Ducatis Superbike geht mit voll tragendem Motor und extrem kurzhubigem V2 neue Wege

Alles anders: Die Technik der Ducati 1199 Panigale

In eine Zeit, in der sich die meisten Motorrad-Hersteller konservativ nur an Variationen bekannter Rezepte wagen, platzt Ducati mit dem teuersten Projekt der Firmengeschichte und macht alles ganz anders

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 25 Kommentare lesen
14 Bilder
Lesezeit: 13 Min.
Von
  • cgl
Inhaltsverzeichnis

Stuttgart, 21. Februar 2012 – Der größte Teilbereich der Freizeitfahrzeuge sind Motorräder. Deren Markt ist insofern besonders, weil er noch stärker emotional aufgeladen ist als selbst die ärgsten Ausprägungen der Autokultur. Der Motorradmarkt dankt außerdem selbst heute noch interessante technische Lösungen, die im Auto-Massenmarkt mehr und mehr hinter Gestaltung und Vermarktung zurücktreten. Diese beiden Faktoren machen es vielleicht verständlich, warum die Szene so auf Ducatis neues Zweizylinder-Superbike 1199 Panigale schmachtet: Die Maschine sieht erstens anbetungswürdig außerirdisch aus. Sie hält jedoch zweitens und wichtiger ihr gestalterisches Versprechen ein, indem sie tatsächlich außerirdisch ist. Nichts hasst der Motorradfahrer so sehr wie Plastik-Fake, der etwas verspricht, was die Technik darunter nicht einhalten kann (schlimmstes aktuelles Beispiel dafür ist die Suzuki GSR 750). Nichts liebt der Markt jedoch so wie ein optisch mutiges Versprechen, das die Maschine wirklich einlöst. Bestes Beispiel hierfür ist der Erfolg der BMW R 1200 GS. Beste Aussichten also auch für Ducatis Panigale, die aussieht wie kein Motorrad vor ihr, die konsequenterweise fährt wie kein Motorrad vor ihr, weil sie gebaut ist wie kein Motorrad vor ihr.

Das Rennsport-Chassis

Die größte, einschneidendste Abweichung vom ausgetretenen Pfad ist das neue Chassis. Ducatis Markenzeichen war immer: Stahlgitterrohrrahmen über einem liegenden 90°-V2-Motor ("L-Motor"). Dieses Layout eignet sich sehr gut, höchst verwindungssteife Fahrwerke mit sehr stabiler Kurvenlage zu bauen. Sehr stabile Kurvenlage bedeutet jedoch immer auch mehr Kraftaufwand beim Einlenken, und seit einigen Jahren gibt es einen Trend zu hyperhandlichen Geometrien. Ducatis Benchmark in der Entwicklung war Aprilias V4-Superbike RSV4. Das wollte zwar kaum jemand kaufen, wer es allen Widrigkeiten zum Trotz doch tat, wurde jedoch mit einzigartigem Handling belohnt. Die RSV4 hatte (einen fähigen Fahrer vorausgesetzt) das Potenzial, sich all die Motorräder im Geschlängel zu schnappen, die sie auf den Geraden mit deren Mehrleistung ziehen lassen musste. Obwohl Ducati also bis heute Rennen mit den Gitterrohr-Rennern gewinnt, wollten sie in dieser neuen Richtung ihre Zukunft finden.

Die dafür nötige Geometrie beim vorgesehenen Hubraum von knapp 1200 ccm war Ducati jedoch mit dem traditionellen Layout schlicht nicht möglich, weil der Motor liegend zu lang baut. Die Ingenieure hätten die Möglichkeit gehabt, den Zylinderwinkel enger zu wählen, wie KTM (75° V2) oder Aprilia (65° V4) das vormachen – ein kompakterer, um 45° gedrehter Motor also. Stattdessen erinnerten sie sich an ihre Rennmaschinen der Motorrad-Königsrennklasse MotoGP. Seit 2007 fahren dort Ducatis mit, deren verstärkter Motor nicht nur mittragend ist (das ist üblich), sondern voll tragend: Es gibt ohne Motor keine Verbindung zwischen Lenkkopflager und Hinterradschwinge. Der junge Australier Casey Stoner wurde auf dieser Maschine souverän Weltmeister und stellte sich generell so gut damit an, dass Ducati nach einiger Zeit begann, diese Technik vom 90°-V4-Prototypenrennmotor auf einen neuen 90°-V2-Serienmotor zu adaptieren.

Leider stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass Casey Stoner der Einzige war, der dieses Chassis richtig zum Funktionieren brachte. Und während Ducati Werksfahrer wie Marco Melandri noch zum Psychologen schicken konnte, weil sie nicht zurechtkamen, ging das mit Rekordweltmeister Valentino Rossi nicht mehr. Der fuhr in der gesamten Saison 2011 für Ducati nur ein Mal überhaupt aufs Podium, gewann erstmals kein Rennen und forderte lautstark ein anderes Chassis. In die MotoGP-Saison 2012 geht Ducati also mit einem Aluminium-Brückenrahmen, wie er bei den meisten Superbikes üblich ist. In die Verkaufs-Saison 2012 geht Ducati allerdings mit ihrem technisch radikalen Chassis um den tragenden Motor.