Yamaha XSR 900 GP im Test: Nostalgische Zukunft
Die XSR 900 GP ist ein Hingucker und fährt so agil wie stabil. Trotz ihres Aussehens fühlt sie sich auf kurvigen Landstraßen wohler als auf der Rennstrecke.
- Ingo Gach
Yamaha traut sich was. Wenn es um Retromotorräder ging, griffen die Hersteller bislang den Stil der 1960er und 70er-Jahre auf. Doch Yamaha dehnt das Thema nun auf die 1980er- und 90er-Jahre aus und stellt die wunderschöne XSR 900 GP auf die Räder. Wir konnten den nostalgisch angehauchten Sportler schon fahren.
Wer vor gut drei Jahrzehnten schon Motorrad fuhr, wird in der XSR 900 GP mindestens drei alte Bekannte wiedererkennen: Ein bisschen TZR 250, ein Hauch FZR 600 und eine Prise TRX 850 stecken in ihr. Yamaha selbst verweist auf seine 500er-GP-Bikes aus der goldenen Ära, als Eddie Lawson und Wayne Rainey zwischen 1984 und 1992 zusammen sechs Titel für die Marke mit den gekreuzten Stimmgabeln im Logo holten. Als i-Tüpfelchen erhält die XSR 900 GP die originale rot-weiße Werkslackierung mit gelben Startnummerntafeln von Raineys Siegerbike YZR 500 aus dem Jahr 1990.
Fast unsichtbares RĂĽcklicht
Auffallend an der XSR 900 GP ist zunächst die Halbschalenverkleidung mit dem winzigen LED-Scheinwerfer und den seitlich angeschraubten Windabweisern – letzteres ein Feature, das zum ersten Mal 1983 an der Werks-500er-GP-Yamaha auftauchte. Das Gegenteil ist beim LED-Rücklicht der Fall: Es fällt überhaupt nicht auf. Bei ausgeschalteter Zündung scheint es gar nicht vorhanden zu sein, eingeschaltet ist es als schmaler Strich sichtbar, erst beim Bremsen wird erkennbar, dass der Rest des schräg stehenden Rücklichts mit dunkel getöntem Glas sogar recht groß ist. Unverkennbar 1980er-Jahre-Stil ist der vermeintliche Rennhöcker, der in Wirklichkeit nur über die Soziusbank gestülpt ist und von zwei Schrauben fixiert wird.
Liebe zum Detail
Ebenfalls clever versteckt sind die filigranen, schwarzen Soziusfußrasten, die eingeklappt unter dem angeschraubten Heckrahmen verschwinden. Aus derselben Epoche scheint die Verkleidungs-Halterung zu stammen, die zwischen der erstaunlich gut schützenden Scheibe sitzt und zum Lenkkopf reicht. Der Clou sind die beiden Splinte der Halterung, die tatsächlich exakt denen der TZR 250 3XV ab 1991 entsprechen. Selten wurde ein Motorrad mit so viel Liebe zum Detail entwickelt wie die XSR 900 GP. Einige Schrauben sind filigran mit winzigen Bohrungen bearbeitet und die Seitencover unter der Sitzbank sind mit Schnellverschlüssen befestigt. Die Lenkerenden-Rückspiegel sehen nicht nur elegant aus, sondern gewähren auch einen sehr guten Blick nach hinten.
Längere Schwinge
Unter dem schicken Kleidchen steckt die bekannte und bewährte XSR 900 mit dem brillanten 890-cm3-Dreizylindermotor, für 2024 in der Abgasnorm Euro 5 plus. Die Yamaha-Entwickler haben ihre jüngste Kreation für den sportlichen Einsatzzweck überarbeitet. Sie erhielt unter anderem eine längere Schwinge und die Front wurde leicht erhöht. So wuchs der Radstand auf 1500 mm und der Nachlauf auf 110 mm, was den Geradeauslauf stabilisiert.
