Die Mehrheit der Bewerber will nicht gesichtslos sein

Aus Angst davor, in den Verdacht der bewussten Diskriminierung zu geraten, verzichten viele Unternehmen bewusst darauf, Fotos von Bewerbern anzufordern. Die Mehrheit will soviel Anonymität aber gar nicht.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) soll sicherstellen, dass niemand wegen seines Alters, seines Geschlechts, seiner Religion oder anderer persönlicher Ansichten und Eigenschaften diskriminiert werden kann. Allerdings wird das AGG bisweilen auch überstrapaziert: erst kürzlich wurde ein Unternehmen verklagt, weil die Personalabteilung eine Bewerberin im Antwortbrief mit "Sehr geehrter Herr..." angesprochen hatte und sich die Dame dadurch "diskriminiert" fühlte.

Für Schlagzeilen sorgte auch eine Pilotstudie, die seit November 2010 in fünf Unternehmen, darunter auch die Deutsche Telekom, läuft. Dabei sollen Bewerber ausschließlich anhand ihrer Qualifikation bewertet werden. Name, Geschlecht, Alter, Herkunft und Familienstand werden den Entscheidern nicht vorgelegt. Und auch auf ein Foto des Bewerbers oder der Bewerberin wird ebenfalls verzichtet. Der Versuch soll zeigen, ob Frauen, ältere Menschen oder Bewerber mit Migrationshintergrund es eher zu einem Bewerbungsgespräch schaffen, wenn diese persönlichen Details fehlen. Mit anderen Worten: ob sie ansonsten bei der Vorauswahl tatsächlich diskriminiert werden. Die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen deuten jedenfalls darauf hin: Frauen mit Kindern, ältere Menschen oder Bewerber mit ausländisch klingenden Namen haben laut einer Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) grundsätzlich schlechtere Karten als die restlichen Mitbewerber. Ein Blick auf Foto, Name und Familienstand genügt und der Kandidat ist raus – egal, wie gut er in seinem Job auch sein mag.

Aber natürlich will sich kein Unternehmen vorwerfen lassen, dass die Vorauswahl der Kandidaten vor allem auf Vorurteilen gegenüber diesen Gruppen beruht und in der Personalabteilung nicht nach Qualität, sondern nach Lust und Laune vorgesiebt wird. Ein heikles Thema also, das viele Unternehmen übervorsichtig agieren lässt – zumindest beim öffentlichen Auftritt. So fordern viele Firmen aufgrund der bisherigen Erfahrungen in ihren Stellenausschreibungen kein Foto des Bewerbers mehr an. Wie eine aktuelle Umfrage von stellenanzeigen.de zeigt, schicken 63,5 Prozent der Bewerber aber trotzdem immer auch ein Foto mit. Das gehört ihrer Meinung nach zu einer "richtigen Bewerbung" einfach dazu. 19,4 Prozent sehen es pragmatisch: "Wer kein Foto verlangt, bekommt auch keins von mir", lautet ihre Antwort. 17,1 Prozent wollten die Entscheidung pro oder contra Bewerbungsfoto vom jeweiligen Job oder Arbeitgeber abhängig machen. Mit anderen Worten: sie schicken nur ein Bild mit, wenn sie sich davon einen Vorteil im Bewerbungsverfahren versprechen.

Tatsächlich gehört auch für die meisten Personalchefs ein Foto dazu. Und keins mitzuschicken, bringt auch wenig, solange man sein Profil auf Bildern bei Xing & Co. in die Kamera hält – da muss der Personalchef ja einfach nur mal googeln. (Marzena Sicking) / (map)
(masi)