Gebrauchtsoftware: Ja, aber …

Seite 4: Sieger und Verlierer

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Sieger und Verlierer

Bei näherer Betrachtung zeigt sich ein differenzierteres Bild. Ganz konkret ist die Ansage aus Luxemburg erst einmal ein Erfolg für UsedSoft und eine Niederlage für Oracle – obgleich diese erst dann wirklich besiegelt sein wird, wenn der BGH sein noch zu erwartendes Urteil spricht. Verbindlich für den Rechtsstreit wird nämlich tatsächlich dieses Urteil sein, das durch die EuGH-Entscheidung weder überflüssig gemacht noch ersetzt wird.

Auf Seiten von Softwarenutzern gibt es für allzu lauten Jubel jedoch keinen Anlass. Größere Unternehmen werden schon mal an dem Nein zur Lizenzenaufspaltung wenig Freude haben – gerade die ist bei industriellen Anwendern besonders relevant. Außerdem ging es bei dem gesamten Streit immer nur um dauerhaft überlassene Software. Sobald die Überlassung in anderer Form stattfindet – also zeitlich begrenzt, über ein Mietmodell oder in Koppelung mit einem Dienstvertrag –, ist eine Übertragbarkeit weiterhin von den vertraglichen Vereinbarungen im Einzelfall abhängig, in der Praxis also meistens ausgeschlossen.

Der in Luxemburg ansässige Europäische Gerichtshof hat drei Fragen des deutschen Bundesgerichtshofs zum Verbreitungsrecht bei Download-Software beantwortet – jetzt ist der BGH wieder am Zug.

Hinzu kommt ein wichtiger Umstand, den man bei oberflächlicher Betrachtung des Streits leicht übersieht: Auch wenn Gebrauchtverkäufer und Zweiterwerber mit ihrem Handel keine Urheberrechte verletzen, bedeutet dies nicht, dass der EuGH ihnen damit ein Anrecht auf handelbare Gebrauchtsoftware verschafft hätte. Eine solche Gerichtsentscheidung, so groß auch ihre Signalwirkung ist, verpflichtet Hersteller zu gar nichts. Sie können ihr Interesse an einer Eindämmung des Gebrauchtmarktes nicht mit den gewünschten urheberrechtlichen Mitteln durchsetzen, aber das ist schon alles. Niemand verpflichtet sie, ihre Produkte so zu gestalten, dass diese sich sinnvoll weiterverkaufen lassen. So etwas wie einen Anspruch darauf, wiederverkaufbare Software zu erstehen, gibt auch der EuGH den Softwarekäufern nicht. Genau in diesem Sinne ist die Entscheidung aber vielfach missverstanden worden.

Was das in der Praxis bedeuten kann, zeigt beispielsweise die relativ geschlossene Welt der iOS-Apps: Der Weiterverkauf einer per App Store erworbenen Anwendung würde der Luxemburger Entscheidung zufolge nicht die Urheberrechte des App-Entwicklers verletzen. Aber der ursprüngliche App-Erwerber hätte nach dem von Apple konzipierten System – jedenfalls ohne Jailbreak – ohnehin keine Möglichkeit, eine erworbene App isoliert weiterzugeben. Ebenso wenig wie ein Entwickler rechtlich verpflichtet ist, den Gebrauchthandel mit seinen Apps zu ermöglichen, kann der Luxemburger Urteilsspruch Apple als bloßen Anbieter des Betriebssystems und der Hardware zwingen, die iOS-Welt nun so zu gestalten, dass eine Weitergabe von Apps technisch möglich wird. Was Apple recht ist, ist Microsoft billig: Die im Windows Store für Windows 8 gekauften Apps unterliegen einem Individualisierungsmechanismus. In den Bereichen, in denen ein Gebrauchtmarkt für Software bisher schon nicht praktikabel war, wird er also wohl auch weiterhin ein frommer Wunsch von Käufern bleiben.

DRM, Aktivierung & Co.

Überhaupt nicht käuferfreundlicher wird die Situation in dem wachsenden Feld individualisierungsbedürftiger Software. Waren es zunächst nur Registrierungszwänge, über die Käufer sich ärgerten, bürgerten sich bald Online-Aktivierungsmechanismen und andere Maßnahmen des Digital Rights Management ein, die im Wesentlichen alle die Wirkung hatten, dass eine Übertragung eines einmal registrierten, aktivierten oder sonst wie individualisierten Software-Exemplars auf einen Zweitkäufer praktisch nicht mehr möglich ist. Im Computerspielebereich arbeiten heute bereits die meisten größeren Hersteller zumindest mit einer Account-Bindung jedes Exemplars. Dessen Besitzer kann seine Software nur nutzen, wenn er einen persönlichen Account bei einem Online-Server eingerichtet und das Spiel dort angemeldet hat. Vielfach ist dadurch selbst bei nicht netzgestützten Spielen eine ständige Online-Verbindung des Spieler-PC erforderlich, was immer wieder für Ärger sorgt.

Dass der BGH die Möglichkeiten von Softwareherstellern einschränken wird, den Gebrauchtmarkt auf technischem Weg auszutrocknen, ist unwahrscheinlich. Im Februar 2010 hat das höchste deutsche Zivilgericht mit seiner Entscheidung zum Spiel Half-Life 2 die immer beliebtere Bindung von Softwareexemplaren an Online-Accounts für zulässig erklärt. Das Produkt des US-Herstellers Valve wird bei der Installation an den Steam-Account des Spielers gebunden. Ein späterer Weiterverkauf würde die Übertragung des ganzen Accounts erfordern, was praktisch schon deswegen nicht geschieht, weil auch für andere Spiele dort Eintragungen vorliegen. Dasselbe gilt für Spiele, die an DRM-Systeme wie Electronic Arts' Origin und Ubisofts Uplay gebunden sind. Nach Auffassung des BGH ist es durchaus mit der Erschöpfung des exklusiven Verbreitungsrechts vereinbar, dass ein Softwarehersteller auf technischer Ebene die Nutzbarkeit nach einem Weiterverkauf einschränkt. Gerade weil das Gericht sich in diesem Zusammenhang bereits ausdrücklich zum Verhältnis von Erschöpfungswirkung und Weiterverkaufbarkeit geäußert hat, wird auch die Entscheidung des EuGH nichts an dem Dilemma individualisierungsbedürftiger Software ändern.

Kein „Großer Bruder“

Ein verbreiteter Irrtum in dieser Hinsicht ist die Annahme, dass der EuGH als übergeordnete Instanz mit seiner Entscheidung das Half-Life-2-Urteil des BGH obsolet machen würde. Richtig ist zwar, dass der BGH die Antworten beachten muss, die er aus Luxemburg auf seine Fragen zum Fall von Oracle und Used-Soft erhalten hat. Richtig ist aber auch, dass er als souveränes Gericht die Frage in diesem Rechtsstreit letztlich allein ausurteilen darf und wird.

Der EuGH steht nicht einfach hierarchisch über dem BGH, sondern gewissermaßen daneben. Als höchstes deutsches Zivilgericht entscheidet letzterer über Rechtsfragen nach deutschem Recht. Der EuGH hingegen liefert bindende Entscheidungen etwa zum Verständnis von Richtlinien. Deutsche Gerichte legen dem EuGH Fragen hinsichtlich der Auslegung des Rechts der Europäischen Union vor. Der EuGH beantwortet diese Fragen, und die nationalen Gerichte berücksichtigen die so erhaltenen Antworten und entscheiden souverän die Fälle auf Basis des gesamten relevanten Rechts.