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Was war. Was wird.

Geschichte ereignet sich zwei Mal, einmal als Tragödie, einmal als Farce. Auch keine neue Erkenntnis, wenn man seinen Marx gelesen hat. Sie bleibt aber allzu oft auf der Strecke, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Haben nicht alle was zu Snowden gesagt. Der Peter, der Erich, die Doro. Und natürlich konnte ich auch nicht die Klappe halten. Schließlich steht seit den Worten des großen Uhls die Frage im Raum, ob Deutschland nicht von Sicherheitsbeamten regiert wird. Das alles wird natürlich vom gelahrten Feuilleton getoppt, das Edward Snowden zum Pfingstwunder erklärt und seine Enthüllungen als Emanation des pfingstlichen Geistes der Freiheit begreift. So geschehen damals, bevor es Spiegel Online gab, als die Anhänger von Jesus Christus an die Öffentlichkeit traten und Unerhörtes frei heraus sagten. So sieht es jedenfalls Heribert Prantl in seiner Sonntagspredigt in der Süddeutschen Zeitung, die derzeit noch hinter einer Firewall steckt.

"Sein Outing am Pfingstmontag vor einem Jahr war ein Akt pfingstlicher Freiheit, eine Art modernes Pfingstwunder – es hat nichts mit Religion zu tun, sehr wohl aber mit dem Geist der Freiheit, also mit dem Geist der Aufklärung. Snowden hat eine globale Großinquisition aufgedeckt und musste fliehen vor dem Großinquisitor."

*** Klingt gut, ihr Christen und Verehrer höherer Wesen, ihr Aufklärer, ihr erzürnten Neumacher, so kurz vor dem Clean-Slating von einem paradiesischen Neuland? Was ist eigentlich, wenn das Outing keine pfingstlich-religiöse Großtat im Geiste der Aufklärung war? Die unerhörte Tatsache, dass die USA ein monströses Speicherprogramm für "Metadaten" unterhält, wurde im Jahr 2006 von USA Today veröffentlicht und auch in diesem wunderbaren Newsticker bekannt gemacht. Was folgte, waren Klagen von Aktionären, unterstützt von der ACLU, nicht unähnlich, wie jetzt über Vodafone gegrummelt wird. Doch damit hatte es sich. Das Thema verlief im Sande, das Netz war noch nicht kaputt genug, die Nutzung der Smartphones noch unterentwickelt und twttr eines dieser verrückten Startups mit unklaren Ideen. "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."

*** Mehrfach sind im Zuge der NSA-Enthüllungen von Edward Snowden Powerpoints und Daten veröffentlicht worden, die Snowden selbst oder zumindest sein Austräger Glenn Greenwald falsch interpretierten. Darauf macht an diesem sonnigen Pfingsten die tageszeitung aufmerksam mit einem Artikel über die Spuren der Überwacher:

"Im vorigen Sommer tauchte eine Zahl auf, die zunächst alle elektrisierte. Rund 500 Millionen Kommunikationsvorgänge "aus Deutschland" erfasse die NSA jeden Monat, meldete der Spiegel unter Verweis auf Edward Snowden. Erst nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass die Zahl sich gar nicht auf Telefonate und E-Mails in Deutschland bezieht. Vielmehr auf die Daten, die der Bundesnachrichtendienst (BND) im Ausland sammelt und der NSA zur Verfügung stellt. "

Nun ist die Zahl zwar aus der Welt, doch die Idee von der Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung ist geblieben, verbunden mit der Hoffnung von Tausenden, dass der Generalbundesanwalt die Geheimbuden aufmischt. Doch für den hat der Schutz des Staates und seiner Behörden wie dem Bundesnachrichtendienst Vorrag. In dieser Hinsicht sind die 553.044.811 Datensätze von Boundless Informant aus Afghanistan, die der BND der NSA zur Analyse überließ, einfach Teil des "Ringtausches", den die Dienste untereinander pflegen. Und dass jeder Dienst Akten über ausländische Regierungschefs und Minister anlegt, in denen auch die Nummer von Merkels Privathandy gespeichert ist, dürfte zum allgemeinen Business von Spion & Spion gehören. Es kann ja nützlich sein, mal eben den mächtigsten Joker der Welt anzurufen, wenn man nicht weiß, dass mit einer DDR-Waschmaschine Bier gebraut werden konnte.

*** Auch zu Beginn der Snowden-Enthüllungen gab es schwere Fehler, als die Arbeit von Prism sowohl in den USA als auch in Gtroßbritannien als NSA-Programm dank der Interpretation von Snowden falsch eingeschätzt wurde. So war es für Firmen wie Google ein Leichtes, die Zusammenarbeit mit der NSA abzustreiten, weil technisch das FBI das Sagen hatte. Inzwischen hat man da Übung im Beteuern, dass die gesamte Firma in Aufruhr ist und die Mitarbeiter wütend sind. Die hohe Kunst des spezifischen Dementi will erst einmal gelernt sein: "Es gab keine längerfristigen Vereinbarungen, wir arbeiten nicht zusammen, es gibt keine Genehmigung, auf unsere Infrastruktur zuzugreifen. Das gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben."

