Kawasaki Z H2 SE mit Kompressor im Test: Schub-Karre
Den einzigen serienmäßigen Kompressor-Motor im Motorradbau bietet die Kawasaki Z H2 SE. Er katapultiert den Fahrer mit dem Zug eines unendlichen Gummibands.
(Bild: Ingo Gach)
- Ingo Gach
Kawasakis Reihenvierzylinder gelten seit jeher als leistungsstark, doch bei der Z H2 setzt die Marke noch einen drauf – mit einem Kompressor. Das ist einzigartig auf dem Motorradmarkt. Die künstliche Beatmung puscht die Leistung auf 200 PS bei 11.000/min. Die aktuellen Superbikes haben zwar 17 oder 18 PS mehr Höchstleistung, aber eben keine Aufladung, weshalb ihre Maximalkraft erst bei deutlich höheren Drehzahlen anliegt und an die 137 Nm Drehmoment der Z H2 nicht herankommen. So sind oberhalb von 4000/min mehr als 100 Nm jederzeit abrufbar. So viel Kraft liegt bei vergleichbaren Motorrädern, etwa der Honda Fireblade, erst bei der doppelten Drehzahl an. Kawasakis Power-Bike in der besser ausgestatteten Version SE, die sich von der Basis unter anderem durch ein semi-aktives Fahrwerk und kräftigere Bremsen auszeichnet, schlug sich im Test ausgezeichnet.
- Mehr als 100 Nm bereits oberhalb von 4000/min
- 147 kW bei 11.000/min und 137 Nm Drehkraft bei 8500/min
- Dämpfung und Federvorspannung unabhängig vorwählbar (bei SE)
- Preis: 21.945 Euro (SE) Einstiegsmodell ab 19.295 Euro
Es fühlt sich an, als würde die Z H2 SE von einem unsichtbaren Gummiband gezogen. Der Kompressor liefert im Gegensatz zu einem Turbolader schon knapp über Leerlaufdrehzahl mächtig Druck und hört damit bis zum roten Bereich bei 12.000/min nicht auf. Selbst im sechsten Gang des leicht zu schaltenden Getriebes katapultierte der Motor mich bei Kommando Vollgas aus Tempo 50 vehement vorwärts. Kawasaki gibt die Höchstgeschwindigkeit mit 267 km/h an, was ohne ausreichenden Windschutz kein Vergnügen ist.
Kawasaki Z H2 SE I (6 Bilder)

Kawasaki
)Überlegenes Verdichterprinzip
Natürlich gibt es Motorräder, die 300 km/h oder mehr schaffen, aber keines von ihnen schüttelt die Leistung auch noch bei über 150 km/h so locker aus dem Ärmel wie der Kompressormotor von Kawasaki. Diese Charakteristik verdankt sie dem direkten Antrieb des Laders vom Motor. Damit variiert die Kraft nicht wie bei einem Turboader drehzahl- und lastabhängig je nach Abgasstrom. Im Sattel kann man sich also jederzeit auf den Druck verlassen. Kawasaki hat den Kompressor zusammen mit seiner konzerneigenen Gasturbinen-, Luft- und Raumfahrtabteilung (Kawasaki Heavy Industries) entwickelt, statt ihn zuzukaufen. So konnte er optimal auf den Reihenvierzylinder mit einem breiten Leistungsband abgestimmt und der Wirkungsgrad auch ohne Ladeluftkühler hoch genug gehalten werden.
Nicht ausgesprochen handlich
Kraft allein ist nicht alles bei einem Motorrad, schließlich muss sie auch geregelt auf die Straße gebracht werden. Das schafft die Z H2 SE sehr ordentlich. Zwar ist sie kein Ausbund an Handlichkeit, aber der Kraftaufwand, um sie in Schräglage zu bringen, hält sich noch in Grenzen. Entschlossen am breiten Lenker gepackt, biegt sie willig in die Kurve ein. In ganz engen Kehren macht sich allerdings ihr Gewicht von 240 kg bemerkbar. Die Linie sollte schon genau anvisiert werden, Nachkorrigieren in Schräglage mag sie nicht sonderlich. Dafür durcheilt sie unerschütterlich die Kurven, Nervosität ist ihr fremd. 1455 mm Radstand, ein Lenkkopfwinkel von 65,1 Grad und ein Nachlauf 104 mm erweisen sich als ein guter Kompromiss zwischen Agilität und Stabilität.
