Reaktionen auf Apples App-Store-Verkaufszwang

Nun ist die Katze aus dem Sack: Apple will an allen via iOS verfügbaren Inhalten mitverdienen. Die Reaktionen fallen entsprechend kontrovers aus.

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Die Deadline ist der 30. Juni. Bis dahin müssen, so berichten Entwickler unter Berufung auf entsprechende Schreiben von Apple, die neuen In-App-Kaufmöglichkeiten geschaffen sein, die der iPhone-Hersteller für Inhalte künftig vorschreibt. Die Reaktionen einzelner Inhalteanbieter fallen kontrovers aus. Zwar gibt es mit Nylon, Popular Science oder Elle bereits erste Publikationen, die beim neuen Modell, für das Apple 30 Prozent Gebühren für jede Abbuchung verlangt, mitziehen. Doch Verlegerverbände wie die europäische Sektion der International Newsmedia Marketing Association, die bereits im Vorfeld Kritik geübt hatten, sind sauer: Der Sache fehle Transparenz, die Frage der Zensur, die Apple als "Gatekeeper" ausüben könne, sei ungeklärt und viele Details noch trübe.

Dabei hat Apple mittlerweile noch weitere zentrale Fragen geklärt. Im Entwicklerbereich iOS Dev Center ist inzwischen eine Aktualisierung der App-Store-Bedingungen aufgetaucht, an die sich alle Programmierer halten müssen. Darin heißt es unter anderem, dass auch Apps, die nur Lesezugriff auf "zugelassene" Inhalte ermöglichen, die außerhalb des App Store erworben wurden, künftig eine gleichwertige In-App-Einkaufsfunktion erhalten müssen – und zwar sowohl bei Abos als auch bei Einmalkäufen. Ein E-Book-Händler wie Amazon müsste also wohl mit Ablehnung rechnen, wenn er nur den Verkaufslink ins Web aus seiner Kindle-Reader-Anwendung streicht, den Apple ebenfalls verboten hat – gleichzeitig müsste auch ein In-App-Kauf her. Ob dies faktisch wirklich so realisiert wird – Apple legte bereits geltende Bedingungen bislang schon mal milder aus – fragte Mac & i am Dienstag bei Apple an. Eine Antwort blieb bisher aus.

Unklar ist, wie Apples Kunden reagieren werden. So benutzerfreundlich die neue Abofunktion, bei der man jeden Vertrag mit einem Fingerstrich wieder lösen kann, auch ist – sollten Riesen wie Netflix (Video), Amazon (elektronische Bücher) oder Spotify (Streaming-Musikdienst) sich aufgrund der neuen Bedingungen aus dem App Store verabschieden, könnten Nutzerproteste folgen. Tatsächlich lässt Apple besonders diesen drei Anbietern keine Wahl: Da die Firmen bereits jetzt mit sehr knappen Einnahmen kalkulieren, werden sie es sich kaum leisten können, ganze 30 Prozent an Apple weiterzureichen – zumal es sich faktisch um einen Endkundenaufschlag von 43 Prozent handelt (wer weiterhin 1 Euro erlösen will, muss 1 Euro 43 verlangen). Eine Preiserhöhung nur für App-Store-Einkäufe, ein eventueller Ausweg, ist ebenfalls verboten: Apple schreibt den Unternehmen vor, dass die In-App-Preise nur gleichwertig oder niedriger ausfallen dürfen.

Was die 30 Prozent beispielsweise für Musik-Streaming-Anbieter bedeuten, zeigt sich in der Tatsache, dass mit Real Networks bereits der erste Dienst angekündigt hat, sich nicht am neuen Abomodell zu beteiligen. Man zahle derzeit für seine Kreditkartenabwicklung ganze 2,5 Prozent, hieß es von dem Unternehmen. 30 Prozent seien ökonomisch nicht darstellbar. Bei elektronischen Büchern dürfte es genauso aussehen, bei Videodiensten ebenfalls. Dass Apple diese Tatsache nicht berücksichtigt – das Unternehmen kennt die Realitäten aus eigenen Verhandlungen mit Medienkonzernen nur zu gut – ist Beobachtern zufolge bemerkenswert. Die ersten Kritiker schreiben, Apples Plan sei es schlicht, die Konkurrenten zu verdrängen und die Kunden dann zu eigenen Diensten wie iBooks (Bücher) oder iTunes (demnächst vielleicht mit Streamingangebot) zu locken.

Den Wettbewerbern bleibt allerdings die Alternative, ihr Inhalteangebot auf HTML5 umzustellen, das mittlerweile über zahlreiche Funktionen verfügt, die bislang nur nativen Anwendungen möglich waren – inklusive Icon-Ablage auf dem Homescreen und Speichermöglichkeit lokaler Daten. Ein weiterer Vorteil wäre, dass sich solche Angebote auch auf andere Smartphones und Tablets übertragen ließen. Dazu müssten die Inhalteanbieter ihre Strategie allerdings vom App-Geschäft zurück ins Web entwickeln, dem sie, so glauben sie zumindest, gerade entflohen waren. Das einfache Bezahlsystem à la iTunes entfällt dabei natürlich.

Eventuell schreitet aber vorher der Staat ein. Das Wall Street Journal befragte einige US-Kartellrechtsexperten, was sie von der Maßnahme halten. Die Antworten waren geteilt. Shubha Ghosh von der juristischen Fakultät der University of Wisconsin sieht mögliche Ansatzpunkte. Es könne sich um einen "wettbewerbsfeindlichen Druck über den Preis" handeln. Herbert Hovenkamp, Antitrust-Professor am University of Iowa College of Law, sieht allerdings noch keine Marktdominanz durch Apple gegeben. Sollte das Unternehmen mehr als 60 Prozent aller Inhalteabos verkaufen, sei dies aber etwas ganz Anderes. (bsc)