Tempo 30 vs Verkehrsfluss: Experten kritisieren geplante StVG-Novelle

Das geplante neue Straßenverkehrsgesetz soll Kommunen mehr Möglichkeiten einräumen, den Verkehr zu regeln. Unter Experten ist der Entwurf umstritten.

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(Bild: Gena Melendrez/Shutterstock.com)

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Die geplante Reform des Straßenverkehrsgesetzes stößt unter Experten aus unterschiedlichen Beweggründen auf Kritik. Als zwei Enden der Spannweite der Besserungswünsche traten in einer Anhörung im Bundestag zu der StVG-Novelle beispielsweise die Interessenvertreter der Fahrrad- und der Autofahrer auf. Auch kamen grundsätzliche verfassungsrechtliche Aspekte zur Sprache.

Nach der StVG-Reform, wie sie bisher geplant ist, sollen Länder und Kommunen neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs in der Straßenverkehrsordnung auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigen können. Dadurch sollen Kommunen in Deutschland Tempo-30-Zonen und Sonderfahrspuren leichter einführen können als bisher.

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An dem bisherigen Gesetzentwurf bemängelte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), die neuen Ziele würden nicht gleichrangig zur "Leichtigkeit des Verkehrs" behandelt. Der Mensch und seine Interessen müssten im Mittelpunkt stehen, "nicht das Kraftfahrzeug", sagte Angela Kohls, Leiterin Verkehrspolitik im ADFC. Kommunen müssten ohne bürokratischen Hürdenlauf verkehrsberuhigte Bereiche, Fußgängerwege und lückenlose Radwegenetze einrichten können. Tempo-30-Regelungen müssten auch an Hauptverkehrsstraßen möglich sein, ohne sich an Unfallzahlen oder einer Gefahr für Leib und Leben orientieren zu müssen.

ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand sprach sich dafür aus, die Gefahrenabwehr als vorrangiges Ziel anzusehen. Dem folge der Entwurf aber nicht, weil er weitere gleichrangige Ziele vorsehe. Diese Zielsetzungen gebe es aber in anderen rechtlichen Grundlagen bereits ausreichend. In eine ähnliche Richtung argumentierte der Verfassungsrechtler Professor Michael Brenner. Der Umwelt- und Gesundheitsschutz dürfe nicht über die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gestellt werden, schließlich handele es sich um das Straßenverkehrsrecht. Alle Belange, auch Umweltrecht oder der Schutz der Gesundheit, müssten in einen gerechten Ausgleich gebracht werden, sagte Brenner.

Professor Stefan Klinski von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin hingegen meinte, Belange des Umwelt- und Klimaschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung fielen auch in die Gesetzgebungskompetenz "Straßenverkehr". Diese Kompetenz umfasse nicht nur, Gefahren im Straßenverkehr zu mindern und abzuwehren, sondern auch von Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehen. Verfassungsrechtlich sei es sogar geboten, Klimaschutzbelange zu berücksichtigen.

Stefan Grieger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), regte an, das neue StVG in einem Obersatz den Anspruch auf Schutz aller Verkehrsteilnehmer voranzustellen. Er meinte nämlich, dass der "Vision Zero" zu wenig Platz eingeräumt werde. Sie besagt, dass niemand durch einen Verkehrsunfall getötet oder schwer verletzt werden soll. Auch Thomas Kiel d'Aragon als Vertreter des Deutschen Städtetages forderte eine stärkere Ausrichtung an dieser Vision, damit "Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit bereits präventiv ergriffen werden können und nicht erst bei einer nachteiligen Entwicklung des Unfallgeschehens".

Kiel d'Aragon meinte zudem, die StVG-Novelle ermächtige nicht dazu, die StVO zu ändern, sondern lediglich dazu, einzelne Bestimmungen zu erlassen, die Klimaschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung beinhalteten. "Das ist nur eine ganz kleine Schublade", sagte der Kommunalvertreter. Auch Markus Brohm vom Deutschen Landkreistag sieht keine gestärkten Entscheidungsmöglichkeiten. Für ihn erscheint es ebenfalls dringend erforderlich, die Vision Zero im Gesetz zu verankern, wie es auch der Bundesrat gefordert habe. Der Rad- und Fußverkehr sollte begleitet von Geschwindigkeitsbegrenzungen begünstigt werden dürfen – "innerorts wie außerorts", betonte Brohm.

Für den Rechtsanwalt Roman Ringwald würden durch den Gesetzentwurf althergebrachte Gesichtspunkte der Sicherheit und der Leichtigkeit des Verkehrs nicht hinwegfegt. Vielmehr würden Aspekte der Lebenswirklichkeit gesetzlich ernst genommen. Gegenüber dem Status quo liefere die StVG-Neuregelung eine deutliche Verbesserung. In einem zweiten Schritt müsse nun die StVO so angepasst werden, "dass vor Ort anders und freier entschieden werden kann".

Einen weiteren Aspekt brachte Carsten Benke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks ein. Wenn es keine Möglichkeiten gebe, gewerbliche Fahrzeuge abzustellen, würden ansässige Betriebe verdrängt. Das widerspräche dem Leitbild der verkehrsreduzierenden nutzungsgemischten Stadt. Der wichtige Anteil des Handwerks bei Erhalt, Entwicklung und Versorgung nachhaltiger Siedlungsstrukturen sollte sich deshalb angemessen im Straßenverkehrsrecht widerspiegeln, sagte er.

(anw)