Datenklau bei Oracle: SAP zu 1,3 Milliarden Dollar Schadensersatz verurteilt [Update]

Der deutsche Softwarehersteller wurde zum höchsten bislang verhängten Schadensersatz in einem Urheberrechtsfall verurteilt. Der Konzern prüft nun eine Berufung, hofft jedoch weiter auf eine außergerichtliche Einigung ohne jahrelanges juristisches Tauziehen. Die Vorwürfe selbst bestreitet SAP nicht.

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  • dpa

Entscheidung im Datenklau-Prozess: Der deutsche Softwarehersteller SAP muss dem US-Rivalen Oracle wegen Urheberrechtsverletzung 1,3 Milliarden Dollar (knapp 1 Mrd. Euro) zahlen. Das entschied am Dienstag eine Jury im kalifornischen Oakland, wie die Wirtschaftsnachrichten-Agenutr Bloomberg berichtete. Mitarbeiter der Software-Wartungsfirma TomorrowNow, einer SAP-Tochter, hatten über das Internet unrechtmäßig Updates bei Oracle heruntergeladen.

Oracle hatte dies zunächst als Industriespionage gewertet, später aber dann nur noch von Datenklau gesprochen. SAP war bereit, 40 Millionen Dollar als Wiedergutmachung zu zahlen, Oracle verlangte nach einigem Hin und Her aber 1,7 Milliarden Dollar. Bloomberg zufolge handelt es sich bei der von der Jury festgelegten Summe um die höchste in einem Fall um Urheberrechtsverletzung.

SAP war zuletzt auf Oracle zugegangen. "Es tut mir leid", sagte Co-Konzernchef Bill McDermott vergangene Woche als Zeuge vor Gericht. Er räumte Fehler ein. Die Walldorfer Firma habe die Zügel bei der kleinen US-Tochterfirma TomorrowNow schleifen lassen. Oracle-Anwalt David Boise hatte vor den Geschworenen mehrmals betont, Millionen Dokumente seien so aggressiv abgegriffen worden, dass die Oracle-Server in die Knie gegangen seien.

Das Geschäftsmodell von TomorrowNow war, günstige Wartung für Unternehmenssoftware anzubieten. Oracle hatte die Software-Hersteller, deren Produkte TomorrowNow betreute, nacheinander aufgekauft. SAP wollte die Wartungsfirma danach als Türöffner nutzen, um Oracle-Kunden abzuwerben. Nach Darstellung der Deutschen war dieser Plan jedoch nur von mäßigem Erfolg gekrönt: Nur 86 von 358 TomorrowNow-Kunden hätten SAP-Software erworben.

SAP hatte bereits das Fehlverhalten der TomorrowNow-Mitarbeiter zugegeben; in dem Prozess ging es jetzt nur noch um die Schadenssumme. Der deutsche Weltmarktführer bei Unternehmenssoftware argumentierte, der tatsächliche Schaden für Oracle sei deutlich niedriger gewesen als der von dem US-Konkurrenten genannte Wert der Service-Produkte. So kam SAP auf die Spanne zwischen 28 und 41 Millionen Dollar und Oracle auf 1,7 bis 3 Milliarden Dollar. Im Prozess wurde zum Teil auch ein Betrag über 4 Milliarden Dollar genannt. SAP hatte TomorrowNow 2008 dichtgemacht.

Nach der Verurteilung prüft SAP nun eine Berufung gegen das US-Urteil. "Wir sind natürlich enttäuscht über dieses Urteil und werden alle möglichen Optionen verfolgen", teilte SAP mit. Dazu zähle falls notwendig auch eine Berufung. Man hoffe jedoch, den Fall auch ohne jahrelanges juristisches Tauziehen lösen zu können. "Wir waren bereit, Oracle fair zu entschädigen", heißt es von SAP zu dem Urteil.

