50 Jahre VW Polo: Der Erbprinz

Im Jahre 1975 wurde der VW Polo als Billigvariante des Audi 50 vorgestellt. Es folgte ein Siegeszug mit über 20 Millionen produzierten Fahrzeugen.

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VW Polo GT 1979

(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Christian Lorenz
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Im Jahre 1974 befanden sich Volkswagen, NSU und Audi gerade mitten im wirtschaftlichen Sturm. Die veralteten Heckantriebsfahrzeuge wurden mit innovativer Audi-Technik regelrecht auf links gedreht. Als Terminator kam Rudolf Leiding, früherer Vorstand der Audi NSU Auto Union AG. Er machte das, was man bei VW bis dahin und seither nicht mehr für möglich hält. Er stoppte sämtliche Entwicklungen seines Vorgängers Kurt Lotz und sorgte dafür, dass bis auf den Bus kein VW-Fahrzeug mehr weitergeführt wurde. Stattdessen setzte er voll auf Audi-Technik. Mit Frontantrieb kam der Passat und 1974 hatte der Golf zudem noch einen quer eingebauten Motor. Damit wurde Leiding der große Retter von Volkswagen. Er musste schon 1975 gehen, denn ein so konsequenter "Einer gegen Alle"- Kurs wird einem in Wolfsburg auch dann nicht verziehen, wenn er zum Erfolg führt.

NSU hatte mit dem Prinz Anfang der 70er selbst noch einen veralteten Kleinwagen mit Heckmotor im Programm, der längst seiner Ablösung harrte. Ziel von Ludwig Kraus, Technikvorstand der Audi NSU Auto Union AG, und seinen Mitarbeitern war es, mit den neuesten Erkenntnissen des Kleinwagenbaus viel Platz auf geringstmöglichen Abmessungen sowie ein sicheres und agiles Fahrverhalten zu ermöglichen. Deshalb waren quer eingebauter Motor, Frontantrieb, Steilheck mit großer Heckklappe und umlegbare Rücksitzbank gesetzt.

Zunächst sollte der Prinz-Nachfolger NSU K50 heißen - also ein Einstiegsmodell unter dem K70 sein. Das K steht für konventionelle Hubkolben während der Ro80 ja Rotationskolben (Ro) hatte. Das Äußere zeichnete Hartmut Warkuß im Stile seiner Entwürfe Audi 100 und Audi 80. Er orientierte sich dabei an Entwürfen von Marcello Gandini, die man bei Bertone in Auftrag gab. Die Grundform blieb gleich. Front und Heck hatte Gandini aber schon in Vollplastik mit integrierten Stoßstangen, ganz ähnlich wie viel später beim Fiat Ritmo entworfen. Das war Warkuß zu avantgardistisch. Der Audi 50 bildete den Einstieg ins Audi-Programm.

Vorgeschichte (10 Bilder)

Der NSU Prinz 4 mit mit 30 PS starkem Heckmotor war die vierte und letzte Version des Prinz, dessen erste Generation schon 1958 vorgestellt worden war. Der Prinz 4L wurde bis 1973 gebaut. (Bild:

Audi

)

Angetrieben wurde der nur 680 kg schwere "kleine Audi" von einem 1,1-Liter-Motor in zwei Leistungsstufen mit 50 und 60 PS. Bei Volkswagen wollte man ein preiswertes Einstiegsmodell unter dem Golf anbieten und entschied sich für ein Sparmodell des Audi 50. Der Neue wurde Polo genannt und von einem auf 0,9 Liter Hubraum und 40 PS gedrosselten Audi-50-Motor angetrieben. Die Ausstattung wurde fast bis an die Schmerzgrenze zusammengestrichen. Dem Polo-Basismodell wurde selbst die umlegbare Rückbank vorenthalten. Anders als beim Audi 50 konnte sie nur ausgebaut werden.

