, lautet die nachdrückliche Durchsage der Kabinenoffiziere durch die Lautsprecher. Hunderte von Menschen stehen auf einmal in der großen Kantine und stellen sich ordentlich mit ihren Tabletts und Besteck an. Es gibt Lasagne und Burger. Draußen auf dem Deck sieht man, wie die Kirchtürme von Calais langsam aus dem Blickfeld verschwinden. Nur anderthalb Stunden dauert die Überfahrt. Mindestens anderthalb Jahre campieren viele Flüchtlinge schon in Calais, um nach England zu gelangen.

Kohlendioxid ist ein geruchsloses Gas, das von der menschlichen Nase nicht wahrgenommen wird. Deswegen messen Sensoren das ausgeatmete Gas, nachdem der LKW durch den Terahertz-Scanner gefahren ist. Je schneller das Herz des Flüchtlings klopft und je rascher der Atem geht, umso höher steigt die Kohlendioxidkonzentration um den Körper eines Menschen herum, der sich im Inneren des Fahrzeugs versteckt hat.

Da normale Frachtgüter wie Europaletten oder Kartons kein Kohlendioxid emittieren, ist es leicht, einen Flüchtling zu entdecken. Die Techniker laufen um den Lastwagen herum und schieben eine lange dünne Röhre unter der LKW-Plane hindurch in das Fahrzeuginnere. Das Gerät saugt die Luft ein und bestrahlt die mit Infrarotlicht. Die CO2-Moleküle absorbieren das Infrarotlicht, und das Gerät misst, wie viele Infrarotstrahlen sich den Weg durch die Luft bahnen können. Misst der Scanner nur wenige Infrarotstrahlen, ist die CO2-Konzentration sehr hoch. Ein Flüchtling könnte sich im Lastwagen befinden.

Auf dem LKW-Deck dösen in roten Plastikledersesseln die Fahrer vor sich hin. Es sind ausschließlich Männer. Zwei niederländische Fahrer trinken Kaffee und schauen mich überrascht an. Ob Sie Erfahrung mit Migranten auf ihren Transporten haben? „Ständig werden wir von denen auf der Autobahn beobachtet“, sagt Chris, der für eine niederländische Speditionsfirma Pferdestroh und Holzspäne jeden Tag von Eindhoven nach England transportiert. „Deswegen stehen wir jede Nacht um 3 Uhr morgens auf, damit wir auf der Fahrt zum Ärmelkanal nicht an einer Raststätte anhalten müssen und einfach durchfahren können.“ Welche politische Lösung er favorisiere? „Es braucht einfach strenge Kontrollen. Höhere Strafen und härteres Durchgreifen gegen Migranten. Je mehr wir sie abschrecken, umso weniger werden kommen.“ Mittlerweile gebe es auch schon Speditionsfirmen, die die Überfahrt verweigern und eine rote Markierung „No UK“ auf ihrer Laster stehen haben. „Was mich wirklich empört, sind die hohen Gebühren, die die britische Regierung für uns vorgesehen hat. Keiner von uns möchte, dass sich Menschen wie Kletten an das Fahrzeug hängen.“ 2000 Euro Strafe verhängt die britische Regierung für das Delikt des Menschenschmuggels. Meistens trifft die Sanktion völlig ahnungslose LKW-Fahrer, die erst an der Grenze merken, dass sie nicht alleine im Fahrzeug sind. Für die britische Regierung ein lukratives Geschäft.

Ich frage einen britischen LKW-Fahrer, ob ich auf der Beifahrerseite seines Trucks durch die Hafenkontrolle herausfahren könnte, wenn das Schiff anlegt. Er schaut mich entsetzt an. „You are not getting on my truck“, sagt er und lässt mich einfach stehen.

(Bild: Port Boulogne Calais (Screenshot aus Video))

Erzeugen der Terahertz- und der Kohlendioxid-Scanner auffällige Werte, kommt es zu einer vierten und letzten Kontrolle. Hier müssen die LKW-Fahrer den Motor abstellen, aus der Fahrerkabine herabsteigen und alle Türen schließen. Günter Ludwig ist Techniker bei der Sälzer GmbH, die Herzschlagdetektoren mit dem Titel „Menschenleben schützen. Werte erhalten“ vertreibt. „Normalerweise werden die Geräte an der Ausgangsschleuse an Gefängnistoren angebracht“, erklärt er.

Der Herzschlagdetektor besteht aus vier seismographischen Mikrophonen, ähnlich denen, die für die Aufzeichnung von Erdbeben eingesetzt werden. Sie sind in der Lage, feinste Erschütterungen zu messen. Kauert beispielsweise ein Mensch auf dem Fahrzeugboden, misst der Herzschlagdetektor das Zittern des Fahrzeugbodens. Die feine Druckwelle die das Herz hervorbringt, erzeugt Schwingungen, die durch jedes Material im LKW-Anhänger weitergegeben werden, durch Seile, Lastwagenplanen oder Transportgegenstände. Je größer der LKW, umso mehr Sensoren müssen auf der Außenseite des Fahrzeugs angebracht werden. „Der Herzschlag verkoppelt sich mit jedem Objekt, mit dem der Körper Kontakt hat. Eine spezielle entwickelte Software wertet die Messungen aus und kann daraufhin innerhalb von 11 Sekunden feststellen, ob sich eine Person in einem Kfz befindet oder nicht“, erklärt Ludwig. Wenn die Detektoren keinen Alarm schlagen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kein Mensch oder ein toter Mensch ist im Fahrzeug. Der Hinweis „Bestanden“ leuchtet grün auf. Der LKW-Fahrer darf wieder einsteigen und weiterfahren.

Messen die Sensoren hingegen das Geräusch menschlichen Lebens, taucht auf dem Gerät, das der Zollbeamte in der Hand hält, ein großes Fenster mit dem Hinweis „Search!!!!“ auf. Daraufhin klettert ein Zollbeamter in den LKW und inspiziert ihn. Bei Regen und Windböen, dem typischen Hafenwetter, sind die Messungen der Mikrophone manchmal ungenau, da der Wind die Vibrationen des Herzschlags überdeckt.