Yamaha XSR 900 GP im Test (8 Bilder)
(Bild: Yamaha )
Die zugunsten eines günstigeren Schwerpunkts geänderten Aufhängungspunkte des Motors wiederum steigern die Agilität. Für den Fahrer geht es natürlich sportlicher zu als auf der Yamaha MT-09, die XSR 900 GP bekam Stummellenker, die 93 mm weiter vorn und 114 mm tiefer als die Lenkstange der XSR 900 positioniert sind. Die Sitzposition rückte um 12 mm weiter nach vorne, aber auch um 27 mm höher, was eine Sitzhöhe von 835 mm ergibt und schließlich wurden die Fußrasten 26 mm höher und um dieselben Distanz nach hinten verlegt. Bei Bedarf können die Rasten um ein paar Millimeter nach unten versetzt werden.
Halbwegs komfortabel
Während der Fahrt erweist sich die XSR 900 GP für ein Sportmotorrad als noch halbwegs komfortabel, auch wenn der lange Tank mich dazu zwingt, meinen Oberkörper deutlich nach vorne zu beugen. Eine weichere Feder und eine progressivere Übersetzung des Hebelgelenks erhöhen den Komfort. Der Kniewinkel ist für Personen bis 1,90 m tauglich und das Sitzkissen erweist sich als erstaunlich bequem. Bei der Bedienung nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass Yamaha sich von seinem unpraktischen Drehrädchen am rechten Lenkerende verabschiedet und dafür links einen Fünf-Wege-Joystick plus Return-Button verbaut hat. So lässt sich das Menü im fünf Zoll großen TFT-Display narrensicher bedienen, zumal rechts auch noch ein mit dem Daumen gut erreichbarer Knopf für das Umschalten der Fahrmodi Rain, Street, Sport und zwei Custom-Modi sitzt.
Neuer Luftfilterkasten
Beim Starten des Dreizylinders ertönt fein abgestimmtes Ansauggeräusch aus dem neu geformten Luftfilterkasten vor dem Tank. Die Lautstärke der XSR 900 GP steigt auf maximal 94 dB(A). Yamaha verwendet statt eines klassisch geformten Endschalldämpfers den gleichen Topf unterhalb des Motors wie an MT-09 oder XSR, es sei denn, man ordert den Sportauspuff.
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Die Kupplung lässt sich mit geringem Kraftaufwand betätigen, auch wenn sie eigentlich nur noch im Stand gebraucht wird. Einmal in Fahrt erledigt ein bi-direktionaler Quickshifter der dritten Generation die sanften Gangwechsel, auch ohne Ziehen des einstellbaren Kupplungshebels. Der Quickshifter kann bereits ab 2000/min für das Hochschalten und oberhalb von 1600/min für das Runterschalten genutzt werden und arbeitet vorzüglich. Die Gänge rasten stets präzise ein, nicht zuletzt, weil Yamaha die Zahnräder der Gänge drei bis sechs überarbeitet hat.
Problemloses Fahrverhalten
Die XSR 900 GP fährt sich ausgesprochen problemlos. Sie ist handlicher als ich es bei dem langen Radstand erwartet hätte, auch wenn sie natürlich nicht an die Agilität einer YZF-R6 heranreicht. Die 900er lenkt präzise ein, trifft exakt die Linie und nimmt auch Nachkorrigieren des Kurses nicht übel. Die Upside-down-Gabel vermittelt eine sehr genaue Rückmeldung des Vorderrads. Vor allem aber verwöhnt die Yamaha mit einer absoluten Ruhe in Schräglage, den mächtigen Deltabox-Rahmen kann nichts erschüttern. Die von uns gefahrene Strecke reicht von extrem engen Kurven mit holprigem Belag bis zu Vollgaskurven mit topfebenem Asphalt und die XSR 900 GP macht überall eine gute Figur. Ihr voll einstellbares KYB-Fahrwerk trägt maßgeblich dazu bei. Am hinteren Federbein lässt sich die Druckstufe sogar im High- und Low-Speed-Bereich variieren. Die Vorspannung ist hinten per praktischem Handrad veränderbar.