Wo beim Audi 50 Teppiche waren, wurde der günstigste Polo nur mit Gummimatten ausgelegt. Auch eine Sonnenblende oder ein Türschloss auf der Beifahrerseite fiel dem sehr ambitionierten Rotstift zum Opfer. Die Beifahrertür konnte nur von innen ver- und aufgeschlossen werden. Es gab jedoch auch einen Polo L, der in der Ausstattung mit dem Einstiegs-Audi 50 LS vergleichbar war - und sich auch deutlich besser verkaufte. 1978 stellte Audi den 50 ein, deshalb gab es ab diesem Datum auch einen Top-Polo GLS mit 1,3-Liter-Motor, 60 PS und einem Ausstattungsniveau wie beim Audi 50 GLS.

VW Polo I (12 Bilder)

1975 kam der Polo (intern: Typ 86) als Sparversion des Audi 50 auf den Markt. Für ihn wurde der Motor auf 0,9 Liter Hubraum und 29 kW verkleinert. (Bild:

Volkswagen

)

Der neue 1,3-Liter-Motor brachte die gleiche Leistung wie die bisherige Top-Ausbaustufe des 1,1-Liter-Motors. Anders als jener war der neue Topmotor aber auf Normalbenzin ausgelegt, was allerdings mit höheren Verbräuchen im Vergleich zum Vorgänger erkauft wurde. Aus heutiger Sicht erscheinen Audi 50 und Ur-Polo als sehr geschmackvolle Kleinwagen. Es verwundert jedoch, dass Volkswagen einen nur drei Zentimeter kürzeren Kompakten mit nahezu identischem Radstand im gleichen Jahr wie den sehr ähnlichen Golf I vorstellte und dabei, trotz technisch nahezu identischem Layout, komplett auf Gleichteile und Synergien verzichtete. Plattformdenken gab es damals anscheinend noch nicht, denn die Entwicklungen waren ja bei zwei Marken komplett unabhängig abgelaufen.

Der erste Polo wurde bis 1981 ca. 753.000 produziert. Hinzu kamen noch gut 180.000 Exemplare des Audi 50. Das sind zwar lächerliche Zahlen im Vergleich zum Golf, der sich im gleichen Zeitraum über vier Millionen Mal verkaufte. Dennoch war der Polo I ein wirtschaftlicher Erfolg für Volkswagen. Das galt sogar auch für sein Stufenheckpendant Derby, das sich mit besserer Ausstattung und konservativer Optik vorwiegend an Senioren wandte.

1981 wurde der Ur-Polo (intern: Typ 86) von seinem Nachfolger (Typ 86C) abgelöst. Der Polo II erfand das Rad nicht neu und übernahm viel von Technik und Layout seines Vorgängers. Die VW-Entwickler gingen sehr ingenieurmäßig an den Polo heran. So wurde beispielsweise das Heck kastenförmig steil wie bei einem klassischen Kombi. Das war der technisch einfachste Weg, mehr Innenraum zu erzeugen. Von Anfang an wirkte der Neue eher noch nüchterner als der Alte. Er wandelte so auf den Spuren des Ur-Polo: Nutzwert ohne Schnickschnack. Vielen Kunden war das bereits Anfang der 80er-Jahre eine Spur zu wenig emotional. Spätestens als 1983 Fiat Uno und Peugeot 205 sowie 1984 die zweite Generation des Renault 5 auf den Markt kamen, sah der Polo wie ein spaßarmes Nutzfahrzeug aus.

Allerdings hatte VW schon etwas nachgesteuert, es gab den Polo ab 1982 - auf vielfachen Kundenwunsch hin - in einer hübscheren Version mit einem Schrägheckwinkel ähnlich des Vorgängers. Diese etwas lächerlich "Polo Coupé" genannte Karosserieversion avancierte sofort zur meistverkauften Polo-Variante. Es gab sie auch mit einer 75 PS starken Topmotorisierung und leicht sportlich angehauchtem Zierrat, den Polo GT. Der Name war eine Reminiszenz an den Ur-Polo, den es in der 60-PS-Version nach dem Facelift 1979 auch schon, leicht sportlich angeschürzelt, als "Polo GT" gegeben hatte. Die anderen Motoren von 40 bis 60 PS hatte der Polo II im Wesentlichen vom Vorgänger übernommen.

