Pflichten, Fristen und Formen

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Gesetze machen Gesetze

Das LG Halle mag in der Sache durchaus Recht haben – das amtliche Muster kommt in der Frage des Fristbeginns möglicherweise etwas zu unbestimmt daher. Die weitere Entwicklung hat jedoch dafür gesorgt, dass es jetzt schwerfallen dürfte, seine Formulierung deshalb auch gleich für nichtig zu erklären.

Die Muster-Widerrufsbelehrung wurde durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen Ende 2004 neu gefasst. Etliche Juristen neigen dazu, dem solchermaßen geadelten Muster nunmehr Gesetzesrang einzuräumen, womit derjenige, der sich daran orientiert, automatisch auf der sicheren Seite wäre [7].

So sieht es auch das LG Münster und zieht hieraus in einem Urteil vom August 2006 folgende Schlüsse: "Im Hinblick darauf, dass die BGB-InfoV durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. 12. 2004 Gesetzesrang erhalten hat, steht § 14 BGB-InfoV mit §§ 355, 312d Abs. 2 BGB … auf einer Ebene. Dies hat zur Folge, dass ein Gesetzesverstoß in Bezug auf die Widerrufsbelehrung dann zu verneinen ist, wenn die … verwendete Widerrufsbelehrung dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1, 3 BGBInfoV entspricht." [8]

Obwohl sich kurz darauf auch das LG Flensburg dieser Rechtsauffassung anschloss [9], wäre es verfrüht, bereits von einer gesicherten Rechtsprechung zu reden. Denn namentlich das Kammergericht Berlin scheint die Linie des LG Halle weiter zu verfolgen, indem es auch die aktuelle Musterwiderrufsbelehrung – sofern sie zu Zwecken der vorvertraglichen Information verwendet wird – als unzureichend geißelt [10].

Dabei setzt das Kammergericht sich allerdings überhaupt nicht mit den logischen Konsequenzen des Problems auseinander – etwa der Frage, ob bei seiner Betrachtung noch die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gewahrt bleibt. Fachleute neigen dazu, die in dem Berliner Kammergerichtsbeschluss zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung mit Vorsicht zu genießen. Für wirkliche Klarheit würde jedoch wohl nur ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BHG) sorgen können.

Textform und Widerrufsfrist

Während der Streit um die Musterwiderrufsbelehrung vorrangig den Beginn der Widerrufsfrist zum Thema hat, wird an anderer Stelle darum gestritten, welche Widerrufsfristen überhaupt im Online-Handel gelten. Dem Gesetz lässt sich hierzu Folgendes entnehmen: Nach § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt grundsätzlich eine Widerrufsfrist von zwei Wochen, sofern der Verbraucher vor oder spätestens bei Vertragsschluss "in Textform" über das ihm zustehende Widerrufsrecht (einschließlich des Beginns und der korrekten Dauer der Widerrufsfrist) informiert wird. Wenn die ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung dem Verbraucher erst nach Vertragsschluss mitgeteilt wird, beträgt die Widerrufsfrist einen Monat (§ 355 Abs. 2 Satz 2 BGB).

Wird dem Verbraucher keine – oder eine falsche – Widerrufsbelehrung erteilt, dann beginnt die Widerrufsfrist überhaupt nicht zu laufen. Ein Widerruf ist in diesem Fall auch noch nach langer Zeit, theoretisch sogar nach Jahren möglich, sofern der Widerrufende nicht durch das hemmungslose Ausnutzen dieser Situation seinerseits den Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben verletzt.

Die vom Gesetz geforderte "Textform" bedeutet nicht einfach bloß irgendwelche lesbaren Buchstaben, sondern eine "dauerhaft zugängliche" Form. Das LG Kleve erklärt, eine Belehrung etwa auf einer Website, die der Kunde selbst nach seinem Belieben sofort ausdrucken und auf seinem Computer speichern könne, erfülle diese Anforderung noch nicht [11]. Ein Brief, ein Fax oder auch eine verschickte E-Mail hingegen können vom Unternehmer nicht nachträglich geändert werden und entsprechen somit einer "dauerhaften Textform".

Wenn man von Fällen einer nicht erfolgten oder falschen Widerrufsbelehrung einmal absieht, haben die gesetzlichen Regelungen zur Folge, dass beim Handel im Rahmen eines konventionellen Online-Shops andere Widerrufsfristen gelten als bei Verkäufen auf Plattformen wie eBay: Während es beim gewöhnlichen Shop ohne weiteres möglich ist, Kunden bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht nur im Web, sondern auch per Mail, Fax oder Post über ihr Widerrufsrecht zu informieren, besteht diese Möglichkeit bei eBay & Co. grundsätzlich nicht, da der Vertragspartner hier erst zum Zeitpunkt des Auktionsablaufs feststeht – oder in dem Moment, in dem er per Mausklick einen Sofortkauf durchführt. Dann ist aber eine Widerrufsbelehrung des Vertragspartners in der geforderten "Textform" erst nach Vertragsschluss möglich.

Das wiederum hat nach § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Folge, dass die Widerrufsfrist eben nicht mehr zwei Wochen, sondern einen Monat beträgt. In diesem Sinne jedenfalls hat schon vor dem LG Kleve auch das Berliner KG und Ende August 2006 das Hanseatische Oberlandesgericht entschieden [12].