Zahlen, bitte! 335 Autos und eine Leinwand: Das erste Autokino
Das Auto mit Kino zu verbinden erbrachte neben so manch Nachwuchs auch kuriose Geschichten und den Betreibern viel Gewinn: Ein Blick zurĂĽck auf die Autokinos.
Die Geschichte des Autokinos ist voller Kuriositäten. Sie begann mit der Idee, eine Tankstelle und Raststätte mit einer Leinwand auszustatten, auf der Kunden Filme sehen konnten, während ihre Autos gepflegt wurden. Daraus entstand 1933 ein Patent auf die Erfindung des Autokinos, das nach fünf Jahren vom obersten Gerichtshof für ungültig erklärt wurde.
Im Boom der Nachkriegsjahre wurde das Autokino ein Aushängeschild der US-amerikanischen Kultur. Bereits das erste Autokino hatte eine Lizenz für den Betrieb einer Cafeteria, die im Slang der Kino-Betreiber "Profiteria" genannt wurde, weil sie für weitaus mehr Einnahmen sorgte als das Kinogeschäft.
Das erste Autokino wurde von Richard Hollingshead Jr. konstruiert und zum Patent als "Automobile Movie Theatre" angemeldet. Hollingsheads Vater hatte eine Firma für Autopolituren namens "Whiz Auto Products Company" aufgebaut und so experimentierte der 30-jährige Sohn als Nachfolger mit Mitteln und Wegen, die Produkte an den Mann zu bringen.
Erstes patentiertes Autokino eröffnete in New Jersey
Nach der erfolglosen Kombination von Tankstelle, Autowäsche und Kinobesuch fand das Autokino Zuspruch und so eröffnete Hollingshead Jr. im Jahre 1933 ein Autokino am Admiral Wilson Boulevard in Camden, New Jersey, nachdem er am 16. Mai 1933 das Patent Nr. 1.909.537 zugesprochen bekam. Mit von der Partie war ein Bauunternehmer, der das Gelände terrassierte und die Dosensuppenfirma Campbells. Die Projektionsfläche, eine weiß gekalkte Mauer, maß 12 × 15 Meter.
Das erste Autokino bot Platz für 335 Fahrzeuge und wurde gegen den erbitterten Widerstand der Theatre Owners of America (TOA) errichtet. Für den ersten dort gezeigten Film "Wives Beware" mit Adolphe Menjou in der Hauptrolle musste Hollingshead für eine 4 Tage-Ausleihe 400 Dollar bezahlen, während die Besitzer "richtiger" Kinos ihn für 20 Dollar pro Woche zeigen konnten. Das zwang ihn, mit einer Cafeteria für zusätzliche Einnahmen zu sorgen, weil der Eintrittspreis mit 25 Cent pro Wagen und jeweils 25 Cent pro Person festgelegt war -- Babys ausgenommen. In Zeitungsannoncen warb Hollingshead damit, dass junge Familien ihren "Toddler" im Schlafanzug auf dem Rücksitz mitnehmen und bei Bedarf füttern konnten, was wiederum zu einem Streik der Babysitter von Camden führte.
Nach drei Jahren wurde das erste Autokino geschlossen. Es gelang den Technikern nicht, den über Großlautsprecher ausgestrahlten Ton ausreichend genau mit dem Film zu synchronisieren. Überdies gab es Proteste der Anlieger, die den Ton noch in ca. drei Kilometern Entfernung hören konnten. Das wiederum durchkreuzte den Plan, neben der Vorstellung um 20:45 Uhr eine Spätvorstellung um 22:45 Uhr anzubieten. Erst mit einem von RCA und Hollingshead entwickelten Einhäng-Lautsprecher für die Seitenfenster wurde das Problem 1940 gelöst.
Autokino-Patent vom höchsten US-Gericht kassiert
Richard Hollingshead Jr. verlagerte seine Geschäftstätigkeit in eine Firma namens Park-In Theatres, die Lizenzen von anderen Autokinos verlangte. Das funktionierte bis 1939, als eine Firma namens National Amusements gleich 60 Autokinos eröffnen wollte und sich weigerte, das Patent anzuerkennen. Der Streit der Anwälte ging bis vor den Supreme Court und wurde von Hollingshead verloren: Die Richter befanden, dass ein Autokino einfach ein mit Autos gefülltes Kino ist und damit keine für ein Patent notwendige Erfindungshöhe vorliegt.
Der eigentliche Boom der "Ozoners", wie die vom Branchenblatt Variety getauften Freiluftkinos im Gegensatz zu den "Hardtops" hießen, begann in den Nachkriegsjahren parallel zum Babyboom. 1948 wurde in New Jersey ein kombiniertes Freiluftkino der anderen Art eröffnet, das Platz für 25 Flugzeuge (!) und 500 Autos bot. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung zählte man im Jahre 1957 insgesamt 3700 Autokinos aller Art, kombiniert mit weiteren Attraktionen wie Kinderspielplätzen, Fahrgeschäften oder gar Fischteichen für den Angelfreund.
