Renault Scenic E-Tech Electric im ersten Fahrbericht: Annäherung durch Wandel?

Von der Idee eines kompakten Vans mit viel Platz zum kleinen Preis ist nichts geblieben. Wie fährt sich der Renault Scenic mit E-Antrieb? Erste kurze Ausfahrt.

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Renault Scenic E-Tech Electric

(Bild: Renault)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Joaquim Oliveira
Inhaltsverzeichnis

Die "Versuvung" bei Renault schreitet weiter voran. Nach dem Espace muss nun auch der Scenic, einer der Begründer des Segments kompakter Vans, dran glauben. Scenic Nummer fünf wird ein normales SUV. Nach zuletzt mäßigen Absatzzahlen für dieses Modell verspricht sich Renault auf diesem Weg mehr Nachfrage. Kombiniert wird die Neuausrichtung mit einem Schwenk beim Antrieb, denn den Scenic wird es nur noch mit batterieelektrischem Antrieb geben. Verbrenner sind auf dieser Basis nicht mehr eingeplant. Sind zwei Schritte einer zu viel oder ist der Wandel konsequent? Eine erste kurze Ausfahrt mit dem Renault Scenic E-Tech Electric.

Bei einem Van stand stets die optimale Nutzung der Verkehrsfläche im Vordergrund. Aus den Abmessungen sollte ein maximales Platzangebot entstehen, was sich im Idealfall auch noch variabel nutzen lässt. Doch die Kundschaft hat eine Abstimmung mit den Füßen vorgenommen und dieser Idee den Todesstoß versetzt – die Scenic-Nachfrage war zuletzt zu gering. Deshalb wandelt er sich zum SUV. Mit 4,47 m ist er etwa so lang wie ein BMW iX1 oder ein Volvo XC40. Sein Radstand misst 2,79 m, das Platzangebot im Innenraum ist dementsprechend luftig. In dieser Hinsicht übertrifft er den Megane E-Tech Electric deutlich. Auch der Kofferraum ist mit 545 Litern etwas größer. Die hochwertigen Materialien sind ordentlich verarbeitet. Bequeme Sitze, zahlreiche Ablagen und eine weitgehend selbsterklärende Bedienung runden den insgesamt positiven Eindruck ab. Etwas seltsam ist die Entscheidung, kein Head-up-Display anzubieten.

Betrüblich ist das optionale Glasdach, jedenfalls auf Knopfdruck oder per Sprachbefehl. Es lässt sich in vier Stufen zwischen transparent und undurchsichtig einstellen, und das sogar getrennt für von und hinten. Ein Rollo spart sich Renault dadurch und argumentiert, dies bringe 30 mm mehr Kopffreiheit. Bedauerlich ist aber, dass sich das Dach nicht mehr öffnen lässt – eine sich verbreitende Mode, die wir schon des Öfteren kritisiert haben.

Renault hat sich entschlossen, kein eigenes Infotainmentsystem mehr zu entwickeln. Nur Teile der sichtbaren Oberfläche sind noch im Konzern gestaltet worden, doch im Kern setzt Renault auf Googles Android Automotive. Damit geht ein Stück Eigenständigkeit verloren, allerdings zum Wohle des Kunden. Denn die Sprachsteuerung funktioniert hier auf einem Niveau, mit dem man tatsächlich etwas anfangen kann. Google Maps dient als Navigationssystem und wurde im Scenic um eine Vorkonditionierung ergänzt. Liegt ein Ziel außerhalb der Reichweite, schlägt das System eine Ladestation vor und temperiert die Batterie so, dass der Stopp mit maximaler Ladeleistung startet, sofern der Ladestand des Speichers das zulässt. Manuell lässt sich das nur über einen Umweg anstoßen: Der Fahrer muss als Ziel eine Ladestation angeben.

