„Die Unternehmen der Welt könnten die Klimakrise lösen“

In Kürze erscheint Hunter Lovins’ neues Buch „Climate Capitalism“. Im Gespräch erläutert sie, wie Profitmaximierung und Ressourceneffizienz zusammenpassen können und warum Elektrofahrzeuge besser als Wasserstoffautos sind.

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Von
  • Evan I. Schwartz

In Kürze erscheint Hunter Lovins’ neues Buch „Climate Capitalism“. Im Gespräch erläutert sie, wie Profitmaximierung und Ressourceneffizienz zusammenpassen können und warum Elektrofahrzeuge besser als Wasserstoffautos sind.

Vor zehn Jahren veröffentlichte die Umweltaktivistin Hunter Lovins gemeinsam mit ihrem Ex-Mann Amory Lovins „Natural Capitalism“ (dt.: „Öko-Kapitalismus: Die industrielle Revolution des 21. Jahrhunderts“). Die Botschaft des Buches erschien damals vielen geradezu paradox: Wer auf Nachhaltigkeit setzt, kann damit nicht nur Geld sparen sondern sogar Geld verdienen. Doch einige Firmen bissen an. Hunter Lovins gründete dann Natural Capitalism Solution, ein Beratungsunternehmen mit Sitz in Colorado, das Unternehmen und Behörden zu mehr Energieeffizienz verhilft und auf die Bedrohungen des Klimawandels vorbereitet. Nun hat sie ein neues Buch geschrieben, das im Frühjahr erscheint: „Climate Capitalism“. Technology Review sprach mit Lovins über Profite mittels Ressourceneffizienz, die gewaltigen noch ungenutzten Einsparpotenziale, Biomimikry als klimaschonendes Konstruktionsprinzip und den Streit um Elektrofahrzeuge.

Technology Review: Wenn Sie heute auf die Thesen von „Natural Capitalism“ zurückblicken: Was hat sich seitdem geändert, und was hat Sie überrascht?

Hunter Lovins:
Vor zehn Jahren beobachteten wir, was die wenigen sehr guten Unternehmen taten, um nachhaltiges Wirtschaften in die Tat umzusetzen und dabei dennoch Profit zu machen. Daraus leiteten wir vier Prinzipien des Öko-Kapitalismus ab. Das erste lautet, Energieressourcen viel, viel produktiver zu nutzen. Seitdem haben damit viele Unternehmen, die sich als nachhaltig, grün oder verantwortungsbewusst bezeichnen, massiv Kosten gespart. Eine Überraschung ist aber, wieviele Einsparpotenziale es immer noch gibt.

TR: Welche zum Beispiel?

Lovins:
Letztes Jahr ging mein Team in ein Unternehmen, das seine 6.300 Rechner und Monitore 24 Stunden am Tag laufen ließ. Der Grund war einer dieser urbanen Mythen: Dass sich die Lebensdauer eines Computers verkürzt, wenn man ihn zu oft ein- und ausschaltet. Natürlich stimmt das nicht. Ein anderer Grund war, dass die IT-Abteilung aus Wartungsgründen die Geräte lieber permanent laufen ließ. Eine Nacht pro Woche würde aber völlig genügen. Als die Firma die Regel einführte, den Rechner auszuschalten, wenn man nicht davor sitzt, sparte sie 700.000 Dollar im ersten Jahr. Das ist Geld, das für andere Dinge frei wird.

TR: Welche Firma war das?

Lovins:
Das kann ich Ihnen nicht verraten. Aber dieses Verhalten durchzieht die ganze Gesellschaft. Allein in den USA verschwenden wir jedes Jahr 2,8 Milliarden Dollar durch den Stromverbrauch von Rechnern, vor denen niemand sitzt. Ich finde es schon überraschend, dass dieses Potenzial immer noch da ist, obwohl wir seit zehn Jahren predigen, wie man es besser macht.

TR: Das erste Prinzip ist also nach wie vor gültig.

Lovins:
Ja. Allerdings haben wir dieses Prinzip in „Climate Capitalism“ abgewandelt: Kaufe dir Zeit, indem Du Deine Ressourcen viel, viel produktiver nutzt.

TR: Was meinen Sie mit „Kaufe dir Zeit“?

Lovins:
Das knappste Gut der Welt ist die Zeit, die Probleme um uns herum anzupacken. Probleme wie die Klimakrise. Einige Wissenschaftler sagen bereits, dass es zu spät ist.

TR: Glauben Sie das auch?

Lovins:
Die kurze Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Vielleicht bin ich nur optimistisch. Aber wenn ich mich umschaue, glaube ich, dass die Unternehmen dieser Welt die Klimakrise lösen könnten, wenn sie das tun würden, was in ihrem Interesse ist – nämlich all die verfügbaren, kostenwirksamen Effizienzverbesserungen durchzuführen. Und Sie würden damit Gewinn machen.

