Zurück zu den alten Zielgruppen!

Klartext: Opel den Opas!

Früher kauften zwei Arten von Personen bei Opel: Opas und Prolls. Diese Zielgruppen waren dankbar und wurden dennoch jahrzehntelang vernachlässigt. Zurück zu den Wurzeln, Opel!

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Von
  • cgl

Opel macht traurig. Vom zeitweise erfolgreichsten deutschen Autohersteller gibt es seit Jahrzehnten bestenfalls mittelmäßige Nachrichten: Die Geschäftsführung wechselt häufiger als der durchschnittliche Mann Unterwäsche kauft. Nachrichten über Opel? Häufig geht es verunsicherndes Herumgeeier des Managements - oder gleich um eine veritable Krise. Krise. Aktuell: Endlich verdient der Mutterkonzern General Motors wieder Geld, das Opel und Opel-Rebrander (Vauxhall) in Europa aber postwendend verlieren: Je nachdem, wie unfair man zählen möchte, deutlich über eine halbe Milliarde Euro. Zur selben Zeit kauft GM Anteile an PSA. Vielleicht kann man ja damit Kosten sparen, Synergien und so! GM glaubt, die europäischen Probleme damit angehen zu können. Die Idee hat zwar schon damals mit Fiat zusammen nicht funktioniert, aber wir versuchen's einfach nochmal. Never change a losing formula.

General (Motors') Lee sagt: "Marken sind euch doch eh egal."

(Bild: GM)

Das Hauptproblem ist: Europa hat genug Autos, vor allem genug 0815-Autos, von denen es täglich überschwemmt wird. Und in China, wo die anderen deutschen Hersteller ihre Rekorde feiern, darf Opel nichts verkaufen, weil GM das mit anderen Marken tun will. Deshalb die bittere Wahrheit: Opel ist ein me-too-Hersteller geworden, und so einen braucht in Europa einfach kein Mensch mehr. Auf dem alten Kontinent zählt längst echtes Profil. Das versteht GM allerdings nicht, wie Manager Timothy E. Lee sehr deutlich in einem Interview mit der Automobil Revue zum Thema Chevrolet zeigte: "Eine Fabrik ist eine Fabrik. Dem Fließband oder den Arbeitern ist es egal, welches Markenzeichen auf den Kühlergrill kommt." How wrong you are, Mr. Lee! Audi, BMW oder VW sind ganz im Gegenteil zu einem großen Teil deshalb so erfolgreich, weil den Mitarbeitern bis hinunter an die Bänder ihre Marke eben nicht egal ist.

Die Amis sind an allem schuld

Diese aktuellen Nachrichten reihen sich ein in einen ganzen Strom gleichartigen Materials der entlang Opels mit mittelmäßigen Vorsätzen gepflastertem Weg in die Bedeutungslosigkeit fließt. In den letzten zwölf Jahren hat Opel nur einmal wirklich Gewinn in der Jahresbilanz ausweisen können (2006), und viele schieben die Schuld daran auf Amerikaner wie Herrn Lee. Doch das ist allein zu billig. Opel gehört seit 1929 zu GM, und hat seit dieser Zeit mehrfach sehr glorreich ausgesehen.

Rückblick: In der goldenen Zeit des Opel-Baus ab circa 1970 kauften hauptsächlich zwei auf den ersten Blick unvereinbare Zielgruppen Opels: Opas und Prolls. Diese Schere passte jedoch ausgezeichnet zusammen, denn wer seine wilden Jahre, über Supermarktparkplätze in einem Kadett B driftend überlebte, der war der Marke im Alter, wenn er wieder frei entscheiden konnte, oft sehr zugetan – egal, wie viele Firmenwagen anderer Fabrikate er zwischenzeitlich gefahren war. Für den Gealterten gab es außerdem zu seiner Lebenszeit passende Modelle. Dazu kam, dass Opel verlässliche Technik in solidem Design verpackt zu einem fairen Preis anbo. Das war für beide Zielgruppen attraktiv. Die Marke hatte den ehrlichen Charme eines Ruhrpott-Mechanikers, zu dem das Werk in Bochum (ging Ende 1962 in Betrieb) passte wie ein Schalke-Fanschal auf der Ascona-Hutablage.

Von hier aus hätte es folgendermaßen weitergehen müssen: Opel erkennt als erstes statt als letztes, dass man gute Dieselmotoren bauen und damit Autos verkaufen kann, weil die mit Drehmoment Spaß machen. Opel kommt VWs guten Kleinwagen zuvor und baut den Corsa so, dass die moderne Smartphone-Gesellschaft ihn cool finden kann, statt ihn Schritt für Schritt zu einem koreanischen Schützenpanzer umzubauen, aus dem man von innen nichts sieht und den man von außen nicht sehen will. Opel entwickelt höchst effiziente kleine Turbomotoren, die junge Leute mit Ökogründen und alte Leute mit Geldbeutelgründen erfreuen. Oder zusammengefasst: Opel zieht nicht Kosten kürzend den Schwanz ein, sondern gibt so viel Geld wie möglich für Forschung und Entwicklung aus. Aktionäre würden auf der Versammlung von einem Ruhrpott-Viech mit 145er-Schlagmaulschlüssel eingeschüchtert, sobald sie nach kurzfristiger Rendite schreien, statt den Sinn des langen Atems einzusehen.

Opel im Stadtmobil-Einsatz: "Gebt mir irgendein Auto! Ich will Sachen machen."

