Datenschutztag: Massive Bedenken gegen "Digital only" und Zwangsdigitalisierung
Für existenzielle Bereiche des Zusammenlebens und zugehörige Dienste muss es echte analoge Alternativen geben, sind sich Daten- und Verbraucherschützer einig.
Ohne "Einwilligung" geht es oft nicht mehr.
(Bild: Datenschutz-Stockfoto/Shutterstock.com)
Der Ruf nach einer "Digital only"-Strategie der Regierung von Bundesdigitalminister Volker Wissing (vormals FDP) erntet Widerspruch. Ein solcher Ansatz führe "in die Verfassungswidrigkeit", monierte Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, am Dienstag auf einem Symposium der Datenschutzkonferenz von Bund und Ländern (DSK) in Berlin anlässlich des Europäischen Datenschutztages. Angesichts des zunehmenden Digitalzwangs, der "den kleinen und großen Alltag" belaste, plädierte Prantl auf die Ausweitung des in Artikel 3 Grundgesetz normierten Diskriminierungsverbots zu einem Grundrecht auf analogen Zugang zur Daseinsvorsorge.
Der mündige Bürger müsse Anspruch darauf haben, essenzielle Dienstleistungen ohne Smartphone nutzen zu können, führte Prantl aus. Letzteres stelle eine "Überwachungsarchitektur" dar und fungiere als Taschenspion. Wer sich dem Datenabgaberegime von Google, Amazon, Meta, Apple und Microsoft nicht fügen wolle, sei kein Technik-Feind, sondern ein Kenner der Materie. Viele Apps gäben Informationen an Tracking-Firmen weiter. So ließen sich "Gewerkschafter, Friedensaktivisten oder Homosexuelle" leicht ausfindig machen. Das Auswerten von Standortdaten speise Bewegungsprofile.
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Wenn die Demokratie komplett verdatet werde, sei es höchste Zeit, sich auf den Kern des Schutzes der Menschen in der digitalen Welt zu besinnen, postulierte der Autor. Datenschutz sei in diesem Sinne das "Ur-Grundrecht in der Informationsgesellschaft". Denn Daten "sind Ausdruck, nicht Abfall der Persönlichkeit". Sie dürften nicht einfach auf digitalen kommerziellen Wertstoffhöfen weiterverwendet und recycelt werden.
DB lenkte bei Sparpreis-Tickets ein
BahnCard, Ticket- und Terminbuchungen sowie den Wegfall von Bezahlmöglichkeiten mit Bargeld machte Jutta Gurkmann vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) als Beispiele der Zwangsdigitalisierung aus. In existenziellen Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Mobilität und Finanzwesen muss es analoge Alternativen geben. Digitalisierung könne zwar Teilhabe fördern und Dienstleistungen breiter verfügbar machen. Aber es gebe eine wachsende Schere zu denen, "die abgehängt werden" oder sich aus Gründen des Datenschutzes bewusst gegen digitale Lösungen entscheiden. Damit drohe "digitale Exklusion".
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Mit DHL-Packstationen, die nicht ohne Smartphone funktionieren, Semester- und Deutschlandticket per Smartphone, Congstar-Rechnungen nur noch per App und Speisekarten allein per QR-Code beklagte Rena Tangens von Digitalcourage einen schleichenden Prozess der Zwangsdigitalisierung. Schon 2021 hat Digitalcourage einen Digitalzwangmelder online gestellt. Darüber erhalte die Organisation immer mehr Beschwerden von Bürgern, die sich zu Datenabgabe und ständigem Mitführen und Pflegen eines Mobilgeräts genötigt sähen. Um offizielle Apps nutzen zu können, müsse man sich bei Apple oder Google anmelden. Freie App-Store-Alternativen würden in der Regel nicht zugelassen. Damit einher gehe oft die Auflage, sich "mit schlecht programmierter Software" auseinanderzusetzen.
