Die X-Akten der Astronomie: KIC 8462852 - von großen und kleinen Abtauchern

Unsere Reihe über astronomische Anomalien endet mit KIC 8462852. Der Stern mit seinen Verdunkelungen regte weithin zu Spekulationen über Megastrukturen an.

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Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Dank immer besserer Technik, innovativen Ansätzen und internationaler Kooperation erlebt die Astronomie eine Blüte. Doch während viele Beobachtungen dabei helfen, Theorien zu verfeinern oder auszusortieren, gibt es auch immer wieder Entdeckungen, die einfach nicht zu passen scheinen. Mysteriöse Signale, mutmaßliche Verstöße gegen Naturgesetze und – noch – nicht zu erklärende Phänomene. In der Öffentlichkeit wird dann gerne darüber diskutiert, ob es sich um Spuren außerirdischer Intelligenz handelt, Wissenschaftler wissen, dass es am Ende fast immer eine natürliche Erklärung gibt. Aber überall wird die Fantasie angeregt.

In einer Artikelserie auf heise online werden wir in den kommenden Wochen einige solcher astronomischen Anomalien aus einer jüngst vorgestellten Sammlung vorstellen und erklären, warum alle Erklärungsversuche bislang an ihnen scheitern.

Die X-Akten der Astronomie

Im letzten Teil unserer X-Akten geht es noch einmal um Fixsterne. Eine große Klasse von Sternen ist veränderlich; sie ändern periodisch oder auch unregelmäßig ihre Helligkeiten. Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen für solche Helligkeitsschwankungen, wie etwa sich gegenseitig bedeckende enge Doppelsternpartner, solche die sich aufgrund temperaturabhängiger Transparenz innerer Schichten periodisch aufblähen und wieder zusammenziehen, und solche, die sich bisweilen in Staub einhüllen, um nur die wichtigsten Klassen zu nennen.

In den vergangenen Jahren wurden jedoch mehrere Sterne gefunden, deren Helligkeitswechsel unerklärlich scheint. Eine Reihe von Erklärungsversuchen wurden bemüht – natürlich auch die unvermeidlichen Dyson-Sphären – aber keiner ist wirklich überzeugend. Was steckt also wirklich hinter den "Great Dippern" und "Random Transitern"?

Um astronomische Entdeckungen zu machen, braucht man kein Teleskop. Man muss nicht einmal Wissenschaftler sein. Jeder kann teilnehmen, zum Beispiel an einem Zooniverse-Projekt. Dort stellen Forscher Datensätze, die zu umfangreich sind, als dass sie diese selbst sichten könnten, der Öffentlichkeit zur Auswertung zur Verfügung. Denn menschliche Augen und menschlicher Verstand erkennen mehr, als auswertende Computeralgorithmen. Nach der Registrierung für ein ausgewähltes Projekt und einer kurzen Schulung geht es ans Klassifizieren. Was ist dieses oder jenes für ein Objekt? Welchen Typ hat diese Galaxie? Welche Objekte im Bild haben sich bewegt? Hat die Lichtkurve dieses Sterns eine Delle?

1,6 Millionen Freiwillige haben sich angemeldet, um die die meist in Form von Bildern oder Graphen präsentierten Daten zu durchforsten, unentgeltlich und einfach aus Freude daran, die Wissenschaft mit ihrem persönlichen Einsatz ein wenig weiter zu bringen. Mit etwas Glück können sie sogar ein wenig Ruhm erlangen und in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung als Mitautor landen. Wie Adam Szewczyk, Daryll LaCourse und neun weitere Amateurforscherinnen und -forscher auf einer Arbeit der Hauptautorin Tabetha S. Boyajian aus dem Jahr 2015.

Das von der Yale-Professorin Debra Ann Fischer ins Leben gerufene Zooniverse-Projekt "Planet Hunters" hatte zum Thema, die Lichtkurven des Weltraumteleskops Kepler nach den dezenten Spuren von Verdunklungen zu durchsuchen, die auf vor einem Mutterstern vorbeiziehende Planeten schließen lassen, falls wir von der Erde aus zufällig auf die Kante der Umlaufbahn um den Stern blicken (Transitmethode). Kepler hatte vom 13. Mai 2009 bis zum 12. Mai 2013 ein Feld von rund 190.000 Zielsternen im Sternbild Schwan angestarrt und die Helligkeiten aller Sterne jede halbe Stunde (zum Teil auch alle 5 Minuten) mit 30 ppm (parts per million) Genauigkeit gemessen.

Das war auch notwendig, denn ein Planet wie die Erde mit 1/109 Sonnendurchmesser verdeckt im Transit vor einem Stern wie der Sonne nur 1/109² = 0,000084 = 0,0084 % = 84 ppm der Sonnenfläche mit einem entsprechend kleinen Verlust an Helligkeit. Wobei die meisten Sonnenflecken deutlich größer als die Erde sind, aber entsprechende Flecken auf Sternen verursachen andere Formen der Lichtkurven, zum Beispiel weil ein Fleck am Rand des Sterns perspektivisch gestaucht stark elliptisch erscheint und langsam kreisförmiger wird, wenn die Rotation ihn zur Sternmitte hin dreht. Planetensilhouetten sind immer kreisförmig und sie bewegen sich im Allgemeinen viel schneller (binnen Stunden) vor dem Stern vorbei, als ein Sternfleck über die sichtbare Sternhemisphäre rollt (binnen Tagen oder Wochen).

Der Planet Merkur (kleiner dunkler Punkt halb links vor der Sonnenscheibe) bei seinem Transit vor der Sonne am 9. Mai 2016. Oberhalb der Bildmitte eine kleine Sonnenfleckengruppe. Das Weltraumteleskop Kepler suchte nach solchen Transits von Planeten vor den Scheiben von 190.000 Zielsternen im Sternbild Schwan. Anders als hier zu sehen sah Kepler die Sterne nur als Punkte und musste alleine aus der minimalen Verdunklung durch die Abschattung einer winzigen Fläche des Sterns auf den Planeten rückschließen. Auf diesem Bild bedeckt Merkur etwa 30 ppm der Sonnenfläche. Das entsprach der Helligkeitsauflösung von Kepler.

(Bild: Eigene Aufnahme, © Alderamin)

Die Milliarden von Einzelmessungen wurden von verschiedenen Algorithmen nach "Dips", also kleinen Dellen, durchsucht. Solche Dellen in der Lichtkurve sollten symmetrisch sein – eine Planetenscheibe verursacht beim Austritt von der Sternscheibe eine spiegelsymmetrische Veränderung zum Eintritt. Außerdem sollten sie U-förmig sein: die Helligkeit sinkt rasch ab, während der Planet vom ersten Kontakt mit dem Sternrand bis zu seinem vollem Durchmesser vor die Sternscheibe tritt, und geht dann langsam noch ein wenig nach unten, während er sich vom verdunkelten Rand des Sterns näher zur helleren Mitte hin bewegt, bevor sich der Ablauf in Richtung Austritt umkehrt. Nach größeren Verdunklungen suchten die Algorithmen erst gar nicht, sie konnten von veränderlichen Sternen, aber nicht von Planeten herrühren.

Wohl deshalb war es ein Teilnehmer von "Planet Hunters", der Amateurastronom Adam Szewczyk aus Toronto, dem 2011 ein asymmetrisches, V-förmiges, 0,5 Prozent tiefes, vier Tage andauerndes Lichtkurvenprofil des Sterns KIC 8462852 vom 21. Mai 2009 auffiel, nur eine Woche nach Missionsbeginn, das er im Talk-Chatboard der Planet Hunters erwähnte (KIC steht für den "Kepler Input Catalog", der die Zielsterne enthält). Der Planet-Hunters-Veteran Daryll LaCourse, der schon zehntausende Lichtkurven evaluiert hatte, fand den "Dip" (Delle, Verdunklung) in der Lichtkurve ebenfalls höchst merkwürdig und benachrichtigte per E-Mail Dr. Tabetha Boyajian, die während ihrer Postdoc-Tätigkeit in Yale die Kommunikation zu den Planet Hunters hielt. Sie hielt das Signal zunächst für einen Messfehler, aber die Planet Hunters hatten die Lichtkurve schon mehreren auf der Webseite verfügbaren Plausibilitätstests unterzogen, die sie alle bestanden hatte. Die Profis hatten zwar keine Erklärung für die seltsame Verdunklung, aber schließlich suchten sie nach Planeten, und das hier sah nicht so aus wie einer. Daher wurde der Fall zunächst zu den Akten gelegt.

Vom Weltraumteleskop Kepler aufgezeichnete Lichtkurve des Sterns KIC 8462852. Oben: gesamte Lichtkurve während der Keplermission von Mai 2009 bis Mai 2013. Die Tagesskala auf der x-Achse zählt ab dem 1. Januar 2009. Zehn Verdunklungen ("Dips") sind markiert. Unten links: Vergrößerung von Dip Nr. 5. Man erkennt einen asymmetrischen Verlauf, wie er bei einer Bedeckung durch einen Planeten nicht zu erwarten wäre. Unten rechts: Vergrößerung des Ausschnitts um Dips 7 bis 10. Das völlig unregelmäßige Muster ist schwer zu erklären.

(Bild: Boyajian et al., arXiv)


Am 5. März 2011, 792 Tage nach Missionsbeginn, verursachte KIC 8462852 einen erneuten Helligkeitseinbruch, diesmal von satten 16 Prozent seiner Helligkeit – ein Planet hätte 40 Prozent des Sterndurchmessers haben müssen, um eine so starke Verdunklung zu verursachen. Eigentlich war dies aber schon die 5. Delle in der Lichtkurve, man fand weitere in den ersten beiden Beobachtungsjahren von Kepler, weniger tief und vollkommen aperiodisch, anders als für einen kreisenden Planeten zu erwarten wäre. Dip Nummer 6 folgte dann nach 1206 Tagen am 21. April 2012, und am 5. Februar läutete Dip Nr. 7 eine Folge von vier Verdunklungen binnen 90 Tagen ein. Die letzten drei extrem unregelmäßig, bis zu 21 Prozent tief und mit Zwischenmaxima, bevor der Ausfall des zweiten von 4 Drallrädern die Kepler-Primärmission zu einem abrupten Ende brachte. Das Weltraumteleskop konnte später zwar in einem speziellen Modus wieder fit gemacht werden, musste sich dazu allerdings neue Zielfelder (mit der Sonne im Rücken) suchen, sodass KIC 8462852 nicht mehr beobachtet werden konnte.