Schlagabtausch im Bundestag: Neue Vorratsdatenspeicherung rückt näher
Zwischen CDU/CSU und SPD war bei einer Debatte zum anlasslosen Protokollieren von IP-Adressen letztlich nur noch umstritten, wie lange gespeichert werden soll.
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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)
Vertreter der Fraktionen von CDU/CSU und SPD einerseits sowie von FDP und Grünen andererseits machten sich am Donnerstag im Plenum schwere Vorwürfe im Streit über eine Neuauflage der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung – diesmal zunächst beschränkt auf IP-Adressen. Die mittlerweile gescheiterte Ampel verweigere Strafverfolgern seit drei Jahren die nötigen Instrumente, um "Kinder aus der Hölle des sexuellen Missbrauchs zu retten", fuhr etwa Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher von CDU und CSU, schwere Geschütze auf. Union und SPD führten "in perfider Weise schlimmste Straftaten ins Feld" ohne Abwägung mit anderen Rechtsgütern, konterte Helge Limburg (Grüne). So würden alle Gegner der in die Grundrechte einschneidenden Maßnahme diskreditiert.
FDP will Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung verhindern
Den Abgeordneten liegen aktuell drei Gesetzesentwürfe zum Thema vor. Die FDP-Fraktion hat den Entwurf eines Gesetzes "zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung" eingebracht. Damit wollen die Liberalen den Quick-Freeze-Ansatz umsetzen. Auf diesen hatte sich die Ampel eigentlich prinzipiell geeinigt, er war aber nie über den Status eines Referentenentwurfs aus dem Justizministerium hinausgekommen. Die FPD will nun Nägel mit Köpfen machen und zugleich eine Neuauflage der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten verhindern.
Aus dem Bundesrat kommt ein Gesetzesantrag, mit dem die Länder für eine einmonatige "Mindestspeicherung" von IP-Adressen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität werben. CDU und CSU legen mit einem eigenen Gesetzentwurf eine Schippe drauf: Sie drängen auf das dreimonatige anlasslose Protokollieren von IP-Adressen nebst Portnummern sowie mehr Möglichkeiten zur Funkzellenabfrage alias Handy-Rasterfahndung.
Rhein kritisiert "systemische Straflosigkeit"
Andrea Lindholz (CSU) geißelte bei der hitzigen Debatte zur Kernzeit ein Versagen der FDP, der Grünen und von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der über den Kopf von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hinweg die IP-Adressenspeicherung zugunsten einer längeren Mietpreisbremse in einem Kuhhandel eingetauscht habe. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in jüngeren Urteilen ausdrücklich das verdachtsunabhängige Protokollieren von IP-Adressen im Kampf gegen mittlerweile schier jegliche Kriminalität gestattet. Diese Option "müssen wir im Interesse der Opfer und der Strafverfolgung auch unbedingt nutzen".
Mit Bezug auf sexuellen Kindesmissbrauch sprach der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) im Namen der Länderkammer von einem "Massenphänomen", dessen Aufklärung mithilfe von IP-Adressen oft dem Zufall geschuldet sei. Wer hier nicht für eine Mindestspeicherung sei, "verhindert de facto die Identifizierung der Täter" und ermögliche ihnen "systemische Straflosigkeit". Quick Freeze tat der Konservative als Etikettenschwindel ab. Das Bundeskriminalamt (BKA) habe dargelegt, dass bei einer einmonatigen Speicherfrist die Aufklärungsrate um 90 Prozent steige.
Eine "Sabotagepolitik der FDP" kritisierte Sebastian Fiedler (SPD). Angesichts "penetrierter Säuglinge" und Livestreaming solcher Bilder rund um den Globus würden damit die Opfer verhöhnt. Das Ausmaß dieser unbeschreiblichen Kriminalität sei "pandemisch". Er fragte: "Muss immer erst Blut auf der Straße liegen, so wie nach Solingen?" Die Sozialdemokraten könnten und wollten sich nicht auf das freiwillige Speichern der Zugangsanbieter verlassen, betonte auch Fiedlers Fraktionskollegin Peggy Schierenbeck. Quick Freeze "allein" sei keine hinreichende Alternative. Die SPD-Politiker Pars Marvi und Daniel Baldy gaben zu bedenken, dass eine Vorratsdatenspeicherung laut dem EuGH auf das absolut notwendige Maß beschränkt werden müsse. Drei Monate wären da riskant, ein Monat besser.
Immer wieder Sackgasse
Prinzipiell beschloss die SPD im September, eine neue Vorratsdatenspeicherung "ergebnisoffen" zu prüfen. Faeser kämpft aber weiter für das verdachtsunabhängige Protokollieren von IP-Adressen und zeigte sich am Mittwoch vor der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern zuversichtlich, hier zügig eine Einigung mit CDU und CSU hinzubekommen.
Nur Quick Freeze sei rechtssicher sowie grundrechts- und europarechtskonform, hoben die FDP-Abgeordneten Thorsten Lieb und Manuel Höferlin hervor. Dabei handle es sich um eine Anordnung zum Einfrieren nicht nur für vorhandene, sondern auch für künftig entstehende Verkehrsdaten. Die Große Koalition sei mit ihren Gesetzesbeschlüssen zur Vorratsdatenspeicherung mehrfach gescheitert, unterstrich Höferlin. Dieses Instrument, das letztlich aufgrund seines Übermaßes Vertrauen in staatliche Organisationen untergrabe, habe daher nie funktioniert und sei auch nie anwendbar gewesen.
Linke und AfD gegen Vorratsdatenspeicherung
Die Vorratsdatenspeicherung betreffe schier alle Menschen in diesem Land – auch Kinder im Internet sowie alle Unschuldigen, führte Limburg von den Grünen aus. Ein solcher Verfassungsbruch dürfe sich nicht fortsetzen. Die Union halte zudem Schaufensterreden, da Rhein & Co. im Bundesrat mehr Befugnisse für die Strafverfolger mit dem Sicherheitspaket "aus billigen parteitaktischen Erwägungen" blockiert hätten. Sein Parteikollege Marcel Emmerich erinnerte daran, dass auch der Kinderschutzbund eine rechtssichere Lösung und daher Quick Freeze wolle. Alles andere sei schlicht ein falscher Weg.
"Demokratie und Massenüberwachung passen nicht zusammen", erteilte auch die Linke Anke Domscheit-Berg den Initiativen von CDU/CSU und der Länder eine Absage. Stephan Brandner lehnte deren Gesetzesinitiativen im Namen der AfD "in Bausch und Bogen" ab, da sie "den perfekten Überwachungsstaat schaffen" wollten und in jedem Bürger einen potenziellen Verbrecher sähen. Die Entwürfe werden nun zunächst in den Ausschüssen weiter beraten, bevor eine zumindest schwarz-rote Ad-hoc-Koalition Nägel mit Köpfen machen könnte – noch vor der Bundestagswahl im Februar.
(mho)