Europaratsempfehlung zu Internet-Filtern geplant

Im Grunde wolle man aufzeigen, dass Filtermaßnahmen im Konflikt mit der Meinungs- und Informationsfreiheit stehen, erläuterte Matthias Traimer vom Europarat. Providervertreter warnten zudem vor dem "falschen Paradigma" des Providers als Gatekeeper.

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Von
  • Monika Ermert

Der Europarat will in Kürze eine Empfehlung zu Filterprogrammen fürs Internet vorlegen. Der vom Steering Committee on Mass Media and Communicaton Technology vorbereitete Text soll in einer der nächsten Sitzungen vom Ministerkomitee verabschiedet werden. "Es wird das erste internationale Rechtsinstrument zu Filtersoftware sein," sagte Matthias Traimer, Leiter des Steering Committees des Europarats, beim Internet Governance Forum (IGF) der UN in Rio de Janeiro. Eine bindende Wirkung hat die Empfehlung nicht, aber sie formuliert laut Traimer Anforderungen an die häufig kritisch betrachtete Filtersoftware. "Im Grunde will der Europarat aufzeigen, dass Filtermaßnahmen in einem Konflikt mit dem verbrieften Recht auf Meinungs- und Inforamationsfreiheit stehen, die wir in der Menschenrechtskonvention des Europarats haben", erklärte Traimer, der auch der Uni Graz lehrt. Der Europarat als weit über die EU hinausreichender Staatenbund hat sich in Rio an zahlreichen Veranstaltungen zu den Themen Meinungsfreiheit, Jugendschutz, Datenschutz, aber auch Cybercrime beteiligt und viele mit organisiert.

Ein besonderes Augenmerk richtet die Empfehlung auf Anforderungen zur Transparenz von Filtersystemen. Grundbedingung sei, dass dem Nutzer überhaupt bewusst sein müsse, dass ein Filter arbeitet. Die Gefahr eines zu weitgehenden Blockens von Seiten müsse deutlich sein. Hersteller von Filtermaßnahmen müssten in speziellen Trainings sensibilisiert und aufgeklärt werden über den unvermeidbaren Konflikt zwischen dem Freiheitsrecht auf der einen und dem Schutzanspruch von Eltern oder Lehrern auf der anderen Seite. "Wir sind nicht grundsätzlich gegen Filter", meinte Traimer. "Sie können ein wichtiges Instrument sein im Sinne der Selbstregulierung." Allerdings sei darauf zu achten, dass Filtersoftware von privaten Herstellern nicht zum Hüter einer bestimmten Meinungsmacht werde.

Mit der Filterempfehlung, mit der man sich an private und öffentliche Akteure richte, rufe man auch die rechtlichen Anforderungen an jegliche Einschränkung der Meinungsfreiheit in Erinnerung, heißt es beim Europarat. Solche Einschränkungen müssen vom Gesetz vorgesehen und verhältnismäßig sein; sie müssten zudem Rechenschaft über die vorgenommenen Eingriffe ablegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, an den Klagen gegen potenziell unrechtmäßige Eingriffe gerichtet werden können, habe bereits festgestellt, dass jegliche Einschränkungen nur auf der Basis "drängender gesellschaftlicher Notwendigkeit" möglich sind. Inwieweit aktuell eingesetzte Filtermaßnahmen beim Anlegen der Europaratsstandards zu Transparenz und Verhältnismäßigkeit durchfallen, lässt sich allerdings erst entscheiden, wenn die endgültige Empfehlung Anfang kommenden Jahres vorliegt.

Große Bedenken zu dem von der britischen Regierung geförderten Programm Cleanfeed, mit dem durch providerseitiges Filtern Kinderpornographie geblockt werden soll, äußerte Malcolm Hutty vom Europäischen Providerdachverband EuroISPA, der auch als Public-Affairs-Chef beim Austauschknoten LINX arbeitet. Das von BT entwickelte Programm, für dessen universellen Einsatz sich die britische Regierung einsetze, verhindere aber lediglich den zufälligen Zugriff auf Kinderpornographie-Seiten und das wiederum keineswegs vollständig. Bedenklich ist aus Sicht Huttys: "Es ist die technologische Umsetzung eines falschen Paradigmas." Dieses beruhe darauf, dass man die Provider zu Gatekeepern des Internets machen und somit auf Netzwerkebene Inhalte beliebig blockieren könne.

Der Trend in diese Richtung habe sich in den vergangenen Jahren drastisch verstärkt. Während dies aber Eltern und Erzieher nicht aus der Verantwortung etwa für das Wohl der Kinder entlasse, bedeute es gleichzeitig eine Abkehr vom offenen Internet. Zudem sei das Risiko nicht von der Hand zu weisen, dass es nicht bei dem Filterauftrag für Kinderpornographie bliebe, warnt Hutty. Die wiederholten Forderungen von EU-Kommissar Franco Frattini, Bombenbauanleitungen zu ächten, hätten sich zwar in den inzwischen veröffentlichten Vorschlägen des Kommissars nicht in dieser Form wiedergefunden, Hutty fürchtet aber, dass hier nach dem Motto vom steten Tropfen, der den Stein höhle, noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Anspruch auf den Einsatz des Filters für ihre Zwecke, also zur Bekämpfung von nicht-lizenziertem Tausch und illegalen Kopien von Musik, habe der Verband der Musikindustrie IFPI erhoben, berichtete Hutty.

Beim Schutz von Kindern im Internet könnten die Provider durchaus Hilfestellung leisten, und das in unterschiedlicher Form, je nachdem, ob sie Hoster, Suchmaschinenanbieter oder Betreiber eines Communityportals seien, betonte Hutty. Werde aber das falsche Paradigma vom Provider als Gatekeeper weiterverfolgt, "dann bewegen wir uns weg vom offenen Internet".

Zum zweiten Treffen des Internet Governance Forum der UN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)