Polo II (13 Bilder)

Ab 1981 wurde der Polo der zweiten Generation gefertigt. Er war basierte technisch noch ganz stark auf seinem Vorgänger (intern: Typ 86), daher die interne Bezeichnung Typ 86 C. (Bild:

Volkswagen

)

Im August 1985 kam ein neuer Über-Polo heraus. Beim G40 wurde der 1,3-Liter-Motor durch einen G-Lader beatmet, einer besonderen Kompressor-Bauform. Anfang 85, später 83 kW samt rund 150 Nm Drehmoment machten aus dem biederen Polo einen heißen Kleinwagen. Fast 200 km/h Spitze reichten locker aus, um so manche Limousine hinter sich zu lassen. Mit rund 8,5 Sekunden im Standardsprint ist ein G40 auch heute noch ein ziemlich flottes Auto.

Ursprünglich war der Wagen nur als Homologationsmodell für eine Junioren-Rennserie vorgesehen und auf 500 Stück begrenzt. VW hatte damit die Begehrlichkeit auslösende Wirkung unterschätzt, die der Hot-Hatch auf Golf-1-GTI-Pfaden auf die solvente Kundschaft auszustrahlen vermochte. Der Konzern reagierte mit einer weiteren, jetzt 1500 Stück umfassenden Sonderserie. Doch auch diesmal war der Andrang so überbordend, dass die Kaufoptionen am Schluss ernsthaft lotteriemäßig verlost wurden. Trotzdem schaffte es der G40 erst bei dem Faceliftmodell im Jahre 1991 ins reguläre Polo-Verkaufsprogramm. Hier verrichtete der G-Lader noch relativ zuverlässig, wenngleich nicht sehr dauerhaft seinen Dienst. Die vollmundige VW-Aussage, der Lader sei wartungsfrei, entpuppte sich als teures Eigentor. Denn in Wahrheit war der Lader nach 40.000 km vernünftigerweise zu tauschen, zumindest aufzuarbeiten. Allerdings waren weder Verschleiß noch Imageschaden so groß wie beim stärkeren G60 mit größerem Lader, der in Golf, Passat und Corrado eingebaut wurde.

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Als der Polo II 1990 eine umfangreiche Modellpflege erhielt, wurde er zum besseren Auto. Allein die großen Rechteckscheinwerfer verhalfen ihm zu einer spürbar höheren Lichtausbeute. Grundsätzlich galt auch für das Facelift, was für die gesamte zweite Polo-Generation galt. Es ging hier in erster Linie um technische Optimierung des Ur-Polo. Am Ende des Modellzyklus 1994 sah der Polo damit aber schon richtig alt aus. Das galt besonders für sein Derby-Pendant. Gab es doch mit Fiat Punto, Renault Clio und Ford Fiesta schon deutlich erwachseneres und luxuriöseres, zumindest aber charmanteres. Das ist zumindest die subjektive Meinung des Autors.

Gerade in dieser Hinsicht fand ich den Sprung zur dritten Generation Polo 6N gewaltig. Ich fuhr damals selbst einen Fiat Uno der zweiten Serie, Baujahr 1992. Der neue Polo erschien mir in der Formensprache ähnlich, das heißt sehr elegant. Der Polo wirkte aber noch moderner und vor allem von höherer Qualität. Zudem gab es den Polo jetzt erstmals als Fünftürer. Zum ersten Mal setzte Volkswagen auch ganz auf Plattform- und Gleichteilestrategie. Sehr viele Komponenten waren bei Polo 6N, Golf III und Seat Ibiza II gleich.