Ausgeliefert: Lieferando bewirbt Hate-Profil auf Google Maps

Über Wochen warb eine Lieferando-Anzeige auf Google Maps prominent für ein Döner-Restaurant mit dem vorgeblichen Namen "Kotz Alanya Gammelfleisch" in Hannover.

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(Bild: Google Maps, bearbeitet durch heise online)

Lesezeit: 8 Min.
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Lust auf Döner? Wie wärs mit etwas vom Kotz Alanya Gammelfleisch, dem Top-Döner-Restaurant in Hannover? Es war auf Google Maps einer der prominentesten Orte in der Region und wurde bereits beworben, wenn man sich auch nur für das Umland der niedersächsischen Landeshauptstadt interessierte. Werbung für Gammelfleisch-Döner, wer macht denn sowas? Das fragte sich die Redaktion verwundert, als wir zufällig auf die Anzeige stießen.

Man erkennt solche Werbeanzeigen daran, dass sie in Google Maps mit einem quadratischen Symbol statt der sonst üblichen tropfenförmigen Markierung angezeigt werden. In unserem Fall war es ein orangefarbenes Quadrat mit weißem Besteck als Symbol für ein Restaurant, was vor dem Firmennamen "KOTZ ALANYA Gammelfleisch GbR" stand. Näher herangezoomt entpuppte sich der auffällige Eintrag als "Anzeige von Lieferando". Sollte etwa der größte deutsche Essenslieferdienst auf Google Maps eine Schlammschlacht mit einem möglicherweise abtrünnigen Partnerrestaurant austragen? Oder hatte sich jemand als Lieferando ausgegeben und aus Spaß eine Werbung für einen fiktiven Döner-Imbiss geschaltet?

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Die letzte Frage beantwortete uns unmittelbar Google Maps: Die Werbung wurde tatsächlich von Lieferando beauftragt und bezahlt, genauer gesagt von der niederländischen Muttergesellschaft Just Eat Takeaway.com. Google habe die Identität des Werbetreibenden sogar verifiziert. In der höchsten Zoom-Stufe von Google Maps war außerdem zu erkennen, dass es an der gleichen Adresse wie der "Kotz Alanya Gammelfleisch GbR" das Firmenprofil eines "Öz Alanya Döner & Restaurant" gab. Ein Besuch vor Ort bestätigte: Das Öz Alanya ist echt, und nein, dort gibt es kein Gammelfleisch. Wir haben probiert!

Das in unmittelbarer Nähe platzierte Fake-Profil sorgt in niedrigeren Zoom-Stufen dafür, dass der Originaleintrag des Öz Alanya von der Werbeanzeige verdeckt wird.

(Bild: Google Maps)

Wir sprachen die Betreiber des Öz Alanya auf die merkwürdige Google-Maps-Anzeige an und fragten, ob man sich vielleicht im Streit mit Lieferando befinde. Nein, man habe keine Schwierigkeiten mit Lieferando, man zeigte uns sogar das betriebsbereite Lieferando-Terminal unter der Theke. Aber man kenne die diffamierende Anzeige bereits seit einigen Wochen und habe bislang vergeblich versucht, zuletzt mit anwaltlicher Hilfe, sie aus der Welt zu schaffen.

Wir wandten uns mit den Screenshots aus Google Maps direkt an Lieferando Deutschland und baten um eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte, dass Lieferando diese rufschädigende Anzeige beauftragt hat. Einen solchen Fall habe man noch nicht gehabt, antwortete Pressesprecher Oliver Klug, er sei ebenso verwundert. In die Aufklärung schaltete sich auch die niederländische Muttergesellschaft Just Eat Takeaway ein. Deren Pressesprecherin Janina Baldin entschuldigte sich für den Vorfall, die Recherchen mit zwei verantwortlichen Teams von Google hätten ergeben, dass es sich um ein gefälschtes Firmenprofil gehandelt haben müsse.

Just Eat Takeaway nehme keinen Einfluss auf die Firmenprofile von Partnern und bearbeite diese auch nicht: "Unsere Anzeigenschaltung in den Unternehmensprofilen unserer Partner erfolgt automatisch auf Basis von übereinstimmenden, validierten Adressdaten." Für weitere Details, etwa welche Angaben übereinstimmen müssten, damit ein Firmenprofil auf Google Maps automatisch auf Rechnung von Lieferando beworben wird, verwies man uns an Google.

Google bestätigte in seiner Stellungnahme gegenüber c’t, dass es sich bei dem in der Anzeige beworbenen Firmenprofil um eines gehandelt habe, das die Richtlinien verletzte, weshalb es entfernt wurde. Ein solches Firmenprofil lässt sich mit jedem beliebigen Google-Account innerhalb von wenigen Minuten anlegen. Gemäß Google-Richtlinien durchläuft es jedoch erst einen nicht näher spezifizierten Prüfungsprozess, bevor es schließlich auf Google Maps öffentlich angezeigt wird. Wer das Firmenprofil der "Kotz Alanya Gammelfleisch GbR" angelegt hat, offenbarte Google genauso wenig wie Details zum Prüfungsprozess beziehungsweise zum Abgleich der von Lieferando gestellten Adresslisten und Firmenprofile bei Google: Da "Kriminelle diese Informationen häufig nutzen, die Bemühungen [Googles] zu untergraben", werde man sich nicht zu Details äußern.