*** In dieser Woche wurde bekannt, dass Jaron Lanier den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt. Was als schon lange verdiente Würdigung eines Vertreters der digitalen Welt gefeiert wird, ist auf eine andere Weise auch bedauerlich, weil es als verkappte Kriegserklärung der Internet-Verächter interpretiert werden kann. Das gefeierte Programmier-Wunderkind des Jahres 1984 hat mit seiner wütenden Kritik der Open-Source-Bewegung als eine Spielart des den Programmierer enteignenden digitalen Maoismus viel Porzellan zerschlagen. Umso mehr wird er nun gefeiert, gar als Informatiker, der das Internet mitentwickelte, was insoweit Unfug ist, als es von Lanier selbst als technischem Leiter des Internet2-Projektes zurückgewiesen wurde. Aber es passt zu der inbrünstigen Überhöhung, in der ein Joe Weizenbaum gleich zu einem "Computer-Halbgott" verklärt wird und Snowdens Enthüllungen zu einem "Los Alamos der Digitalwelt". Es fehlt nicht viel am Pfingstwunder, komplett mit Schwafelei vom Gottesbezug des Grundgesetzes. "Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander." Nur den Verstand hatten sie vergessen:

"Der Friedenspreis an Lanier kommt zu einem Zeitpunkt, wo auch die deutsche und europäische Industrie ahnt, was auf sie zukommen wird, wenn einige wenige Giganten mehr über ihre Kunden und einige Geheimdienste mehr über ihre Pläne wissen, als sie es je für möglich hielten."

*** Nein, die deutsche und europäische Industrie ahnt nichts, sie weiß sogar etwas. Das ist außerordentlich schlicht: "Der Zug ist abgefahren." Das wird aber leider von Philosophen und Feuilletonisten und Politikern übersehen, die davon schwärmen, dass es im IT-Bereich eine deutsche oder auch europäische Industrie geben könnte, in der wahnsinnig viel Energie drin ist, die man sich nur selber überlassen müsste, um den großen Gegenplan mit "Maschinen des Vertrauens" gegen die geheimen Dienste des Misstraues in Bewegung zu setzen. In dieser kleinen Wochenschau habe ich schon häufiger darauf hingewiesen, dass nix Deutsch hier ist, nicht am Internetknoten und nicht mehr bei den Herstellern von Routern und Rechnern. Wenn selbst der nigelnagelneu eingerichtete Bundesnachrichtendienst keine KVM-Switches einsetzt, sondern zwei Bildschirme jeweils für den roten (streng geheim) und den blauen (geheim) Thin Client eines US-Herstellers, sollte das zu denken geben.

Was wird.

Die technologische Souveranität Deutschlands steht sogar im Koalitionsprogramm. Doch mit der politischen Souveranität ist es nicht weit her. Auf nach Moskau ist die Devise. Ob es eine Kaffeefahrt ist oder eine machtvolle Demonstration deutscher Politiker gegen die schreiende Illegalität US-amerikanischer Bespitzelungen, ist noch nicht ausgemacht. Es ist übrigens egal. Jedenfalls, solange es Politiker wie Hans-Peter Uhl gibt, die allen Ernstes ausgerechnet vom Bundesnachrichtendienst erklärt bekommen müssen, wie E-Mails geleitet werden. Immerhin mit richtiger Erkenntnis des Mannes, der da glaubt, dass Deutschland von Sicherheitsbeamten regiert wird:

"Es geht nicht um den kürzesten Weg, sondern allein nach finanziellen Gesichtspunkten. Wenn Sie innerhalb Deutschlands eine E-Mail verschicken, ist es durchaus denkbar, dass diese über die Vereinigten Staaten und wieder zurück läuft. /.../ Für mich war das neu. Wenn das so ist, dann ist diese vollmundige Erklärung, auf deutschem Boden müsse deutsches Datenschutzrecht gelten, eigentlich eine ziemlich hohle Erklärung."

Ganz ohne machtvolle Namen wie Amnesty International hat ein kleines Grüppchen von Campact gezeigt, dass 40.000 Bundesbürger ein Bett für Snowden frisch bezogen haben. Auf der Demonstration wurde bekannt, dass am Mittwoch in Deutschland eine Courage Foundation an den Start geht, die Spendengelder für Snowden einsammeln soll. Nach all den Petitionen, Plakataktionen und Übernachtungshinweisen, nach einem Jahr NSA-Enthüllungen ist das schon bemerkenswert. Was wohl aus den Spenden für das Crowdfunding-Projekt "Fly Edward Snowden Fly" geworden ist? (jk)