Das ist die Hauptthese von „Climate Capitalism“. Nehmen wir einmal an, die Klimakrise wäre ein Schwindel – auch wenn ich in Las Vegas besser nicht darauf wetten würde. Dennoch: Wenn Sie in erster Linie ein Profit-maximierender Kapitalist sind, würden sie genau dasselbe tun, als ob sie sich vor Angst über den Klimawandel in die Hose machen.

TR: Welche Prinzipien gibt es noch?

Lovins:
Das zweite Prinzip handelte damals von Biomimikry – konstruiere alles so, wie es die Natur macht. Ich habe es so umformuliert: Gestalte die Art und Weise, in der wir alles herstellen und vertreiben, neu, so wie Biomimikry oder Cradle-to-cradle.

TR: Beim Cradle-to-Cradle-Ansatz werden Dinge so konstruiert, dass ihre Abfälle wieder Ausgangsmaterial für neue Produkte werden können. Können Sie mir ein Beispiel für ein wirklich gutes Cradle-to-Cradle-Design nennen?

Lovins:
Wie stellen wir heutzutage Zement her? Wir bauen Kalkstein ab und brennen ihn mit enormem Energieeinsatz. Das Ergebnis ist einer der energieintensivsten Prozesse, die es in der Wirtschaft gibt. Wie es anders gehen kann, zeigt die kalifornische Firma Calera. Ausgangspunkt ist die Frage: Wie stellt die Natur zementartige Stoffe her? Wer produziert in der Natur so etwas wie Zement? Die Antwort: Korallenriffe. Schalentiere. Sie stellen im Salzwasser harte Schalen her. Für die Natur ist Kohlenstoff ein Baustein des Lebens. Sie hat Wege, um aus Kohlenstoff das herzustellen, was sie braucht.

TR: Wie aber spart mit diesem Ansatz Millionen oder Milliarden Tonnen CO2-Emissionen?

Lovins:
Wir brauchen Unternehmer, die sich fragen, wie man diese Kohlenstoff-Ressource produktiv nutzen kann, so dass CO2 absorbiert wird und das System wieder in die Balance kommt. Geoff Coates von der Cornell University zum Beispiel macht aus Kohlendioxid Plastik. Oder nehmen Sie die Leute, die Biokohle machen: Ihr Ausgangsmaterial ist holzhaltiges Material, in dem bereits Kohlenstoff eingeschlossen ist, das aber unter normalen Umständen verrotten und den Kohlenstoff freisetzen würde. Indem sie es in Bioholzkohle für einfache Öfen verwandeln – die Menschen in Afrika billig erstehen können –, nutzen sie einen Teil davon als Kraftstoff, und der Rest geht in den Boden, wo er dessen Fruchtbarkeit vergrößert und zugleich Kohlenstoff bindet.

TR: Halten Sie Elektrofahrzeuge für die wesentliche Lösung der Klimakrise?

Lovins:
Ich selbst ja, und das ist der große Unterschied zwischen meinem Ex-Mann Amory und mir. Amory ist ein großer Fan des so genannten Hyper-Autos – einem leichten Fahrzeug, das mit Wasserstoff läuft. Ich halte das Hyper-Auto nicht für besonders sinnvoll. Ich glaube auch nicht, dass wir eine Wasserstoff-Wirtschaft erreichen werden. Es wird auf Elektrofahrzeuge und – zu einem kleineren Teil – auf Flex-Fuel Hybride hinauslaufen, Fahrzeuge, die mit verschiedenen Kraftstoffen fahren können.

TR: Welche Konsequenzen wird es für die USA haben, auf absehbare Zeit weder eine Kohlenstoffsteuer noch einen Emissionshandel einzuführen?

Lovins:
Genau darum geht es in dem Buch: Dass wir die CO2-Krise lösen können und trotzdem Gewinn machen. Die Akteure, die diese Aufgabe übernehmen, sind kleine und große Unternehmen, und sie tun das aus guten ökonomischen Gründen. Sie schwimmen jedoch gegen den Strom der gegenwärtigen Subventionen für die fossilen Industrien. Die Internationale Energie-Agentur geht davon aus, dass jedes Jahr weltweit 550 Milliarden Dollar an die fossilen Industrien fließen. Das sind ungefähr zehnmal mehr Subventionen, als derzeit in erneuerbare Energien und Energieeffizienz gehen. Das ist Wahnsinn.

Wenn aber ein Unternehmen wie Walmart ankündigt, zu 100 Prozent erneuerbare Energien beziehen zu wollen, und das durch die Zulieferkette durchdrückt, wird das Auswirkungen haben. Größere Auswirkungen für den Klimaschutz als alles, was die Bundesbehörden tun.
(nbo)