Umsatzsteuerfestsetzung nach 10 Jahren rechtlich zweifelhaft

Nachdem ein Steuerprüfungsverfahren gegen ihn eingeleitet und dann aus internen Gründen unterbrochen worden war, hat der Verdächtige nicht mehr mit Post vom Finanzamt gerechnet. Die kam dennoch, allerdings erst nach 10 Jahren. Zu spät, sagen die Richter.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Das Finanzamt und die Steuerfahnung haben ein besonders langes Gedächtnis, diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber das nach 10 Jahren Funkstille eine Umsatzsteuerfestsetzung nachgereicht wird, ist doch etwas ungewöhnlich. Der betroffene Steuerzahler hat damit jedenfalls nicht mehr gerechnet.

Im Oktober 1998 war gegen den Mann ein Strafverfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen des Verdachts der Umsatzsteuer-Hinterziehung. Auch die Steuerfahndung wurde aktiv, nachdem man festgestellt hatte, dass der Beschuldigte und seine Frau 1993 anonym 390.000 (damals noch) DM nach Luxemburg transferiert hatten. Es wurden zunächst Ermittlungen bei Banken durchgeführt. Im Dezember 1998 wurde die Steuerfahndungsprüfung aus internen Gründen unterbrochen und erst im November 2008 fortgesetzt. Bis zur Schlussbesprechung vergingen nochmal eineinhalb Jahre und erst im Mai 2010 wurden dem Mann geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1991 bis 1995 zugestellt.

Das wollte dieser nicht mehr hinnehmen und stellte wegen der langen Prüfungsdauer einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Dieser wurde vom Finanzamt abgelehnt. Dagegen klagte der Steuerzahler vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz und begründete den Antrag auf Aussetzung damit, dass zum Zeitpunkt der geänderten USt-Bescheide im Mai 2010 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Außerdem lägen die Gründe für die Unterbrechung des Verfahrens schließlich allein beim Finanzamt.

Das Finanzamt rechtfertigte sich damit, dass die Prüfung 1998 wegen Überlastung der Prüferin habe unterbrochen werden müssen. Dabei habe zwischen den Beteiligten Einigkeit bestanden, dass die Festsetzungsverjährung unterbrochen und eine Änderung der Steuerfestsetzungen noch möglich sei. Außerdem sei hinsichtlich sämtlicher Steuerfestsetzungen der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, danach gelte die erweiterte zehnjährige Festsetzungsverjährung.

Der Umsatzsteuersenat des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt (17. Dezember 2010, Az.: 6 V 1924/10). Begründet wurde dies unter anderem damit, dass im Streitfall die Besonderheit gelte, dass sich die Einleitung des Strafverfahrens ausdrücklich nur auf die Umsatzsteuer für das Jahr 1992 beziehe. Aus den dem Gericht vorliegenden Akten sei nicht erkennbar, dass die Prüfung im Jahr 1998 auf die Umsatzsteuer der übrigen Streitjahre erweitert worden sei, das heißt, die umsatzsteuerlich relevanten Sachverhalte seien ausnahmslos erst nach der Wiederaufnahme der Prüfung ermittelt worden. Damit sei für die Jahre 1991 und 1993 bis 1995 Festsetzungsverjährung eingetreten.

Die Aussetzung der Vollziehung sei aber auch im Hinblick auf eine eventuelle Verwirkung geboten. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Einleitung eines Strafverfahrens zur Unterbrechung der Festsetzungsverjährung ohne weiteres ausreichend. Die Unterbrechung der Verjährung dauere nach dieser Rechtsprechung fort, bis die Prüfung beendet und aufgrund der Prüfung Steuerbescheide erlassen würden – ohne zeitliche Begrenzung. Das Finanzgericht äußerte jedoch Bedenken und verwies auf die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur überlangen Verfahrensdauer. In der Sache Nr. 17878/04 hatte der Gerichtshof mit Urteil vom 11. Juni 2009 eine Verfahrensdauer von 10 Jahren für alle Instanzen als zu lang erachtet, auch unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles. Aus weiteren Urteilen ergebe sich, dass diese Rechtsprechung nicht ausschließlich für Gerichtsverfahren gelte.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestünden erhebliche rechtsstaatliche Bedenken. Im Streitfall müsse außerdem berücksichtigt werden, dass die Dauer der Unterbrechung allein auf interne Probleme beim Finanzamt zurückzuführen sei. Ebenso wie die Gerichte ihren Bürgern keine überlange Verfahrensdauer zumuten dürften, dürfe auch eine Eingriffsverwaltung – wie die Steuerbehörden – den Bürger belastende Verfahren nicht unbegrenzt ausdehnen. Auch soweit der BFH ausführe, dass Ausgang und Zeitpunkt der Beendigung des Strafverfahrens für die Ablaufhemmung ohne Belang seien, müsse hinterfragt werden, ob dies auch gelten könne, wenn – wie im Streitfall – aufgrund der langjährigen Prüfungsunterbrechung Strafverfolgungsverjährung eingetreten sei und deshalb der eigentliche Zweck der Einleitung des Strafverfahrens, nämlich die Strafverfolgung, nicht mehr erreicht werden könne.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des FG Rheinland-Pfalz wurde nicht zugelassen. (Marzena Sicking) / (map)
(masi)