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Was war. Was wird.

Nein, Hal Faber will sich nicht um runde oder eckige Ecken streiten. Viel eher um das, was unverfrorenerweise als "intellektuelle Umweltverschmutzung" tituliert wird. Meinungsfreiheit, anyone?

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Seufz! Stöhn! Grübel! Würg! und viele, viele gar nicht so museale Erikative mehr fallen mir ein – nein, nicht, wenn ein Streit um Ecken zum Höhepunkt strebt, (obwohl, da auch...), nein, sie fallen mir ein, wenn Deutschlands rotfarbige Vorzeigepiratin einen Satz ausspricht, bei dem Dagobert Duck große $-Augen bekäme: Geistiges Eigentum existiert nicht, ein Satz, der in seiner ganzen Schlichtheit etwas für die innerparteiliche Abmahnkultur der Piraten ist, die frei von "anwahltlichen Kostennoten" ist. Natürlich ist diese kleine Wochenschau eine einzige Raubkopie, ein einziges Raubmörderkopierdingsbums von mikrometrischer Schöpfungshöhe. Sie setzt zusammen, was nicht zusammengehört und unterzugehen droht im Nachrichtenalltag. Dennoch ist sie Arbeit und es gibt Geld für mich und meine sonst hungernde Familie, gestützt von einem antiquierten Urheberrecht. Und hungernde Kinderaugen schwimmen genauso in der Brühe einfacher Sätze wie dieser Unfug des nicht existierenden geistigen Eigentums: Was nicht existiert, kann nicht angeeignet, erweitert und verbessert werden im digitalen Kulturprozess.

*** Um in der schrillen Tonlage der Piraten zu bleiben: Diese Wochenschau ist ein rivalisierendes Gut, das jeder gleichzeitig lesen kann, mit einem Forum drunter, in dem sich jeder Leser artikulieren kann bis hin zum Gassigehen des inneren Trolls. Zugegeben, den Schüttelreim von Klug- und ganz kleinen Scheißern gibt es genug, und immer wieder zu lesen, wie schwach die Wochenschau war, motiviert auch nicht gerade. Aber es ist Kultur, Kommentarkultur. Jaja, es gibt sie noch die guten Dinge im Internet, allen Trollen und Sautreibereien zum Trotz. Manchen mag es gehörig entnerven, wenn die Suche nach der Kommentarkultur in Online-Foren mitunter mit der Lupe durchgeführt werden muss, weil viele die Welt durch ihren Fefe-Filter sehen. Doch die gern bemühte Freiheit des Andersdenkenden ist halt auch die Freiheit des anders Trollenden. Wie verrannt muss man eigentlich sein, hier einen kulturellen Rückschritt zu vermuten, wie es die unsägliche Anitra Eggler tut. Prompt darf sie als Digital-Therapeutin im Fernsehen auftreten und reaktionär von "intellektueller Umweltverschmutzung" schwafeln. Welch unsägliche Arroganz gegenüber dem "dummen Volk", das doch besser die Schnnauze halten oder sich bei Eggler in Therapie begeben sollte, statt etwa andere Ansichten zu vertreten als die Dame. Oder gar die Frechheit zu haben, mal was Dummes zu äußern.

*** Die Häme, mit der die Frankfurter Allgemeine an diesem Wochenende mit einem "Fragebogen" die Kultur der Meinungsbildung im Internet heruntermacht, ist fehl am Platz, denn Zeitungen zensieren seit eh und je ihre Trolle in den Leserbriefspalten. Halten wir fest: Dass jeder nicht nur ein Recht auf freie Meinungsäußerung hat, sondern dies auch wahrnehmen kann, das ist einer der elementaren Entwicklungen, die das Netz und die offenen Foren (schon seit seligen Usenet- und Fidonet-Zeiten) befördert haben und für die man sie nicht genug loben kann. Aber es gibt anscheinend immer noch Leute, die sich für was Besseres halten und der Ansicht sind, Meinungsfreiheit und das Recht, seine Meinung auch zu äußern, sollte man Leuten nicht gewähren, die sich auf vermeintlich niedrigerem Niveau bewegen. Als würden Grundrechte auf Bewährung verliehen, als gäbe es Menschenrechte erst nach Eignungsprüfung. Leute wie Eggler merken gar nicht, wie dumm sie selbst daherschwätzen. Leider ist der passende Fachausdruck für diese Denke, die digitale Demenz, schon für einen anderen Schwachsinn reserviert, der eine Studie an 16 Londoner Taxifahrern auf das Internet übertragen hat. Und halt, sollten wir "Internet-Suchtmenschen" eines Tages wirklich früher dement werden als andere Demente, so haben wir unseren Spass gehabt, die Empörung geteilt, manches Mal auch noch Recht behalten und das nicht nur in de.soc.netzwesen. Man denke nur an den Fall Felix Somm oder neuerdings an zustimmende Foren-Kommentare aus dem Gesundheitsministerium, dass das Bild auf der tollen Gesundheitskarte weder als Identifikationsmerkmal gedacht war noch dafür geeignet ist. Erst mit dem Organspende-Nachweis soll das anders werden, da stören Tick, Trick und Track.

