Royal Enfield Himalayan Electric: E-Motorrad für Bergtouren

Royal Enfield will Vorreiter bei E-Motorrädern werden und zeigt die HIM-E (Himalayan Electric). Der Prototyp sieht schon sehr weit gediehen aus.

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Royal Enfield Himalayan Electric

(Bild: Royal Enfield)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ingo Gach
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Royal Enfield will verstärkt auch auf elektrische Motorräder setzen. Ausgerechnet die älteste Motorradmarke der Welt, die 1901 in England gegründet wurde, die jahrzehntelang Bikes mit uralter Technik verkauft hat, plant eine Elektro-Offensive. Der indische Hersteller hat bereits die fertigen Flying Flea FF.C6 und Flying Flea FF.S6 vorgestellt und will sie ab 2026 verkaufen. Nun hat die Traditionsmarke neue Fotos einer elektrischen Himalayan veröffentlicht.

Bei dem Elektromotorrad auf den Bildern handelt es sich um den Prototyp eines Adventure-Bikes, der die Bezeichnung HIM-E (für Himalayan Electric) trägt. Vor kurzem wurde auf einem Royal-Enfield-Event in Indien die modifizierte Version HIM-E 2.0 gezeigt. Die Batterie wuchs und saß tiefer, der Elektromotor wanderte über das Ritzel und die Rahmenunterzüge wurden geändert. Laut Royal Enflied hat die Version 2.0 mehr Leistung und Reichweite sowie eine höhere Ladeleistung. Genaue Daten dazu gibt es derzeit noch nicht.

Das Design der HIM-E ist wesentlich moderner als an der Himalayan 450 mit Hubkolben-Motor, in ihren Konturen nimmt sie eher Anleihen bei der Yamaha 700 Ténéré, obwohl der buckelige "Tank" natürlich nur eine Attrappe ist und die Sitzbank bis fast zum Lenkkopf reicht. Der Rahmen scheint auf ein Minimum reduziert zu sein, die Batterie kommt hier als tragendes Element zum Einsatz. Lediglich unten ist auf jeder Seite ein Aluminiumträger verbaut, unter der Sitzbank befindet sich allerdings noch ein normaler Heckrahmen. Die Schwinge ist aufwendig gefertigt, und zwar üppig dimensioniert, aber mit Löchern und Streben auf Leichtbau getrimmt.

Eine dicke Upside-down-Gabel mit langen Federwegen führt das Vorderrad, die genauso hochwertig aussieht wie das hintere Öhlins-Federbein mit Druckausgleichsbehälter. Die Drahtspeichenräder in 21 Zoll vorne und 18 Zoll hinten zeugen davon, dass es Royal Enfield ernst ist mit der Geländetauglichkeit ihres Elektro-Bikes. Die englischen SM-Pro-Felgen sind – im Gegensatz zu den Felgen der Himalayan 450 – mittig eingespeicht, was auf Schlauchreifen hinweist.

Auch der Vorderradkotflügel und das knapp geschnittene Heck samt kurzem Kennzeichenträger sind stilistisch absolut auf Höhe der Zeit, wohingegen der Rundscheinwerfer eher nostalgisch wirkt, obwohl er mit LEDs bestückt ist. Unverzichtbar in Indien ist eine Gepäckbrücke, die an der HIM-E allerdings noch recht klein ausfällt. Die Frontverkleidung soll aus Flachsfasern bestehen.

Royal Enfield Himalayan Electric Teil 1 (9 Bilder)

Die elektrische Himalayan HIM-E 2.0 (vorne) stellt eine Weiterentwicklung der HIM-E 1.0 (hinten) dar. Neben einem überarbeiteten Design, soll sie unter anderem mehr Leistung und Reichweite sowie eine höhere Ladeleitung haben.

Serienmäßig scheint Royal Enfield einen großzügigen Motorschutz und Sturzbügel eingeplant zu haben – für Fahrten über holprige Himalaya-Pfade mit hohem Sturzrisiko sicher wichtig. Der Windschild wirkt ein wenig provisorisch aufgesetzt, da er aber an der Himalayan 450 genauso befestigt ist, könnte er durchaus so in Serie gehen, immerhin ist er lang geraten und ragt steil hoch für einen guten Windschutz.

Der Fahrer sitzt "in" dem Motorrad, die Sitzbank weist eine deutliche Kuhle auf, um auch kleiner gewachsenen Menschen einen sicheren Stand zu gewähren. Der Lenker ist breit und zeigt eine hohe Kröpfung, die dem Fahrer das Dirigieren im Stand erleichtert, weil er sich nicht tief bücken muss, sondern mit dem Oberkörper aufrecht bleibt. Bei der Vorderradbremse greift Royal Enfield zu einer bewährten Bremszange von Nissin. Die Infos im Cockpit liefert ein rechteckiges TFT-Display – ein Novum bei Royal Enfield.

