Honda baut mit dem X-ADV den ersten Reiseenduro-Roller

Klartext: Die letzte Konsequenz

Die traditionelle Reiseenduro nimmt sich furchtbar ernst. Sie tut das wahrscheinlich, um zu verschleiern, wie lustig ihre schiere Existenz doch ist. Hondas neue X-ADV gibt sich dagegen der Heiterkeit ab Werk hin

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

„Tendenziell eher probieren als blind ablehnen“ hat sich als brauchbare Daumenregel herausgestellt für den Lebensentwurf „Weltbild geschmeidig halten“. Ich hatte noch nie viel übrig für den Fasching. Gerade deshalb ging ich dereinst auf einen Dorffasching, verkleidet als ein Nemo-Plüschfisch unter vielen, zu den Takten von „20 Zentimeter“ herumspringend um einen Wagen mit Plüschkorallen drauf, leicht bis mittel angeschickert Guzzis und Kondome auf die umstehenden Familien werfen. Ich habe Vergleichbares danach nicht wieder getan, möchte die Erfahrung aber nicht missen im Spukschlösschen der Erinnerungen. Dasselbe gilt für meine Er-fahrungen im Bereich „SUV / Reiseenduro“.

Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ein Hängebauchschwein wie der Mercedes GLA ein besseres 360°-Kamerasystem hat als seine großen Brüder (GLC & GLE)? Oder dass ein GLE mit seinen drei offenen Differenzialen recht souverän durch den Matsch stiefelt? Wer hätte gedacht, dass fette Schweineeimer von Reiseenduros zwar vorhersehbar anstrengend fahren im Dreck, dich aber durch ihre Präsentation motivieren, genau das öfter zu tun? In den Alpen oder Vogesen herumschottern hat viel mehr Spaß gemacht als gedacht. Und jetzt kommt Hondas X-ADV auf den Markt: ein Reiseenduro-ROLLER. Sofort ausprobieren!

Land of the Scooter

Vergleichbare Ideen hatten schon mutige Umbauer in den Adventure-Foren, die zum Beispiel alte Yamaha T-Maxe umrüsteten auf einen Offroad-Look. Aber dass jemand das in Großserie baut, hätte man damals noch nicht gedacht, als man sich an seinem Keyboard über diese herrlich abwegigen Konstruktionen totlachte. In Hondas Präsentation spricht der italienische „Produktstratege“ der Firma Daniele Lucchesi von seinen Gründen, so etwas zu bauen: „Ich fuhr mit einem Mietroller an der Küste Griechenlands entlang. Wir wollten zu einem Strand. Aber es gab nur einen unbefestigten Weg. Also ging es nicht.“

Dieser Sprachbeitrag weckte mich sofort auf aus meiner Präsentationsbetäubung wie ein kollegial in den Kragen eingeführter Eiswürfel. Ein Italiener, der nicht zu einem Strand fährt, weil es keinen Asphalt bis ans Klohäuschen gibt? Unmöglich! Kürzungsfehler wahrscheinlich. Zum Glück klärte mich Kollege Walter Wille von der FAZ auf. Wie er schon in seinem Testbericht schrieb, fuhr der Italiener selbstverständlich den unbefestigten Weg zum Strand hinunter, mit seiner Liebsten auf dem Beifahrersitz. Der Federkomfort des Mietrollers ließ jedoch derart zu wünschen übrig, dass die Dame sich bitterlich beschwerte, was zur Inspiration führte, ihr einen fetten Sitz mit guten Feder-Dämpfer-Elementen darunter zu bauen. Wenn ich Walter richtig verstanden habe, war es sogar der Strand ihrer Jugend, damit die Geschichte italienisch schlüssig wird: jeder Grund mit einem Schuss Liebe.

Keine Nasenbärleuchte

Als ich den X-ADV in Deutschland fahren kann, muss ich mir solche warmen Gedanken machen, denn das Thermometer sagt 8° C und es schifft wie aus Gießkannen. „Das ist KEIN Roller“, sagt Honda mir noch vor der Abfahrt, was mich verwirrt, weil der X-ADV natürlich direkt von Hondas Großroller Integra abstammt. Das heißt: motorradnahes Chassis mit Doppelkupplungsgetriebe. Hier ging Honda einen kleinen Schritt zurück vom Motorrad, baute hinten ein kleineres Rad ein (15 statt 17 Zoll), damit unter der Sitzbank endlich ein gescheiter Helm hineinpasse (Staufach mit 21 Litern statt 15 wie beim Integra) statt nur ein sehr flacher, verformbarer Fahrradhelm. Dazu kommt ein Keyless-System, das mich als wandelnden Störsender zwar zur Verzweiflung bringt, Andere aber mit dem Komfort erfreuen könnte, den Schlüssel in der Jacke lassen zu können. Mir gefällt sogar die Gestaltung, mit schicken, gleißend hellen LED-Doppelscheinwerfern statt der Nasenbärleuchte des Integra. Eigentlich ist der X-ADV ein besserer Integra, der sich mit entsprechend erhöhtem Preis noch einmal neu gegen die Konkurrenz von BMW und Yamaha aufstellt.