*** Aus Furcht vor den Grünen hat der Politiker Stefan Mappus die Festplatten aus seinem Ministerpräsidenten-Computer ausgebaut und verschwinden lassen. Es seien ohnehin nur Daten seiner Partei und "Daten privater Natur" betroffen, haben seine Anwälte getrollt erklärt. Ein dienstlich genutzter Computer voller Privatdaten? Potztausend! Der rege EnBW-Mail-Verkehr mit dem ehrenwerten Kumpel Notheis wurde wohl im Äther abgewickelt, in der Göttercloud. Und die IT-Spezialisten der Staatskanzlei haben, Überraschung!, den Ausbau der Platten nicht bemerkt? Da lachen ja die IT-Spezialisten im Bundespräsidialamt, die für die Verschlüsselung der Festplatte von Olaf Glaeseker als Administratoren zuständig waren. Erinnerung an die Festplatte von Max Strauß werden wach, die sich anno 2000 "blank wie ein Kinderhintern" (so der selbsternannte IT-Spezialist Frank Georg Strauß damals) präsentierte – und nach einer Analyse durch BSI-Forensiker 16 MByte Dateifragmente ausspuckte. Was folgt, ist wahrscheinlich die Ehrenerklärung von Mappus, dass das Internet mit seinen gefährlichen Viren die Festplatte gefressen hat.

*** Großbritannien hat Reue gezeigt und erklärt, die Wiener Konvention zu beachten. Damit kann das Land wieder mit Ecuador beraten, was getan werden kann, um diese Chronologie des laufenden Schwachsinns in Schweden fortzuführen. In Ecuador hat man unterdessen seinen Spaß mit der Geschichte, weil es im Land selbst nicht viel zu Lachen gibt: "Die Tendenz geht zur inhaltlichen Kontrolle: Davon zeugen das Wahlgesetz, der Entwurf für ein neues Pressegesetz, das Verbot an Minister, privaten Medien Interviews zu geben, die Nichteinhaltung des Gesetzes zur Transparenz im öffentlichen Informationsbereich sowie die wenig durchschaubaren Gerichtsverfahren gegen Presse und Journalisten." Also doch Verhandlungen zwischen Ecuador und Großbritannien, das Assange wirklich verhaften will. Derweil naht die ultimative Seeligsprechung von Wikileaks, Anonymous und den Cypherpunks in Buchform durch Andy Greenberg: "Diese Maschine tötet Geheimnisse."

*** Es gibt Ereignisse, die können die Haltung zu bestimmten Medien für ein ganzes Leben prägen. Die Übertragung der Mondlandung war so etwas, ein TV-Ereignis, für das auch in Deutschland alle Erziehungsbedenken über Bord geworfen wurden und die Kinder nachts vor der Glotze hingen. Wer das erlebt hat, konnte danach das TV nie wieder wirklich schlecht finden. Und wird sich immer an den Mann und seinen Spruch vom kleinen Schritt für einen Menschen, der ein großer Schritt für die Menschheit sei, erinnern. Der ist nun leider gestorben. Ruhe in Frieden, Neil Armstrong.

*** War noch was? Ach ja. "Dieses Album ist allen Syrern gewidmet, die seit März 2011 in ihrer Heimat gefallen sind."

Was wird.

Noch durchsetzt das Rot der IFA-Spezialmeldungen nur ab und an die Nachrichtenflut des Tickers, doch das wird sich in der nächsten Woche gründlich ändern. Die schöne smarte Welt der Fernsehgeräte, die uns verfolgen, aber auch gehackt werden können. Wieder einmal warten die intelligenten Staubsauger und Kühlschränke, die kaum kostenpflichtige DE-Mail auf die Besucher und natürlich auch die Crew von Heise, immer bereit, die Unkultur Computertechnik zu verteidigen und kritisch zu beäugen. Jeder zweite Aussteller schwärmt von digitalen hybriden Erlebniswelten, das Jahreskontingent für das Wort "Spaß" wird aufgebraucht und es gibt eine hübsche Auswahl an Impulsen. Außerdem singt Xavier Naidoo um sein Leben laut in einem gewerblichen Ausmaß.

Für alle Berliner auch abseits des öden Konsumgerödels will sich die Stadt von einer hochmobil modernen Seite zeigen. Man spricht von einem mobilen Durchblick im Nahverkehr, mit Echtzeitinformationen, wo gerade eine S-Bahn von den Schienen hüpft. Tourist oder Anwohner, das ist die Frage, die die tolle Software seltsamerweise nicht alleine lösen kann. Die Hipster Antifa lacht. Die Erweiterung des mobilen Durchblicks um Rostock-Lichtenhagen ist in Planung. Denn irgendwie fehlt da derselbige. Dort ging bekanntlich der Multikulturalismus ganz ohne Internet in Flammen auf, mit Molotowcocktails von Linksextremisten. Die verbrecherischen gerotteten provozierenden "mehr als 100 Vietnamesen" in den Häusern sind bis heute nicht gefasst. In dieser Logik hat das 3. Reich den Weg in die deutsche Demokratie geebnet. Wer es noch nicht gemerkt hat: Dieser geschichtsblinde Unsinn ist keine Trollerei aus dem Internet. (jk)