Die Basis-Batterie mit 60 kWh lässt sich mit maximal 130 kW laden, die große Batterie, die einen Energiegehalt von 87 kWh hat, mit 150 kW. Mit dieser Spitzenladeleistung ist Scenic im Schnitt ähnlich großer Konkurrenten, doch sie ist ohnehin sekundär. Wichtiger ist, dass die Ladezeit kurz ausfällt, und dafür ist ein kurzes Zwischenhoch wenig bedeutsam. Mit der Vorkonditionierung schafft Renault dafür gute Voraussetzungen. Ob diese fruchten, muss ein Test klären, im Rahmen einer ersten kurzen Ausfahrt war das nicht zu klären. Gleiches gilt für Verbrauch und Reichweite. Renault nennt im WLTP für das Spitzenmodell eine Reichweite von 620 km und 16,8 kWh. Laut Bordcomputer lag der Verbrauch eher bei 22 kWh/100 km, zu denen die Ladeverluste noch hinzuaddiert werden müssen.

Renault Scenic E-Tech Electric außen (4 Bilder)

Renault erfindet den Scenic vollkommen neu. Nummer fünf hat konzeptionell nichts mehr mit den Vorgängern gemein.
(Bild: Renault )

Die Batterien werden jeweils nur mit einem Antrieb angeboten, und es drängt sich der Verdacht auf, dass Renault die stärkere Ausführung nicht allein über ein Plus beim Energiegehalt anpreisen möchte. Das Basismodell hat schon 125 kW, was vielen bereits reichen würde. Doch auf der Autobahn ist schon bei 150 km/h Schluss. Eine Marketing-Entscheidung, denn die Leistung würde locker reichen, um auf mehr als die 170 km/h zu kommen, die Renault im Spitzenmodell mit 160 kW freigibt. Dort geht es jederzeit spontan hurtig und sehr leise voran, so viel Antriebskomfort bot kein Scenic jemals zuvor. Der Unterschied im Ansprechverhalten des Motors zwischen den Fahrmodi Eco und Comfort fällt deutlich aus, zwischen Comfort und Sport ist er dagegen kaum zu spüren.

Noch nicht so recht in sich stimmig wirkt die gesamte Fahrwerksabstimmung. Renault hat für straffe Dämpfer entschieden. Auf erstklassigem Asphalt lässt sich das SUV also ohne viel Neigung schwungvoll um Kurven treiben. Diese Auslegung wird ihre Fans haben, doch der Preis für sie ist im Alltag nicht zu unterschätzen. Zusammen mit der 235/45 R20-Bereifung reicht das Fahrwerk eine recht genaue Zustandsbeschreibung der Straße an die Insassen durch. Etwas mehr Komfort hätte es sein dürfen.

Zumal die unpräzise und etwas zu leichtgängige Lenkung zu wenig Rückmeldung liefert, um ein harmonisches Bild mit der Dämpfer-Auslegung zu zeichnen. Auch das Ansprechen der Bremse überzeugt nicht. Im ersten Viertel des Pedalwegs gibt es kaum Verzögerung und der rechte Biss kommt erst nach dieser Schwelle. Der eigentliche Druckpunkt ist etwas schwammig zu ertasten.

Renault Scenic E-Tech Electric Innenraum (9 Bilder)

Das Armaturenbrett baut sich vergleichsweise wuchtig vor dem Fahrer auf.
(Bild: Renault )

Noch immer nennt Renault keine Preise, doch mit einer Sensation ist nicht zu rechnen. Ein Megane E-Tech Electric kostet mit der 60-kWh-Batterie derzeit mindestens 46.600 Euro. Wir gehen deshalb davon aus, dass für das Basismodell des Scenic mindestens 48.000 Euro einzuplanen sind. Auch an dieser Stelle vollzieht Renault demnach einen klaren Schnitt, denn mit einem Auto, das sich viele Familien leisten können, hat das nichts mehr zu tun. Dass die Konkurrenz ähnlich selbstbewusst kalkuliert, ändert daran nichts.

Damit steht auch nicht fest, wie die Spezifikation im Detail aussieht. Renault selber schreibt: "Darüber hinaus ist je nach Land serienmäßig oder optional die beschleunigte Ladung mit 22-kW-Wechselstrom möglich." Doch in dieser Hinsicht dürfen sich die Interessenten entspannen. Da im kleineren Megane der 22-kW-AC-Lader inzwischen in jeder Ausführung auf dem deutschen Markt serienmäßig ist, wird das im größeren Scenic kaum anders sein. Das erleichtert Fahrern, die auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind, den Alltag ziemlich.

(mfz)