Kommentar zu E-Autos: Von Hennen und Eiern

Von wegen Ladeangst: E-Autos sind längst keine Nische mehr, sondern komplett alltagstauglich, resümiert Sven Hansen nach seinem 750 Kilometer langen Selbstversuch.

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Kommentar zu E-Autos: Von Hennen und Eiern
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  • Sven Hansen
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Ein Kommentar von Sven Hansen

c't-Redakteur Sven Hansen kümmert sich bei c't um vernetzte Heimunterhaltung, Smart Home und Automotive-Themen wie Elektromobilität oder autonomes Fahren. Außerdem schreibt er gerne Reportagen.

Ständig werden E-Autos in irgendwelchen Nischen präsentiert. Das nervt gehörig. Als PS-strotzende Protzkisten wie Teslas Model S, als Design- und Machbarkeitsstudien wie BMWs i3 oder als elektrifizierte Witz-Mobile wie Citroêns jüngst angekündigtes Méhari-Remake. Und nun – für mich ganz unerwartet – sitze ich im Jahre 2016 in einem Auto, das im besten Sinne "langweilig" ist und einfach nur fährt? Das kann doch nicht sein.

Mit einem Nissan Leaf Tekna fuhr ich von Hannover Richtung Alpen und hatte mich für die rund 750 Kilometer innerlich auf einiges vorbereitet – die kalkulierte Reisedauer von zweieinhalb Tagen spricht Bände. Von den angegebenen 250 km Reichweite standen schon beim Einsteigen nur 200 km auf der Reichweitenanzeige – das ließ Böses ahnen. Doch dann kam alles anders.

Der Leaf ist ein elektrifiziertes Serienfahrzeug, das einen einfach und komfortabel von A nach B bringt. Nicht mehr, nicht weniger. Diese Erkenntnis hat mich ziemlich umgehauen, denn bisher war ich mir nicht sicher, ob es überhaupt alltagstaugliche Elektrofahrzeuge für den Massenmarkt gibt. Es gibt sie, wenn auch vielleicht noch nicht von deutschen Herstellern. Die scheinen sich momentan noch auf die Konzeption von Feigenblattprodukten zu spezialisieren, die vor allem den durchschnittlichen CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte aufhübschen sollen.

Fahrtenbuch einer E-Auto-Fahrt: Vom Flachland in die Alpen und zurück

Die begrenzte Reichweite gilt als Achillesferse heutiger Elektroautos. Doch wie schaut es in der Praxis aus? c't-Redakteure machten sich auf den Weg – vom hohen Norden rund 720 Kilometer nach Österreich und wieder zurück.

Ich litt auf der Fahrt in den Süden kein einziges Mal an akuter Ladeangst, wie ich sie dereinst im e-Golf oft schon bei der Fahrt vom Hof verspüren musste. Wie weit ich mit welcher Fahrweise kommen würde, war für mich im Cockpit des Leaf nie eine Frage. Das Beste daran: In einem Elektrofahrzeug macht das langsame Fahren genau so viel Spaß wie das schnelle Fahren.

Ebenso überrascht war ich von dem, was ich an den Zapfsäulen erleben musste. Bezahlprobleme? Von wegen. Mit dem RFID-Chip im Schlüsselanhänger oder auf der Ladekarte kam ich schneller zum Zug als am Sanifair-Automaten auf der Raststätte nebenan – ich hasse Bargeld. Meine Angst vor verstopften Ladesäulen? Löste sich schnell in Luft auf. Ich war fast alleine Unterwegs. Eine Schnellladung über den Chademo-Stecker pumpte die Akkus mit 40 kW in der Pinkelpause auf.

Und selbst, wenn bald deutlich mehr Stromer auf den Straßen rollen: Der Ausbau des Ladesäulennetzes ist nicht zu vergleichen mit dem Aufwand beim Bau einer Tankstelle mit explosivem Flüssigtreibstoff. Entlang der Autobahnen werden die Säulen aus dem Boden sprießen um die E-Autos mit günstigen Lademöglichkeiten anzulocken. Das könnte sogar das Tankstellen-Oligopol der Mineralölgesellschaften ins Wanken geraten.

Serienreife Fahrzeuge sind verfügbar, der Ausbau der Ladestationen scheint machbar. Trotzdem höre ich überall vom ach so tragischen "Henne-Ei-Problem". Ich weine. Die Wahrheit ist: Es sind genug Hennen und Eier da – greifen Sie zu. Vater Staat legt noch 4000 Euro ins Handschuhfach. Dass die E-Auto-Prämie in abgespeckter Form auch für Dreckschleudern mit elektrifiziertem Turboknopf rausgehauen wird, dürfte vor allem der intensiven Lobby-Arbeit der deutschen Automobilindustrie geschuldet sein. Die hat in Sachen E-Mobilität nämlich momentan wenig im Köcher – zumindest keinen massentauglichen "Volkswagen".

Ein letzter Hinweis an die Betreiber der Ladesäulen: Baut Dächer. Auf meiner Reise nach Österreich standen alle Säulen auf der freien Fläche – beim Herumhantieren mit einem 50-kW-Gleichstromstecker fühlt man sich im Trockenen einfach Wohler. Ansonsten steht der Elektrowende aus meiner Sicht nichts mehr im Weg. Wenn die Kundschaft all die Hennen und Eier für sich entdeckt hat, werden die Verbrennungsmotoren schneller verschwinden, als wir uns das heute vorstellen können.

Etappe 1: Ziel Nörten-Hardenberg (3 Bilder)

Warum Nörten-Hardenberg? Ganz einfach: Dort steht die erste Stromzapfsäule auf der Route nach Österreich.

Etappe 2: Über Kassel Richtung Süden (8 Bilder)

Upps, das Smartphone hat auf dem Elektroauto übernachtet. Glücklicherweise sind die Einwohner in Nörten vertrauenswürdig ...

(sha) / (axk)