Der hessische Datenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel appellierte an Digital-only-Verfechter, Rücksicht zu nehmen auf alle, "die nicht mitgehen können oder wollen". Eine App-Vorgabe mit dem Zwang zur Preisgabe persönlicher Informationen sei nicht mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vereinbar. Bei der Umsetzung dieses Gebots sieht der Praktiker aber keinen Königsweg, da sich immer die Frage der Verhältnismäßigkeit stelle. Zumutbar sei es etwa für einen Arzt, wenigstens zwei Stunden am Tag das Telefon zu besetzen. Bei Terminvereinbarung per KI-Chatbot bekomme er dagegen das Grausen, da damit alle Daten gesammelt und in Länder wie die USA übertragen würden. Bei der Deutschen Bahn habe seine Stelle mit guten Argumenten erreichen können, dass sie Sparpreis-Tickets wieder ohne Angabe einer E-Mail-Adresse verkaufe.
DatenschĂĽtzer sehen Gesetzgeber gefordert
Kur vor Weihnachten hat die DSK eine Entschließung angenommen, in der sie darauf drängt, menschenzentrierte Digitalisierung in der Daseinsvorsorge sicherzustellen. Darin heißt es: Wenn die Inanspruchnahme zentraler Dienstleistungen etwa in den Bereichen Verkehr, Energie- und Wasserversorgung oder Kultur die Nutzung elektronischer Kommunikationswege wie Internet, App oder das Eröffnen eines digitalen Kontos voraussetze, könne das dazu führen, dass bestimmte Menschen ausgeschlossen werden. Das betreffe alle, die aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, ihres Alters, Technikferne oder fehlender Mittel nicht in der Lage seien, die digitale Technik zu nutzen, oder die in Ausübung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ihre Daten nicht preisgeben wollten.
Dazu kommt der Hinweis, dass bei der Leistungserbringung gemäß Artikel 6 DSGVO nur die Verarbeitung der für einen Vertrag erforderlichen personenbezogenen Daten zulässig ist. Dies beziehe sich auf den Hauptgegenstand einer solchen Übereinkunft – Datenverarbeitung müsse daher für die Inanspruchnahme der Leistung der Daseinsvorsorge unerlässlich sein. Schon bei der Planung von Digitalisierungsprojekten – und bei deren Realisierung – seien geeignete Maßnahmen zur Datenminimierung per Privacy by Design zu treffen. Die DSK appelliert an die Gesetzgeber von Bund und Ländern, flankierende Maßnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge zu prüfen.
Wirtschaft: Kein Anspruch auf Doppelstrukturen
Skeptisch beäugte der Gießener Staatsrechtler Steffen Augsberg einen grundrechtlichen Ansatz. Es seien nämlich auch kollektive Rechtspositionen wie Wettbewerbsfreiheit, Innovationsoffenheit oder Verwaltungseffizienz zu berücksichtigen. Bei Unternehmen gäbe es "keine grundsätzliche normative Pflicht zur Teilhabe". Selbst bei monopolartigen Strukturen könnten sie potenzielle Kunden gezielt ausschließen, hob der Jurist hervor. Facebook etwa sei nicht gezwungen, ein analoges Plattform-Modell auf die Beine zu stellen. Anders verhalte es sich bei staatlichen Kernaufgaben wie dem Durchführen von Wahlen. Aber auch dort sei ein Drängen zum Digitalen oft kein Zwang im rechtlichen Sinn.
"Redundante Infrastrukturen sind immer sehr, sehr teuer", gab Nico Lüdemann vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) mit Blick auf analoge und digitale Verfahren zu bedenken. Das gelte gerade dann, wenn eine nur sehr wenig verwendet werde, da die Nutzung von mobilen Endgeräten Standard sei. Eine Fahrkarte etwa koste dann realistisch rasch 20 Euro mehr, was das ganze Modell zum Kippen bringen könne. Der Berater plädiert daher dafür, den unternehmerischen Drang, Innovationen auf Markt zu bringen, von Anfang an mit der prinzipiell "großartigen" DSGVO in Vereinbarung zu bringen. Für Big-Data-Analysen etwa sollten Pools definiert werden mit anonymisierten Daten. Zugleich müsse die DSGVO EU-weit einheitlich ausgelegt werden.
(ds)