NetzDG-Reform: Bundestag will Strukturen von Hetzern ermitteln​

Soziale Netzwerke mĂĽssen kĂĽnftig ĂĽberprĂĽfen, ob rechtswidrige Inhalte "bestimmte Nutzerkreise" besonders betreffen. Beschwerden von Nutzern werden einfacher.

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(Bild: Shutterstock)

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Der Bundestag hat am Donnerstag nach einjährigen Auseinandersetzungen eine erste größere Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) beschlossen. Damit sollen die Meldewege für Beschwerden nutzerfreundlicher und Auskunftsansprüche für gerichtliche Klagen durchsetzungsstärker werden. Für die Initiative stimmten die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD. Die AfD und die FDP waren dagegen, die Linke und die Grünen enthielten sich.

Über neue Transparenzregeln müssen Facebook, YouTube, Twitter & Co. künftig auch Angaben gegenüber Forschern machen, inwieweit die Verbreitung rechtswidriger Inhalte "zu spezifischer Betroffenheit bestimmter Nutzerkreise führt". Die erfassten Diensteanbieter sollen in öffentlichen Berichten darlegen, ob sie der Wissenschaft Hinweise über "organisierte Strukturen oder abgestimmte Verhaltensweisen" etwa von Hetzern gegeben haben. Solche Informationen könnten Forschern eine weitergehende "anonymisierte Auswertung" potenzieller gezielter Hasskampagnen ermöglichen, hoffen die Abgeordneten.

"Aus Rückmeldungen ist bekannt, dass sich strafbare Hassrede oft gegen bestimmte Gruppen richtet", heißt es dazu in der Begründung. Frauen und Minderheiten seien "in besonderer Weise" betroffen. Mit den erweiterten Hinweisen in den halbjährlichen Transparenzberichten könnten Wissenschaftler "systematische Analysen durchführen" und tiefergehende Erkenntnisse über das Gefüge von "Hasskriminalität" gewinnen.

Laut den Änderungen der Koalition am Entwurf der Bundesregierung können Forscher von den Betreibern zudem "qualifizierte Auskünfte" verlangen etwa über "Verfahren zur automatisierten Erkennung von Inhalten, die entfernt oder gesperrt werden sollen". Dabei gehe es etwa um Zwecke, Kriterien, Parameter und die Arten der verwendeten Upload-Filter. Auch über den Verbreitungsgrad von rechtswidrigen oder gemeldeten Beiträgen sind Angaben zu machen.

Voraussetzung ist, dass die Wissenschaftler ein Konzept zum Schutz der erbetenen Informationen vorlegen. Anbieter haben zudem Anspruch auf Erstattung der verursachten Kosten "in angemessener Höhe", wobei die Höchstgrenze in der Regel bei 5000 Euro liegt.

Dazu kommt ein "Gegenvorstellungsverfahren". Es soll bei unterschiedlichen Auffassungen zwischen einem Nutzer und dem Anbieter eines sozialen Netzwerks greifen, ob gemeldete Inhalte gelöscht werden müssen oder nicht. Die Betreiber werden so dazu verpflichtet, auf Antrag eines Mitglieds ihre Entscheidungen zum Entfernen oder Beibehalten von Beiträgen – auch aufgrund ihrer Geschäftsbedingungen – zu überprüfen und das Ergebnis gegenüber dem Betroffenen "in jedem Einzelfall zu begründen". Bei diesem "Put-Back-Mechanismus" sollen Facebook & Co. sicherstellen, "dass eine Offenlegung der Identität des Beschwerdeführers und des Nutzers in dem Verfahren nicht erfolgt".

Mit dem lange umstrittenen Gesetz gegen "Rechtsextremismus und Hasskriminalität" müssen Betreiber großer sozialer Netzwerke bestimmte schwerwiegende strafbare Inhalte nicht nur löschen, sondern zusammen mit zahlreichen Daten inklusive IP-Adresse und Portnummer an das Bundeskriminalamt weiterleiten. Hier haben CDU/CSU und SPD noch eine Klausel angefügt, wonach auch der Zeitpunkt des letzten Zugriffs des Nutzers und dessen Login-Name mit anzugeben ist. Dafür müssen die Anbieter einen synchronisierten Zeitstempel übermitteln.

Nutzer können künftig an den bereits zu benennenden "Zustellungsbevollmächtigten" der Betreiber auch Schriftstücke bei "Wiederherstellungsklagen" schicken. Vorgesehen sind ferner private Schlichtungsstellen bei Streitigkeiten, um diese schneller und für alle Beteiligten kostengünstiger beizulegen. Den Erfüllungsaufwand der neuen Pflichten für die Wirtschaft bezifferte die Regierung mit jährlich rund 2.3 Millionen Euro. Die Kosten für den Bund veranschlagte sie mit gut einer Million pro anno.

Schwarz-Rot hat eine Pflicht für die Anbieter eingeführt, die rechtliche Bedeutung der von ihnen vorformulierten Vertragsbestimmungen zum Löschen von Inhalten transparent darzustellen und zu erläutern. Dabei müssen sie auch darlegen, dass ihre Hausregeln nicht unwirksam sind und mit dem sonstigen Recht in Einklang stehen. Das Bundesamt für Justiz soll in einen Austausch mit den Landesmedienanstalten und der Kommission für Jugendmedienschutz treten, soweit Überschneidungen etwa zu Bewertungen illegaler Inhalte mit dem Landesrecht bestehen.

Bei einer Anhörung hatten Experten viel Kritik an der Initiative geübt. Beim Put-Back-Ansatz habe die Politik den Opferschutz übersehen, kritisierte etwa eine Google-Vertreterin. Es bestehe die Gefahr, dass ein Nutzer des Verfahrens aus Merkmalen wie dem Inhalt und den Begleitumständen von anderen identifiziert werden könnte. Deutschland führe mit der Novelle "seinen nationalen Sonderweg fort", monierte der IT-Verband Bitkom. Beim Versuch, die Nutzerrechte zu stärken, schieße der Gesetzgeber über das Ziel hinaus und schaffe "ein praxisfernes bürokratisches Ungetüm".

(vbr)