1950 eröffnete mit dem Bel Air in Detroit das bis heute größte Autokino mit Platz für 2200 Fahrzeuge. Noch größere Plätze operierten mit mehreren Leinwänden als Freiluft-Multiplexe, was wieder mal für Tonprobleme sorgte: der Ton wurde via Autoradio zunächst auf Mittelwelle, dann auf UKW empfangen, für das die Kinos eine Sendelizenz haben mussten.
Fast Food und Zubehör bringen satte Zusatzgewinne
Seit dem ersten Autokino ist die zugehörige "Cafeteria" das Herzstück der gesamten Installation. Sie verkauft nicht alkoholische Getränke, Hamburger, Eiscreme und Mittel gegen Insektenstiche. Nach einer ernährungswissenschaftlichen Studie sollen die Cafeterien der Autokinos in den USA für die Verbreitung der Pizza abseits von italienischen Auswanderer-Vierteln in den Großstädten der USA verantwortlich sein. Unumstritten ist jedenfalls, dass die Cafeteria in vielen amerikanischen Autokinos die Haupteinnahmequelle war, vom Verkauf von Scheibenreiniger-Zusätzen von Hollingsheads "Whiz Auto Products" hin zu Mückenschutzmitteln. Entgegen der Saga erhielten nur sehr wenige Autokinos eine Lizenz für den Verkauf von Alkohol.
Mit den 60ern begann der langsame Niedergang der Autokinos. Die Erklärung, dass dafür die Knüppelschaltung verantwortlich war, die die durchgehende Sitzbank verdrängte, ist eine weitere Legende, genau wie Geschichten von der Love Lane, der letzten Reihe in den "Passion Pits", wie sie von Variety genannt wurden. Tatsächlich hielten sich die Autokinos erstaunlich lange über Wasser, indem sie sich auf B-Movies und vor allem auf Zombie-Filme setzten, die vom Auto aus gesehen noch unheimlicher wirkten. Der Regisseur und Produzent Roger Corman wurde so zum heimlichen Helden der Autokinos, auch wenn er den Titel "König der B-Movies" bis heute strikt ablehnt.
In seiner Geschichte der US-amerikanischen Autokinos weist Kerry Segrave nach, dass es die explodierenden Grundstückspreise in den Vorstädten waren, die zum Niedergang der Kinos führten. Schlagartig waren die riesigen Flächen in Stadtnähe gelegen Gold wert. Gab es 1982 noch 2129 Autokinos in den USA, so waren es 1987 nur noch 999. Heute sind weniger als 200 in Betrieb, weil viele mit ihren Kinos alt gewordene Besitzer auf die Abschaffung des 35 Millimeter-Films im Jahre 2013 mit der Schließung des Kinos reagierten. Die Investitionen in die neue Digitaltechnik war ihnen zu hoch.
Erstes deutsches Autokino eröffnet 1960 in Gravenbruch
In Westdeutschland eröffnete 1960 das erste erfolgreiche Autokino im hessischen Gravenbruch in unmittelbarer Nähe zu Standorten der US-Armee. Es ist bis heute in Betrieb. In Ostdeutschland startete 1977 das Autokino Zempow.
Besucher der verblichenen CeBIT in Hannover können sich vielleicht an eine ungewöhnliche Parkordnung erinnern, da das Autokino zu Messezeiten als Parkplatz diente. Von den dort zum Film servierten Cheeseburger schwärmt manch ein Kinofan noch heute – galten sie um Längen besser als die von McDonalds und Co.
In der Coronakrise erlebten die Autokinos aufgrund der Kontaktbeschränkungen ein Revirement. In ihnen wurden sogar Hochzeiten und Gottesdienste gefeiert oder die Zeugnisse übergeben. Die Presse begleitete das kurze Zwischenhoch mit Ratschlägen, den Spannungsprüfer parat zu haben: Ins Kino durfte, wer 12,4 bis 12,7 Volt gemessen hatte: moderne Autos haben schicke Entertainment-Konsolen an Bord, können aber nicht das olle Autoradio über einen Spielfilm hinweg mit Energie beliefern. Erste Autokinos bieten übrigens Ladesäulen für E-Autos in der ersten Reihe. Eine halbwegs aktuelle Liste der existierenden Autokinos ist in dieser Meldung aus Hameln zu finden
Wie prickelnd Sex im Autokino zu sein vermag, ist der frommen IT-Redaktion natürlich nicht bekannt – Zumindest nicht offiziell! Da wir uns aber besser mit Filmen auskennen als mit schlüpfrigen Dementis, endet dieses "Zahlen, Bitte!" mit der berühmtesten Autokino-Nicht-Liebesszene. Videoschnipsel aus dem Film "Grease": Sandy steigt aus. Aber später wurde alles wieder gut.
(mawi)