(Bild: Clemens Gleich)

Rückblick: Die Eiertanz-Phase begann für Opel Ende der Achtziger, in denen der Hersteller keine Anstrengungen scheute, es sich selbst mit seinen treuesten Wiederholungskäufern zu verscherzen. Einsparungen allüberall, auch an der Qualität. Ein Herr López war sehr gut darin, den Fahrzeugbau als industriell kaufmännische Übung zu optimieren, vergaß dabei aber, den Fahrzeugbau im Hinblick darauf zu optimieren, dass Menschen die Dinger nicht nur kaufen, sondern auch fahren, warten und reparieren mussten. Man hörte also kurz gesagt auf, verlässliche Technik in solidem Design verpackt zu einem fairen Preis anzubieten. Stattdessen gab es die metallgewordenen Resultate eines nicht endenden Management-Geeiers zwischen Kostenoptimierung und Mutlosigkeit, das als beinahe täglicher verbaler Salzsäureniederschlag in den Wirtschaftsnachrichten den einstmaligen Ruf von Opel zu einem bitteren Witz korrodierte. Das schlug sich erstens in weiteren Salzsäurenachrichten nieder, führte jedoch zweitens obendrein dazu, dass auf Branchentreffen selbst die besten Rüsselsheimer Ingenieure belächelt wurden, nur weil sie bei dieser Marke arbeiteten. Jaja, Bub, sprechen wir wieder, wenn du bei einem richtigen deutschen Hersteller Karosserien entwirfst. Opel wurde als Arbeitgeber ein schwarzes Loch der Mitarbeitermotivation.

Willenlos Mehl verkaufen

Seitdem blieb der Wille der Marke nachhaltig gebrochen. In jedem Test eines Opel-Wagens gegen einen direkten deutschen Mitbewerber fiel dem Rüsselsheimer der zweite Platz zu, und das Tragische an diesen Tests war, dass der Leser das Gefühl hatte, die Ingenieure hätten schon am Reißbrett gleich auf maximal "erster Verlierer" gezielt, weil sie sich mehr nicht länger zutrauten. Die Autos wurden trotz schnittigem Design zur markenegalen Butter, zum Mehl des Marktes: "Geben Sie mir anderthalb Tonnen Kompaktwagen. Ja, mit Design. Danke." Ob das Verkaufte dann aus Rüsselsheim oder Korea kam, wurde zunehmend zweitrangig.

Diesen Brei wollte das Opel-Marketing schließlich irgendwann statt an die Opas und Prolls der goldenen Zeit an die neue, metrosexuelle Mittelschicht zu verkaufen, weil die zwar nicht zwangsläufig mehr Geld hatte, aber mehr Geld ausgab. Doch diese Zielgruppe blieb bei ihren Audis – aus gutem Grund: Die waren nämlich nicht einfach teurer, sondern sie waren in allen Details so viel besser gemacht. Es war wie der Unterschied zwischen Apple und Dell. Apple-Jünger schauen Dell-Produkte nichtmal mit dem Rektum an, und dasselbe gilt für die gesamte Audi-Zielgruppe in Bezug auf Opel. Wer heute einen A3 will, für den ist der Astra keine Alternative mehr, sondern eine Warnung: Wenn du weniger Geld ausgibst, musst du dieses Mehl von Dell fahren. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass Opel nicht in China verkauft. Mehl können die Chinesen auch nebenan holen.

Der Blitz zuckt (noch)

Dabei glaube ich wirklich, dass die Marke Opel an sich noch lebt oder zumindest noch zuckt. Im Hintergrund des Herumgeeier-Walzertakts klingt immer noch die Turbo-Kompetenz heraus, die sympathische Bodenständigkeit. Opel kann immer noch dein Kumpel sein. Deshalb sollte sich das Management von gewünschten Zielgruppen verabschieden und zu real existierenden, erreichbaren Zielgruppen zurückgehen, also ihre alten Fans reaktivieren: Opas gibt es immer mehr, und der Proll ist aktuell eine von Vielen vernachlässigte Zielgruppe. Kolumnenschreiber behaupten vielleicht, in unseren grün erleuchteten Zeiten gäbe es den Proll kaum noch, doch das kann schon deshalb nicht stimmen, weil sonst RTL längst hätte dichtmachen müssen. Der Proll ist Mainstream. Er gibt es nur nicht zu. Die potenzielle Zielgruppe ist gigantisch, weil der Proll längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Gebt also dem alten Publikum sowas wie einen Ascona: ein bezahlbares, einfaches Fahrspaß-Auto, das den Alltag kann – gerne mit Hinterradantrieb ("Opel ATS"). Gebt endlich Geld für Produktentwicklung aus – und bringt das 145-er-Ruhrpott-Viech auf die Aktionärsversammlungen. Und schließlich: Gebt den Markenfreunden am oberen Ende etwas zum Träumen – Flaggschiffe, deren pure, prollige Großartigkeit bis hinunter zum Corsa strahlt. Der Ampera ist ein richtiger Schritt: Niemand kauft ihn - weil er zu teuer ist. Aber was für ein wilder Maschinenbau! Das ist ausbaufähig und dazu muss dank GM-Bruderschaften keine einzige Schraube neu gedreht werden. Den grandiosen Holden/Vauxhall VXR8 gibt es bereits. Und wie klingt erst "Opel Camaro"! (cgl)