YouTube-Videos: OLG erklärt Löschpflicht nach Digital Services Act und DSGVO​

Ein YouTube-Video könnte Persönlichkeitsrechte eines Mannes verletzen. Doch auch nach dem Digital Services Act muss YouTube nur in bestimmten Fällen löschen.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
"delete"-Taste

Wann ein Hostprovider Veröffentlichungen seiner Kunden löschen muss, und wann nicht, ist komplex. Das OLG Nürnberg urteilt ausführlich.

(Bild: Ervins Strauhmanis CC BY 2.0)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

YouTube muss einem Antrag auf Löschung eines Videos wegen behaupteter Verletzung von Persönlichkeitsrechten nur nachkommen, wenn die Rechtsverletzung unschwer erkennbar ist. Das sagt die bisherige Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes, und an dieser Rechtslage ändert auch die neue EU-Verordnung des Digital Services Act nichts. Das erläutert das Oberlandesgericht Nürnberg in einem Endurteil zugunsten YouTubes.

Leider lässt sich der wesentliche Sachverhalt dem veröffentlichten Urteil nur mühsam entnehmen. Im Zentrum steht ein in Farsi gehaltenes YouTube-Video eines in den USA lebenden Journalisten. Darin kritisiert er das Verhalten einer deutschen GmbH und dreier mit der Firma verbundener Männer als unredlich. Dieses Unternehmen vermittelt demnach Arbeitskräfte aus dem Iran an deutsche Arbeitgeber, wofür die Arbeitnehmer offenbar Gebühren zu bezahlen haben. Dabei würden die drei Männer den vermittelten Iranern "Geld aus der Tasche ziehen", rügt der Journalist.

Zudem gibt er an, dass zwei der namentlich Genannten, der nach außen nicht auftretende Teilhaber Professor R. sowie der öffentlich auftretende Manager und Teilhaber W., keine Fachkenntnisse in Arbeitsvermittlung hätten, die Firma an der angegebenen deutschen Adresse kein eigenes Büro unterhalte, keine Lizenz für Arbeitsvermittlungen habe, obwohl diese verpflichtend sei, und der Handelsregistereintrag "einen Haufen Betrügereien und Lügen" enthalte. Das Video wurde der Firma noch vor Veröffentlichung zugespielt.

Der Professor möchte sich solche Schelte nicht gefallen lassen und beanstandete im November 2020 zunächst über ein YouTube-Formular das damals bereits veröffentlichte Video. Noch am selben Tag reagierte YouTube mit der Frage nach den konkret inkriminierten Äußerungen und deren Zeitpunkt im Video. Ein halbes Jahr später ließ der Professor einen Anwaltsbrief an YouTube schicken, das wiederum mit Fragen nach Details antwortete. Zu einem im Urteil nicht genannten Zeitpunkt übermittelte der Antragsteller eine auszugsweise Übersetzung der beanstandeten Äußerungen an YouTube.

Ein weiteres halbes Jahr nach dem Anwaltsbrief ließ er YouTube eine Abmahnung mit der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung zukommen. Daraufhin sperrte YouTube das Video in Deutschland, gab die Unterlassungserklärung aber nicht ab. Der Professor ging zu Gericht und gewann in erster Instanz vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Dessen Urteil vom 14. November 2023 (Az. 11 O 7452/21) hat das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) nun umgedreht.

Demnach war YouTube nicht verpflichtet, das Video in Deutschland oder international zu sperren, weder nach dem neuen Digital Services Act (DSA), Artikel 6 Absatz 1, noch nach Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), wo das "Recht auf Vergessenwerden" festgeschrieben ist. Der Professor muss sich direkt mit dem Urheber des Videos auseinandersetzen, nicht mit YouTube. Zwar sei das Landgericht Nürnberg international zuständig, weil Firma und Professor in Deutschland ansässig sind. Doch sei nach wie vor Voraussetzung für eine Löschpflicht durch den an Videoproduktion und -auswahl unbeteiligten Hostprovider (hier YouTube), dass die behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen "unschwer erkennbar" seien. Und das sei hier nicht gegeben.

Zunächst erklärt das OLG die Grundsätze: Ein Hostprovider muss Videos nicht vorab prüfen, wird aber haftbar, sobald er Kenntnis von Rechtsverletzungen hat. Ob ein Video Persönlichkeitsrechte verletzt, hänge von einer Abwägung des Rechts des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit mit dem Recht des Providers auf Meinungs- und Medienfreiheit ab. Der Provider sei nur dann verpflichtet, etwas zu unternehmen, wenn die Beschwerde des Betroffenen "so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer – d.h. ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann."

Dann erläutert das OLG die unterschiedliche Einordnung von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen. Bei Tatsachenbehauptungen ist insbesondere deren Wahrheitsgehalt von Bedeutung: "Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht." Bei Meinungsäußerungen ist das komplexer: Angriffe auf die Menschenwürde sowie Formalbeleidigungen muss man nicht hinnehmen, das treffe auf den Fall aber nicht zu. Bei anderweitiger Kritik "kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an." Unternehmer müssten besonders dicke Haut haben: "Gerade im Geschäftsverkehr muss man sich auch scharfe und überzogen formulierte Kritik gefallen lassen", zitiert das OLG den Bundesgerichtshof (BGH) aus dessen Hochleistungsmagneten-Entscheidung.

Vorwürfe wie "Betrug" oder "Diebstahl" seien keine Tatsachenbehauptungen über Strafbarkeit, sondern Meinungsäußerungen. Es komme ausdrücklich nicht darauf an, ob die strafrechtlichen Definitionen erfüllt seien, oder, wie hier, ob Arbeitskräftevermittlung in Deutschland tatsächlich lizenzpflichtig ist: "...nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind rechtliche Bewertungen in der Regel als Meinungsäußerungen und nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren."