ZDF-Intendant: Grundverschlüsselung killt die publizistische TV-Seele

Auf dem Medienforum Berlin-Brandenburg lieferten sich Vertreter der öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender sowie Plattformanbieter eine heftige rhetorische Schlacht um die Zukunft der digitalen Medienordnung.

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Auf dem Medienforum Berlin-Brandenburg lieferten sich Vertreter der öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender sowie Plattformanbieter am heutigen Mittwoch eine heftige rhetorische Schlacht um die Zukunft der digitalen Medienordnung. "Das Fernsehen droht, seine publizistische Seele zu verlieren", zeigte sich ZDF-Intendant Markus Schächter in Berlin besorgt. "Es verlässt seinen gesellschaftlichen Auftrag und hat nicht mehr das Ziel, das Gespräch der Gesellschaft anzustacheln." ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann fürchtete gar, dass sich "unsere Demokratie grundsätzlich verändern wird". Jürgen Doetz, Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), tat die Sorgen als "Popanz" in einer "Schattendiskussion" ab.

Die Gemüter erregt vor allem der angekündigte Start der Grundverschlüsselung bislang frei verfügbarer Fernsehprogramme. Den Anfang wollen die Sendergruppen RTL und MTV im Rahmen der "Dolphin"-TV-Plattform des Satellitenbetreibers SES Astra machen. Als Zeitpunkt für den Beginn der Umstellung wird momentan September nächsten Jahres gehandelt. Doch letzten Endes werde darüber "zum Großteil vom Bundeskartellamt bestimmt", erklärte Astra-Präsident Ferdinand Kayser auf dem Medienforum. Die Verschlüsselung sei "kein Selbstzweck, sondern der Beginn einer Periode, die hunderttausend Jahre dauern wird." Die viel beschworenen interaktiven Medienangebote müssten auch über Satellit abgebildet werden können, was in anderen westeuropäischen Märkten mit Ausnahme Großbritanniens schon der Fall sei.

Neben Astra pochen auch Mobilfunkanbieter beim Handy-TV auf eine Grundverschlüsselung. Wiedemann sprach daher von der Zusammenrottung mehrerer "Kartelle", die das Fernsehen den Regeln des Pay-TV "unterwerfen" wollen. Schächter skizzierte den Trend "vom allgemeinen Broadcasting zur individuellen Adressierbarkeit des Einzelnen". Ziel sei der "gläserne, zahlende Kunde". Fernsehen werde – gemeinsam mit Telefonie und Internet "zum Triple-Play konfiguriert" – "radikal als kommerzielles Geschäftsmodell" gedacht. In den Businessplänen der neuen Plattformanbieter sei nur noch von "Customer Relationship Management" und "Billing mit entsprechender Kundenkarte" die Rede, ereiferte sich der ZDF-Intendant und fühlte sich an zwielichtige Haustürgeschäfte erinnert: "In der Übersetzung nannte man das früher Drückerkolonne."

Letztlich auf dem Spiel steht laut Schächter mit der Grundverschlüsselung die "Vielfaltsvorgabe des Bundesverfassungsgerichts". Es werde am dualen System gerüttelt, das Qualität und Vielfalt sichere und "alle Menschen ohne Zugangsbarrieren erreicht". Fernsehen bezeichnete der ZDF-Chef als "Netzwerkprodukt", das an Wert gewinne, wenn das Angebot möglichst umfassend und breit sei im Wettbewerb. Nur so habe die Mattscheibe die "Autorität eines Leitmediums" erhalten. Mit der "Flucht" der Privaten "hinter den Subskriptionswall" werde dieses System "grundsätzlich entreichert", beklagte Schächter Konturen eines "Digital Divide". Für die Wissensgesellschaft sei ein mehr oder weniger kostenloser Zugang zu einem breiten Informationsangebot "essenziell", assistierte ihm Wiedemann und forderte: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss frei empfangbar bleiben über alle Plattformen hinweg." Sonst drohe das US-Fernsehmodell Einzug zu halten, in dem ein Haushalt für die Grundversorgung angereichert mit Entertainment- und zwei Sportprogrammen 500 US-Dollar im Monat berappen müsse.

Doetz beklagte dagegen eine "Überbetonung des Randthemas Verschlüsselung". Habe eine Zeitschrift keine publizistische Seele mehr, "nur weil sie am Kiosk gekauft werden muss?", fragte er. Die Angst vor der zweiten Gebühr bei ARD und ZDF gelte vor allem der Rechtfertigung der Rundfunkgebühren, seit sich die Politik Sorgen um eine "Doppelgebühr" macht. Die "Adressierbarkeit" sei nötig, da sie "neue Geschäftsmodelle schafft" und einen "Schutz vor Missbrauch des Signals" biete. Es gehe da auch um eine Frage des Urheberrechts. Doetz hielt aber auch nicht mit der Ansage hinterm Berg, dass "der Empfang der neuen Möglichkeiten bedeuten wird, dass der Zuschauer und Nutzer mehr bezahlen muss. Wir sind kommerzielles Fernsehen, da kann man uns nicht vorhalten, wenn wir uns kommerziell verhalten."

Einig waren sich die Öffentlich-Rechtliche und Private, dass es einer neuen Regulierungsordnung für die neue Medienwelt bedarf. Doetz skizzierte den Rechtsstand als "digitale Medienunordnung" und sah die Politik "überfordert, irgendwie der technischen Entwicklung zu folgen und neue Spielregeln einzuführen." Dabei sei eine Regulierung durchaus erforderlich, zumindest an Engpässen wie der Frequenzvergabe fürs mobile TV. "Wenn ein Plattformbetreiber Inhalte organisiert, bietet dies die Gefahr der Diskriminierung, wenn er selbst Inhalte mit ins Spiel bringt", sorgte sich der VPRT-Präsident über den Vormarsch von Netzbetreibern ins Mediengeschäft. Ein gemeinsames Streiten der etablierten Programmanbieter gegen "die Telcos" hält er durchaus für sinnvoll.

Arcor-Chef Harald Stöber versuchte zu beruhigen. "Wir werden zu Vermarktern", stellte er klar, "aber ich möchte nicht in den Kreis der Inhalteproduzenten kommen." Zugleich lieferte er eine "klare Free-TV-Aussage" ab, pochte aber auf weniger regulierte digitale Zusatzangebote wie das zeitversetzte Anschauen von Sendungen oder auf Nischenprogrammen per Video on Demand. "Interessant" werde dabei vor allem, wer über die Menüführung und die "Sendeplatzvergabe" auf den digitalen Settop-Boxen entscheide. Es sei nicht so wichtig, um jeden Preis eigene Inhalte wie die Bundesliga zu besitzen, pflichtete ihm Christof Wahl von Kabel Deutschland bei. Wichtiger seien Modelle wie der individuelle Filmabruf. Angesichts von 160 digitalen Kanälen sieht er die Kabelindustrie überreguliert. Von einer "Mangelverwaltung" von Sendeplätzen könne keine Rede mehr sein.

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(Stefan Krempl) / (jk)