Der Internetriese war auch nicht bereit zu bestätigen, ob eines der von uns recherchierten Angriffsszenarios genutzt wurde. Insofern können wir den Fall nicht lückenlos rekonstruieren. Das nach unseren Ergebnissen wahrscheinlichste Szenario ist, dass das diffamierende Firmenprofil von einem enttäuschten Kunden oder einem Konkurrenten zunächst mit dem korrekten Namen "Öz Alanya" angelegt wurde. So überstand der Eintrag die obligatorische Prüfung, die vor der Freischaltung durch Google erfolgt. Erst als das Profil öffentlich war, änderte der Täter den Firmennamen in "Kotz Alanya Gammelfleisch GbR".

Den Google-Richtlinien zufolge hätte der Eintrag nun erneut geprüft werden müssen. Wir vermuten, dass dies entweder automatisiert oder durch eine Person ohne ausreichende Deutschkenntnisse passierte, weshalb "Kotz" und "Gammelfleisch" nicht als diffamierend und damit unzulässig erkannt wurde. Dass Google die Einträge durchaus auch automatisiert prüft, bestätigte man uns in der Stellungnahme. Denkbar ist auch, dass die Änderung als geringfügig eingestuft und deshalb nur automatisch und nicht von einem Menschen geprüft wurde.

Für Geschädigte stellt sich die Frage, bei wem die Verantwortung für eine solche Diffamierungskampagne liegt, schließlich steht hier ein möglicher Schadensersatzanspruch im Raum. Google schob Just Eat Takeaway als Werbetreibenden vor, der für die Anzeige bezahlte. Dort ist man sich jedoch keiner Schuld bewusst, denn man habe das Firmenprofil nicht für die Werbekampagne ausgewählt und sieht die Schuld bei Googles Algorithmus, der den Abgleich zwischen Partnerunternehmen Lieferandos und den Firmenprofilen übernimmt.

Google schiebt die Verantwortung für die diffamierende Werbeanzeige auf die Lieferando-Mutter Takeaway. Takeaway wiederum sieht die Schuld bei Google, ein Algorithmus hätte eigenständig das gefälschte Firmenprofil beworben.

(Bild: Google Maps)

Nach Einschätzung unseres Juristen müssen Betroffene ihren Schadensersatzanspruch bei dem demjenigen geltend machen, der das diffamierende Profil erstellt hat. Doch auch dazu wollte sich Google nicht äußern: "Wann und wer das Unternehmensprofil mit dem falschen Firmennamen erstellt hat, ist uns von Google nicht mitgeteilt worden", so die Stellungnahme von Just Eat Takeaway gegenüber c’t.

Doch auch Google ist in der Verantwortung, spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem man Kenntnis von einem eindeutig rechtswidrigen Eintrag bekommen, ihn jedoch nicht entfernt hat. Doch das kann dauern, im Fall des Öz Alanya wurde das gefälschte Profil erst entfernt, nachdem sich die Pressestelle von Just Eat Takeaway eingeschaltet hatte.

Dabei mussten wir uns auf die Angaben der Lieferando-Mutter verlassen, denn Außenstehende können nicht feststellen, ob es auf Google Maps nicht doch eine ähnlich geschäftsschädigende Werbeanzeige gibt. Google Maps nutzt personalisierte Werbung, zeigt gewisse Anzeigen also nur dann an, wenn es ein entsprechendes Nutzerinteresse vermutet. So bekamen wir die Anzeige für die "Kotz Alanya Gammelfleisch GbR" zunächst lediglich im Browser angezeigt, nicht jedoch auf unserem iPad. Andere wiederum bekamen die Werbung auch auf dem Smartphone zu sehen. Dass man bei einer zufälligen Kontrolle keine unerwünschte Werbung sieht, bedeutet also nicht, dass es keine gibt.

Unser Rat lautet: Nicht nur Firmen, sondern auch Ärzte, Freiberufler und alle anderen mit einem Google-Maps-Eintrag sollten regelmäßig in höchster Zoom-Stufe die nähere Umgebung nach gefälschten Profilen absuchen. Der Zoom-Faktor ist deshalb entscheidend, damit Google Maps einander überlappende Einträge nicht automatisch ausblendet. So können Sie sich zumindest sicher sein, dass Ihr eigenes Firmenprofil nicht von einer gefälschten Werbeanzeige überdeckt wird, wie es im Fall des Öz Alanya der Fall war.

Für Franchise-Unternehmen, zu denen auch Lieferando zählt, ist die Lage problematisch. Solange unklar ist, welche Kriterien beim Abgleich der Adresslisten mit den Firmenprofilen auf Google Maps erfüllt werden müssen, laufen sie Gefahr, auch in Zukunft unwissentlich Fake-Firmenprofile zu bewerben und so ihren Partnerunternehmen zu schaden. Hier müssen Franchise-Geber darauf vertrauen, dass ihre Partner selbst regelmäßig nach etwaigen gefälschten Profilen suchen.

Doch gefälschte Firmenprofile können auch weit abseits des eigentlichen Firmensitzes gefährlich sein. Ein Angreifer könnte etwa mitten in einer Großstadt ein falsches Firmenprofil anlegen und prominent bewerben, um Kunden auf eine ebenfalls gefälschte Website zu locken. So gelingt es etwa Phishern immer wieder, auf Google Maps sogar falsche Polizeidienststellen oder Sparkassenfilialen überall in der Welt einzutragen und freizuschalten. Google ist sich des Problems bewusst, man nutze "eine Kombination aus menschlichen Bedienern und branchenführender Technologie, um rund um die Uhr betrügerische Inhalte genau zu überwachen und Muster für potenziellen Missbrauch zu identifizieren". So habe man allein in 2022 rund 20 Millionen Versuche unterbunden, gefälschte Firmenprofile anzulegen. Warum trotz allem eine "Kotz Alanya Gammelfleisch GbR" nicht auffiel, bleibt Googles Geheimnis.


(mid)