[Update]:

Eine Chronologie der Ereignisse: Der Industriespionagestreit um TomorrowNow

Der Prozess um den Vorsurf der Industriespionage gegen SAP beginnt mehr als drei Jahre, nachdem Konkurrent Oracle dies erstmals publik machte. Die Vorgeschichte des Streits ist auch eine Chronik der Übernahmen in der Unternehmenssoftware-Branche:

Dezember 1998: TomorrowNow wird gegründet. Das Geschäftsmodell: Service für Unternehmenssoftware der Firma PeopleSoft. Später wird auch Support für Software von J.D. Edwards und Siebel angeboten.

Juni 2003: PeopleSoft übernimmt J.D. Edwards. Das Unternehmen will damit eine Übernahme durch Oracle abwehren.

Dezember 2004: Oracle gelingt nach langem Ringen der Kauf von PeopleSoft.

Januar 2005: SAP kauft TomorrowNow.

September 2005: Oracle kauft Siebel. Damit kommen jetzt alle Computerprogramme, die TomorrowNow betreut, aus dem Hause Oracle.

März 2007: Oracle klagt gegen SAP mit dem Vorwurf der Industriespionage. TomorrowNow habe sich immer wieder unerlaubt Zugang zu einer Oracle-Website zur Kundenbetreuung verschafft und von dort Daten heruntergeladen.

Juli 2007: SAP räumt ein, dass TomorrowNow Daten bei Oracle heruntergeladen hat, bestreitet aber weiter den Vorwurf der Industriespionage.

Juli 2008: Oracle wirft nun auch der SAP-Spitze direkt vor, von dem Vorgehen von TomorrowNow gewusst zu haben.

Oktober 2008: TomorrowNow wird von SAP endgültig geschlossen, nachdem der Konzern die Maßnahme im Juli angekündigt hatte.

August 2010: Um die Angelegenheit schneller zu einem Ende zu bringen, übernimmt SAP die Verantwortung für das Vorgehen von TomorrowNow und erklärt sich auch zu Schadenersatz bereit - denkt dabei allerdings nur an einige Millionen, während Oracle eine Milliardensumme will.

November 2010: Nach einem dreiwöchigen Prozess sprechen die Geschworenen Oracle einen Schadenersatz von 1,3 Milliarden Dollar zu – die bisher höchste in einem Urheberrechtsprozess. SAP will eine Berufung prüfen.

Der Streit um Industriespionage und Datenklau

TomorrowNow betreute Firmenkunden beim Einsatz von Computerprogrammen für die Betriebswirtschaft. Pikant: Die Anbieter dieser Software – PeopleSoft, JD Edwards und Siebel – gelangten von 2004 bis 2006 allesamt in den Besitz des SAP-Konkurrenten Oracle.

Für ihre Dienstleistungen nutzte TomorrowNow auch Software und Informationen von Oracle, die auf passwortgeschützten Webseiten bereitgestellt wurden – "in vielen Fällen unter Verwendung von vorgeschobenen Kundendaten für den Login", wie es in der Klageschrift von Oracle heißt. Über diesen "systematischen illegalen Zugang" zu den Support-Systemen von Oracle habe SAP "tausende von proprietären, urheberrechtlich geschützten Software-Produkten und anderes vertrauliches Material gestohlen" und so eine "illegale Bibliothek von Oracle-Software" erstellt.

Die Downloads von SAP hätten das übliche Ausmaß der Nutzung durch die Oracle-Kunden erheblich überstiegen, erklärte der amerikanische Software-Konzern. So habe SAP mit den Login-Daten eines Kunden vier Tage in Folge durchschnittlich 1800 Objekte pro Tag heruntergeladen, während dieser Kunde sonst nur 20 Objekte in einem Monat bezogen habe.

SAP hat das Fehlverhalten bei TomorrowNow zugegeben und sich entschuldigt. Ein SAP-Sprecher sagte am Mittwoch, als Drittanbieter für die Software-Wartung sei TomorrowNow befugt gewesen, sich bestimmte Daten herunterzuladen. Es sei aber zu viel heruntergeladen worden. So ging es in dem Rechtsstreit zuletzt allein um die Höhe der Schadenssumme und die Festlegung des Schadenersatzes. (jk)