Hightech-Strategie mit Hindernissen im schwarz-roten Koalitionsvertrag

Die Telekom hat sich mit ihrer Forderung nach Wettbewerbsschutz beim geplanten Glasfasernetz durchgesetzt. Die Probezeit kann künftig 24 Monate betragen und eine Rasterfahndung soll Missbräuche bei Hartz IV verhindern.

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In 7031 Zeilen auf 143 Seiten haben Union und SPD ihre Ziele für die laufende Legislaturperiode festgeschrieben. Der mittlerweile auch im Internet veröffentlicht Koalitionsvertrag (PDF-Datei) steht unter dem Titel "Gemeinsam für Deutschland -- mit Mut und Menschlichkeit". Schwarz-Rot will sich damit vor allem den großen Herausforderungen Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demographischer Wandel und der Veränderungsdruck der Globalisierung stellen, "um heutigen und künftigen Generationen ein Leben in Wohlstand zu sichern." Im Vordergrund steht die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, wobei letztere direkt mit dem Bereich Technologie verzahnt werden soll. Das Ermöglichen von Innovationen ist ein Hauptanliegen der Koalitionspartner. Auf die ausgemachten "Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus" wollen sie durch eine "konsequente Sicherheitspolitik", die stärkere Verknüpfung von innerer und äußerer Sicherheit sowie die Überprüfung von Datenschutzregeln reagieren.

Um "Chancen für Innovation und Arbeit" zu schaffen, will Schwarz-Rot einen Aktionsplan "High-Tech-Strategie-Deutschland" erarbeiten. "Wir müssen in Deutschland vor allem durch permanente Innovationen Wettbewerbsvorsprünge erzielen, damit wir umso viel besser werden, wie wir teurer sind", greift die Vereinbarung ein geflügeltes Wort der designierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in diesem Zusammenhang auf. Gebündelt werden sollen in dem Strategiepapier unter anderem Maßnahmen für die "Stärkung von Spitzen- und Querschnittstechnologien wie Biotechnologie/Lebenswissenschaften, Materialforschung, Nanotechnologie, Mikrosystemtechnik, optische Technologien, IuK, Mechatronik, Luft- und Raumfahrt oder Energie- und Umwelttechnik". Gleichzeitig wollen die beiden großen Fraktionen "Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums und zur besseren Nutzung von Normen und Standards durch Wissenschaft und Wirtschaft" forcieren. Dem "Trend zur Abschottung von Märkten" etwa mit "Hilfe des Patentrechts" soll aber "mit internationalen Vereinbarungen" begegnet werden.

Mit einer Reihe ausgewählter innovativer technologischer "Leuchtturmprojekte" wollen die Koalitionspartner ferner die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Technologiestandortes Deutschland stärken. Dazu soll das europäische Satellitennavigationssystem Galileo "mit führenden Missionskontroll- und Technologiezentren" hierzulande genauso zählen wie die Weiterentwicklung der Brennstoffzellentechnologie, die Entwicklung konventioneller hocheffizienter Kraftwerke "mit Ziel Nullemission", der Aufbau "mindestens einer Transrapid-Referenzstrecke" sowie die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Zu dem umstrittenen IT-Großprojekt schweigt sich der Vertrag ansonsten aber aus. Im Abschnitt zum Gesundheitssektor heißt es nur noch, dass der "Missbrauch der Versichertenkarte konsequent bekämpft werden muss".

Schon im Vorfeld heiß umkämpft war ein Sonderweg in der Innovationspolitik, nämlich die Festschreibung einer Anti-Wettbewerbsklausel für das geplante ultraschnelle Glasfasernetz der Deutschen Telekom. Der rosa Riese konnte sich letztlich mit seiner Forderung durchsetzen. Die Koalitionsparteien sind sich auf Druck der Union hin nun einig, dass sie "zur Sicherung der Zukunft des Industrie- und Forschungsstandorts Deutschland Anreize für den Aufbau bzw. Ausbau moderner und breitbandiger Telekommunikationsnetze schaffen" wollen. Die Stimuli sehen sie aber nicht im Wettbewerb, vielmehr schreiben sie: "Dazu sind die durch entsprechende Investitionen entstehenden neuen Märkte für einen gewissen Zeitraum von Regulierungseingriffen freizustellen, um für den Investor die notwendige Planungssicherheit herzustellen." Die Absicherung soll durch eine erneute Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) erfolgen.

