Im VW-Skandal sollen Deutsche nicht Verbraucher zweiter Klasse sein

In einem Bericht beleuchtet die Bundesregierung die Rechtslage zum Abgas-Skandal und regt strukturelle Reformen an.

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Im VW-Skandal sollen Deutsche nicht Verbraucher zweiter Klasse sein

(Bild: dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Anne-Béatrice Clasmann
  • Heiko Lossie
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

In der Affäre um manipulierte Abgas-Werte bei Volkswagen wollen Verbraucherschützer verhindern, dass der VW-Konzern mit zweierlei Maß misst: Hier die US-Käufer, dort die europäischen Autobesitzer. Erst vor wenigen Tagen forderte EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska bei einem Treffen mit VW-Konzernchef Matthias Müller, betroffene VW-Kunden in der EU müssten genauso entschädigt werden wie die Kunden in den USA. Dort bekommen sie je 1000 Dollar (knapp 1000 Euro), und zwar in Form von Bargeld und Gutscheinen für VW-Händler. Auch kostenlose Pannenhilfe ist Teil dieses Paketes.

VW hält dem entgegen, die Situation in den USA sei nicht mit der Lage auf anderen Märkten vergleichbar. Beispielsweise müssten US-Kunden "wahrscheinlich länger auf geeignete Lösungen warten als in den meisten anderen Ländern", sagte ein Sprecher. In den USA ist der Rückrufplan – anders als hierzulande – noch nicht geklärt. Dort drohen VW Rückkäufe von rund 100.000 Wagen. "Wir schnüren individuell für jeden Markt ein Maßnahmenpaket", heißt es bei VW. Details dazu sind noch weitgehend unklar. Kostenlose Ersatzwagen gehören aber wohl dazu.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schlägt jetzt vor, eine unabhängige Schlichtungsstelle für Beschwerden von Neuwagen-Käufern einzurichten. Das könnte es Verbrauchern leichter machen, ihre Rechte auch ohne Anwalt durchzusetzen.

Was die Autohersteller noch viel mehr interessieren dürfte, ist seine Idee, die Befugnisse des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zu beschneiden. Die Behörde erteilt bislang nicht nur die EG-Genehmigung für neue Fahrzeugtypen. Sie kontrolliert auch, ob Fahrzeuge, die bereits auf der Straße sind, die gleichen Abgasemissionswerte aufweisen, die bei der ursprünglichen Genehmigung ermittelt worden waren.

In dem Bericht aus dem Justizministerium heißt es: "Es wird zu prüfen sein, ob und welche Konsequenzen sich für den Aufgabenbereich des KBA ergeben." Das klingt nach einem Misstrauensvotum. Und es wirft die Frage auf, wer künftig einzelne Aufgaben der Behörde übernehmen könnte.

Das Umweltbundesamt (UBA), das dem SPD-geführten Bundesumweltministerium unterstellt ist, hat sich auf jeden Fall schon einmal in Stellung gebracht. UBA-Präsidentin Maria Krautzberger hatte im Dezember angekündigt, ihre Behörde werde künftig eigene stichprobenartige Abgasmessungen durchführen, mit denen der Stickstoffdioxid-Ausstoß von Fahrzeugen überprüft werden soll.

Der Abgas-Skandal bei VW

Um Manipulationen zu erschweren, will das UBA die Emissionen im fahrenden Auto messen. Denn bei diesem Verfahren kann man nach Ansicht von Experten nicht so leicht betrügen wie bei den bislang vorgeschriebenen Tests auf dem Rollenprüfstand.

Das Umweltbundesamt kämpft schon seit Jahren mit einem Problem: Die Emissionswerte, die von den Fahrzeugherstellern veröffentlicht werden, passen in der Summe nicht so recht zur Schadstoffbelastung, die das UBA in der Luft misst. Mit den von Volkswagen inzwischen eingeräumten Tricksereien alleine lässt sich diese Diskrepanz nicht erklären. Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Renate Künast (Grüne), sagt: "Es könnte durchaus sinnvoll sein, dass das Umweltbundesamt die Zuständigkeit bekommt." Dann sei eine "tabulose" Überprüfung der Autos sichergestellt.

US-Umweltbehörden deckten den VW-Abgas-Skandal im vergangenen Jahr auf. Europas größter Autohersteller ist inzwischen von den USA verklagt worden; es drohen Strafen, die theoretisch Dutzende Milliarden Euro betragen können. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Betrugs. In beiden Ländern gibt es Zivilklagen.

Auch das Europäische Parlament will Konsequenzen aus der Abgasaffäre ziehen und hat in Straßburg kürzlich die Mitglieder eines 45-köpfigen Untersuchungsausschusses benannt. Er soll möglichen Verstößen der Autoindustrie gegen das Unionsrecht für Emissionsmessungen nachgehen. Zudem soll der Ausschuss vermutete Versäumnisse der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten untersuchen. Einen Zwischenbericht soll es bis zum Sommer geben, den Abschlussbericht spätestens Anfang 2017.

Von dem Skandal betroffen sind jedoch nicht nur die Autobesitzer. Der Bericht aus dem Justizministerium befasst sich auch mit möglichen zivilrechtlichen Ansprüchen von Anlegern, deren VW-Aktien an Wert verloren haben. Umweltschützer haben dagegen eine ganz andere Gruppe im Blick: Vor allem für Asthmatiker, die an vielbefahrenen Straßen wohnen, stellt eine hohe Stickstoffdioxid-Belastung ein gesundheitliches Risiko dar. (anw)