Semi-aktives Fahrwerk
Die Z H2 SE verfügt über ein semi-aktives Fahrwerk des Zulieferers Showa, wobei die Vorspannung von Gabel und Federbein noch mechanisch eingestellt werden muss. Bewährte Stylema-Vierkolbenbremszangen von Brembo mit zwei 320-mm-Bremsscheiben lassen gewaltige Verzögerungen zu, besser geht es kaum, zumal das Kurven-ABS auch in Schräglage Sicherheit bietet. Die Pirelli Diablo Rosso III, vorn in 120/70-17 und hinten in 190/55-17, leisten vorzügliche Arbeit und gewähren guten Grip. Die gewaltige Kraft des Kompressormotors verdauen die Pneus so klaglos wie die hohe Leistung der Bremsen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externer Preisvergleich (heise Preisvergleich) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (heise Preisvergleich) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Ordentlicher Komfort
Bemerkenswert ist der Komfort auf der Z H2 SE. Ich saß entspannt auf dem kommoden Sattel, den Oberkörper nur leicht über den breiten 19-Liter-Tank vorgebeugt. Der Abstand zu den Fußrasten ist groß genug, dass der Kniewinkel locker bleibt. Die Stufe zum Soziussitz nutzte ich, um mich beim harten Beschleunigen abzustützen. Im Modus Road arbeitet das Fahrwerk mit Skyhook-Technologie sehr sensibel, bügelt mit 120 und 134 mm Federwegen auch Holperpisten erstaunlich gut glatt. Selbst im Sport-Modus wird die Z H2 nicht knüppelhart, dafür ist die Gasannahme merklich direkter, was beim Rausbeschleunigen aus Kurven nicht immer von Vorteil ist. Der bereits erwähnte kurze Windschild bietet nahezu keinen Schutz gegen den anbrandenden Sturm. Die Geräuschkulisse auf der Kawasaki hört sich nach dem typischen Reihenvierzylinder an und ist mit einem Standgeräusch von 93 dB(A) nicht mal sonderlich laut.
Viel zu sehen im Menü
Im fünf Zoll großen TFT-Display können nicht nur etliche Informationen – unter anderem Ladedruck und Ladetemperatur – abgerufen werden, sondern auch vier Fahrmodi ausgewählt werden. Drei davon (Rain, Road, Sport) sind fest vorgegeben, während der Rider-Modus frei konfigurierbar ist. In diesem können unter anderem die Schlupfregelung, das Motorbremsmoment, die Wheelie-, Slide- und Launch-Control eingestellt werden. Hier kann der Fahrer zwar viel experimentieren, letztlich sind die fixen Fahrmodi aber schon sehr gut auf die jeweiligen Bedingungen abgestimmt. Serienmäßig verfügt die Z H2 SE zudem über Tempomat und Quickshifter. Letzterer funktioniert leichtgängig ohne zu Rucken und ich konnte die Gänge ohne Kupplungseinsatz flott hoch- und runterschalten. Die Bedienung des Menüs über die Tasten am linken Lenkerende ist eigentlich logisch aufgebaut, erfordert jedoch eine gewisse Eingewöhnungszeit.
Kawasaki Z H2 SE II (9 Bilder)

Ingo Gach
)Sugomi mit Hörnchen
Als Nicht-Japaner wird man Kawasakis Design-Philosophie "Sugomi" – welche die Aura oder Energie einer Person oder eines Objekts meint – vermutlich nie verstehen. Auf Europäer wirkt das kantige und zerklüftete Design eher verwirrend und unruhig, das Auge findet keinen Fixpunkt. Die Frontmaske läuft spitz zu und hat zwei kleine Hörnchen unterhalb der beiden recht großen Scheinwerfer mit integriertem LED-Tagfahrlicht. Darüber hat Kawasaki einen kleinen Windschild gesetzt, dessen Wirkung für den Fahrer allerdings gegen null tendiert. Den Fahrersitz platzieren die Designer optisch tief hinter den buckligen Tank, obwohl er mit 830 mm Sitzhöhe eigentlich nicht so niedrig ist, dafür ragt das Heck steil nach oben. Es steckt eben viel von einem Streetfighter in der Z H2 SE.
Der Luftkanal verläuft links statt, wie üblich, mittig oder beidseitig. Der Gitterrohrrahmen aus Stahl, der den 998-cm3-Reihenvierzylinder als tragendes Element aufnimmt, setzt einen sehenswerten Kontrast zu den schwarzen Teilen im typischen Kawasaki-Grün. Bombastisch erscheint hingegen der Endschalldämpfer. Um keinen Zweifel an der Potenz des Motors aufkommen zu lassen, graviert Kawasaki das Kompressorgehäuse mit dem Schriftzug "Supercharged" in roten Lettern.
Videos by heise
Kein Sparwunder
Kawasaki gibt einen Verbrauch von sechs Litern auf 100 km an. Das deckt sich genau mit unserem auf den Testfahrten. Eine Menge, doch in Anbetracht der gewaltigen Leistung erwartet niemand ein Spritsparwunder. Immerhin würde sie theoretisch 316 km weit kommen. Die Z H2 SE kostet 21.945 Euro und Kawasaki gewährt vier Jahre Garantie. Dafür erhält der Käufer ein Fahrerlebnis der außergewöhnlichen Art, dazu ein feinfühliges Fahrwerk, das von Sport bis Komfort fast alles beherrscht.
(fpi)