Verbraucherschützer: Wo Internet draufsteht, muss auch Internet drin sein

Im Vorfeld einer Abstimmung über die Reform des US-Telekommunikationsrechts haben Senatoren und zivilgesellschaftliche Gruppen einen bunten Strauß an Ansätzen zur "Netzneutralität" vorgestellt.

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US-Senatoren und zivilgesellschaftliche Gruppen haben im Vorfeld einer Abstimmung im US-Kongress neue Ansätze für die Sicherung eines mehr oder weniger offenen Internet vorgestellt. Im Kern geht es um die Streitfrage der "Netzneutralität", also um das Prinzip eines den Datenverkehr unterschiedslos behandelnden Breitbandnetzes. Anlass für die Auseinandersetzungen ist das Drängen großer US-Breitbandanbieter und mittlerweile auch einiger europäischer Carrier, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter zur Kasse zu bitten. Die Carrier wollen Möglichkeiten erhalten zur unterschiedlichen Behandlung des Datenverkehrs in ihren Backbones, abhängig beispielsweise von Quelle, Dienst und Bandbreitenhunger. So könnten sie dann Datenverkehr etwa von besser zahlenden Kunden bevorzugt behandeln oder Konkurrenz für ihre Festnetze durch VoIP-Anbieter an den Rand drängen. Die Gegner dieses Vorhabens pochen auf die Gleichbehandlung allen Traffics im offenen Internet – unabhängig von Ausgangspunkt oder Inhalt der Datenpakete.

Der jüngste Entwurf des US-Senats für den Consumer's Choice and Broadband Deployment Act (PDF-Datei), mit dem das US-Telekommunikationsrecht umfassend novelliert werden soll, sieht nun in der Frage der Netzneutralität eine gesonderte "Bill of Rights" für Internetnutzer vor. Diese Rechteerklärung geht den Verfechtern der Netzneutralität aus den Reihen der großen Webanbieter und der Aktivistenvereinigungen aber nicht weit genug. Zwei neue Vorschläge zur Güte haben Nichtregierungsorganisationen ins Spiel gebracht.

Die neue Senatsvorlage, über die am Donnerstag im Wirtschaftsausschuss des gesetzgeberischen Gremiums verhandelt werden soll, enthält neun Prinzipien zur Absteckung der Nutzerrechte. Diese wollen es Verbrauchern etwa gestatten, jegliche rechtmäßigen Inhalte ins Netz zu stellen oder darauf zuzugreifen. Einschränkungen bei der Auswahl etwa von Suchmaschinen oder von Programmen zum Abspielen von Musik- oder Videodateien soll es nicht geben. Mit der Ausnahme von Software fürs Netzwerkmanagement oder anderer Schutz- und Sicherheitsapplikationen gesteht der entsprechende Paragraph den Nutzern das Recht zu, alle legalen Geräte ans Netz anzuschließen. Internetanbieter würden zudem verpflichtet, im Breitbandbereich einen "nackten" Hochgeschwindigkeitszugang ohne eine Bündelung mit Telefon- oder TV-Paketen im Sinne des viel beschworenen Triple-Play-Ansatzes zu offerieren.

Befürworter strengerer Netzneutralitäts-Regeln, die im Web unter der Parole Save the Internet sowie neuerdings auch als "It's Our Net"-Koalition auftreten und von Firmen wie Amazon, eBay, Google, Microsoft oder Yahoo gefördert werden, zeigten sich unzufrieden mit der Erklärung. Ihrer Ansicht nach könnten Telekommunikationskonzerne und TV-Kabelanbieter das Internet damit nach wie vor aufteilen in teure Luxusbahnen und Feldwege. Sie vermissen im Senatspapier insbesondere Sanktionsinstrumente für die Regulierungsbehörde, die Federal Communications Commission (FCC).

Im Senat ist die neue Entwurfsversion ebenfalls umstritten. So hatte die republikanische Senatorin Olympia Snowe gemeinsam mit ihrem Kollegen Byron Dorgan von den Demokraten bereits im Mai einen Vorstoß zu einem Internet Freedom Preservation Act (PDF-Datei) in Form eines Änderungsantrags zur COPE-Gesetzgebung gemacht. Er will es Breitbandanbietern untersagen, den Zugang zu bestimmten Inhalten zu blockieren. Die Netzbetreiber würden auch daran gehindert, spezielle Vereinbarungen mit Inhalteanbietern für die schnellere oder garantierte Übertragung ihrer Daten abzuschließen.

Die Unterstützer des Korrekturvorschlags wollen ein "Zwei-Klassen-Internet" verhindern. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Senat, der Republikaner Ted Stevens, hatte vergangene Woche aber deutlich gemacht, dass er gegen derartige Regulierungsauflagen für Breitbandanbieter ist. Es ist daher unklar, ob über das Gesetz zur Bewahrung der Internetfreiheit überhaupt abgestimmt wird. Im US-Repräsentantenhaus ist ein vergleichbarer Antrag des Demokraten Ed Markey Anfang Juni gescheitert.

Das Center for Democracy and Technology (CDT) setzt sich derweil dafür ein, das "essenzielle Internet" zu bewahren. Die Bürgerrechtler sprechen sich in ihrem Diskussionspapier (PDF-Datei) für einen "eng zugeschnittenen" Regulierungsansatz aus. Im Prinzip sollen Breitbandanbieter verpflichtet werden, alle Internetinhalte zu gleichen Dienstvereinbarungen ohne Priorisierung zu übertragen. Das CDT will den Netzbetreibern gleichzeitig aber die Möglichkeit einräumen, gleichsam über gesonderte private Teile ihrer Strippen Dienste mit Sondervereinbarungen anzubieten. Darüber könnte etwa eine besonders schnelle Durchleitung von Video- oder VoIP-Daten erfolgen.

In eine ähnliche Richtung geht das Plädoyer einer Gruppe besorgter Professoren, Berater, Entwickler, Unternehmer und Rechtsexperten. Unter der Führung des Aktivisten Seth Johnson von der Vereinigung New Yorkers for Fair Use wollen sie die herkömmlichen Internetstandards im Sinne der Netzneutralität aufrecht erhalten wissen. Dazu haben sie einen konkreten Entwurf für einen Internet Platform for Innovation Act ausgearbeitet. Seine Unterstützer, zu denen Daniel Berninger von Tier1 Research, Pamela Samuelson von der Berkeley-Universität oder David Weinberger vom Harvard Berkman Center gehören, wollen den Telcos und Kabelanbietern generell alle Sonderwege offen halten. Netze, die nicht auf einem offenen und diskriminierungsfreien Zugang basieren, dürfen ihrer Ansicht nach aber nicht mehr als "Internet" vermarktet werden. Zuwiderhandlungen sollen als "Täuschungsmanöver" rechtlich verfolgt werden.

Andernfalls befürchten sie, dass das bestehende System zum Entwickeln von Spezifikationen und Standards für das Internet über Requests for Comments (RFCs) "von ein paar großen Providern und Netzwerkausrüstern verworfen und durch unternehmerische Ermächtigungen ersetzt würde". Der Verlust einer offenen, einheitlichen und voraussagbaren Plattform würde auch die Innovation auf den höheren Ebenen des Netzes "einquetschen". Einen "dritten Weg" zur Netzneutralität hat überdies die Information Technology and Innovation Foundation (ITIF) ins Spiel gebracht.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)