Über die Leistung des Elektromotors und den Energiegehalt der Batterie des Prototyps hat Royal Enfield noch nichts verraten. Aber die Marke hat sich bereits vor geraumer an dem Start-up "Stark Future" in Barcelona beteiligt, das mit der "Varg" einen Elektro-Motocrosser mit bis zu 59 kW Leistung entwickelt und in der Branche für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat.

Den Indern ging es um den Technologie-Transfer, denn die Entwicklung der HIM-E findet im Stammsitz in Chennai und beim Ingenieurs-Büro "Harris Engineering" in England statt. Das gehört mittlerweile zu Royal Enfield.

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Die Tests macht das Entwicklungsteam im Himalaya, wo die Pässe bis auf über 5000 Meter hochführen. Unter härteren Bedingungen könnte die Entwicklung kaum stattfinden, mit derben Schotterstrecken, Flussdurchfahrten und Kälte. Allerdings dürfte die HIM-E mit dem typischen Problem der geringen Reichweite zu kämpfen haben, denn mit einer sehr großen Batterie würde das Fahrzeuggewicht für den Offroad-Betrieb zu hoch werden. Welchen Kompromiss Royal Enfield diesbezüglich eingeht, ist nicht bekannt. Allerdings musste die HIM-E auch im Werk ausgiebige Tests im Windkanal über sich ergehen lassen, schließlich senkt eine gute Aerodynamik den Stromverbrauch.

Wie weit der Prototyp schon gediehen ist, verrät Royal Enfield nicht. Die Aussagen über die Serienfertigung gehen auseinander, zuerst hieß es seitens des Herstellers, dass die HIM-E so nicht in den Verkauf gehen würde, später vermeldete die indische Fachpresse, dass die HIM-E ab 2027 als Serien-Bike verkauft werden soll. Royal Enfield hatte aber bereits 2023 verkündet, mindestens 150 Millionen Euro in die Entwicklung von Elektromotorrädern zu investieren, da wäre es merkwürdig, wenn sie die längst weit fortgeschrittene HIM-E nur als Technologieträger für andere Modelle verwenden würde.

Royal Enfield Himalayan Electric Teil 2 (6 Bilder)

Die Konturen der HIM-E weisen gewisse Ähnlichkeiten mit der Yamaha 700 Ténéré auf. Der bucklige "Tank" ist aber nur Attrappe. (Bild:

Royal Enfield

)

Die Erfolgsaussichten für die Royal Enfield HIM-E stünden gar nicht so schlecht. Im Gegensatz zu vielen Elektromotorrädern, die von kleinen Start-ups entwickelt und dann oft schnell wieder in der Versenkung verschwunden sind, steht hinter Royal Enfield, die 2023 über 920.000 Motorräder verkauft haben, ein finanzieller solide aufgestellter Konzern: Die Eicher Group ist der größte Landmaschinenhersteller Indiens.

Im Gegensatz zu Europa, wo es elektrischen Motorrädern an Akzeptanz mangelt, sind in Indien elektrische Krafträder sogar politisch erwünscht. Die Belastung der Luft in Indiens Millionenmetropolen ist wortwörtlich atemraubend, die Hauptstadt Neu Delhi gilt in der Hinsicht sogar als dreckigste Stadt der Welt, über der manchmal wochenlang eine giftige Dunstglocke hängt. Deshalb plant die Regierung, Motorräder und Roller bis 150 cm3, dazu gehört die große Mehrheit der indischen Kräder, mit Verbrennungsmotoren zukünftig in den Städten zu verbieten. Wie realistisch die Umsetzung ist, bleibt offen, aber zumindest würde es den Smog-geplagten Indern helfen, die Luftqualität zu verbessern.

Über den Preis hat sich Royal Enfield natürlich nicht geäußert. Dennoch kann schon so viel gesagt werden, dass die Himalayan Electric, falls sie so auf den Markt kommt, für die meisten Inder zwar unerschwinglich sein wird. Aber in einem Land mit über 1,4 Milliarden Einwohnern, in dem 2023 rund 17 Millionen motorisierte Zweiräder verkauft wurden, gibt es eine wachsende wohlhabende Mittelschicht, die der HIM-E zu nennenswerten Stückzahlen verhelfen könnte. Wer weiß, vielleicht geht von Indien ein neuer Impuls für elektrische Motorräder aus, der weltweit einen Trend setzt.

(mfz)