Scharfe Kritik kommt hier vom Verband der Telekom-Konkurrenten, dem VATM. Dessen Geschäftsführer Jürgen Grützner beklagt einen "ordnungspolitischen Fehlstart der Großen Koalition" und spricht von einem "verheerenden politischen Signal". Der geplante Regulierungsverzicht komme der Vergabe eines neuen Monopols gleich. Die Politik setze mit dem Glauben an das Investitionsversprechen der Telekom in Höhe von drei Milliarden Euro "die Investitionen der Wettbewerber in Höhe von 10,5 Milliarden Euro seit 2000 aufs Spiel und gefährdet weitere fast 8 Milliarden Euro bis 2010." Enttäuscht von der wirtschaftlichen Kompetenz der "Regierung Merkel" zeigt sich auch Jan Mönikes, Geschäftsführer der Initiative Europäischer Netzbetreiber. Sollten die Gerüchte stimmen, dass mit der Klausel ein persönliches Versprechen Merkels an den Vorstand der Telekom eingelöst werde, könnte es sich "um den ersten handfesten politischen Skandal der neuen Kanzlerin" handeln.

Weitere Pläne der Großen Koalition haben ebenfalls bereits für Unmut gesorgt. Festgeschrieben ist nun aber trotz der starken Bedenken von Gewerkschaften eine deutliche Lockerung des Kündigungsschutzes. So sollen Arbeitgeber bei der Neueinstellung künftig mit Arbeitnehmern eine zweijährige Probezeit vereinbaren dürfen. Andererseits soll aber die Möglichkeit gestrichen werden, "Arbeitsverträge in den ersten 24 Monaten sachgrundlos zu befristen". CDU, CSU und SPD hoffen, damit "die Zahl der arbeitsgerichtlichen Verfahren und das Prozessrisiko der Arbeitgeber zu verringern" und zugleich für Arbeitnehmer "eine verlässliche Vertragsgrundlage" zu schaffen.

Einig geworden sind sich die Vertragspartner ferner, Missbrauch beim Arbeitslosengeld II erschweren und die "Hartz-IV"-Reform durch organisatorische Maßnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit "kurzfristig optimieren" zu wollen. Helfen soll eine Art Rasterfahndung in den Datenbänken öffentlicher Behörden und in Teilen der Privatwirtschaft: "Wir werden die gesetzliche Grundlage für eine Erweiterung des Datenabgleichs schaffen, um auch im Ausland existierende Konten und Depots von Leistungsbeziehern aufzudecken."

Bildung und Wissenschaft sehen die Koalitionspartner als den "Schlüssel zur Zukunft". Die volkswirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollen daher einer "gemeinsamen Kraftanstrengung" von aktuell 2,5 auf 3  Prozent des Sozialprodukts bis 2010 angehoben werden. Das deutsche Hochschulsystem soll unter Schwarz-Rot internationalisiert, die "Exzellenzinitiative" zur Förderung von "Elite-Unis" fortgeführt werden. In der Frage von Studiengebühren sind die Regierungspartner nach wie vor "unterschiedlicher Auffassung". Das BAföG soll aber in seiner jetzigen Struktur erhalten und durch eine gezielte Begabtenförderung ergänzt werden. Konkretes zum Streit um die künftigen Freiheiten zur Verwendung digitaler Kopien in Forschung und Lehre im Rahmen des auslaufenden Artikels 52a im Urheberrechtsgesetz lassen die Vertragspartner nicht verlauten. Sie beschränken sich auf die Ansage: "Wir wollen ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht."

Die Basis der drei angetretenen Regierungsparteien sollen nun in der folgenden Woche das Papier bestätigen, das auch etwa einen Neuanlauf beim Verbraucherinformationsgesetz, beim Rechtsschutz bei der Telekommunikationsüberwachung sowie eine Überprüfung des Großen Lauschangriffs ankündigt. Am kommenden Freitag wollen es die Fraktionsspitzen unterzeichnen. Wie viel Wert es in der praktischen Regierungsarbeit haben wird, wird sich wie immer an den konkreten politischen Realitäten erst erweisen. Einige Versprechen beziehungsweise Androhungen früherer Koalitionsvereinbarungen blieben jedenfalls unerfüllt. (ad)