Zwischen Paranoia und Beruhigung: Elektro-Streit im Daimler-Stammwerk

Die Konzerne stecken Milliarden in den Durchbruch des Elektroautos. Dass aber niemand so genau weiß, wann dieser kommt, macht die Zukunftsplanung nicht leichter. Bei Daimler wird hart verhandelt.

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CES

(Bild: Daimler)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nico Esch
  • Jan Petermann
  • dpa
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Wenn es um die Zukunft von Daimlers Stammsitz geht, findet Frank Deiß drastische Worte. "Das ist so eine Gratwanderung zwischen Erzeugen von Paranoia und Verabreichen von Beruhigungspille", sagt der Fabrikchef. Ausgerechnet hier – im Nervenzentrum des Oberklasse-Autobauers in Stuttgart-Untertürkheim – lässt sich beobachten, dass der Weg in die Ära der Elektromobilität auch für finanziell gut aufgestellte Großkonzerne nicht leicht ist.

Deiß leitet das Werk, einen Standort mit rund 19.000 Beschäftigten und mehr als 100 Jahren Geschichte im Autobau. Gefertigt werden unter anderem Motoren und Getriebe – und genau darum machen sich die Leute hier deutlich mehr Sorgen als ihre Kollegen an anderen Orten.

Was soll aus ihnen werden, wenn das Elektroauto immer mehr an Bedeutung gewinnt und der Verbrennungsmotor womöglich irgendwann ausgedient hat? Seit Wochen verhandeln Betriebsrat und Unternehmen über konkrete Pläne für Untertürkheim, werden sich aber nicht einig.

Für die Beschäftigten kann die E-Mobilität Segen und Fluch zugleich sein. Denn einerseits soll sie die Zukunft der Branche angesichts immer strikterer Klimaschutzvorgaben und der Dauerdebatte über den Diesel sichern. Andererseits benötigen Elektroautos ganz andere Teile als Verbrenner, und insgesamt dürfte das Volumen an Arbeit sinken.

Das Auto der Zukunft fährt elektrisch – das ist ziemlich sicher. Aber viel mehr lässt sich heute eben kaum sagen. Dafür sind entscheidende Faktoren wie Reichweite und Ladeinfrastruktur zu schwer abzusehen. Von "extrem vielen Unsicherheitsfaktoren" spricht Willi Diez, der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen.

Inzwischen beteiligen sich mehrere Unternehmen auch aus der Energiewirtschaft am Ausbau des noch dünnen Ladenetzes. Das Hauptproblem sei aber die Frage, wie viele reine E-Autos künftig verkauft werden und wie viele der diversen Mischformen, die weiter auch einen Verbrenner an Bord haben, meint Diez. Entsprechend müsste die Produktion ausgerichtet sein, mit Konsequenzen für die Arbeitsplätze.

Mercedes Generation EQ (10 Bilder)

Daimler hat im September 2016 in Paris mit der Studie Mercedes Generation EQ eine eigene Marke für einen Neuanfang bei der E-Mobilität angekündigt.

"Da stochert jeder ein bisschen im Nebel", sagt der Experte und ergänzt mit Blick auf die von Betriebsräten geforderten Zusagen: "Ich verstehe jeden Hersteller, dass er keine Garantien gibt." Diez glaubt auch, dass übermäßige Eile nicht nötig ist. Der Wandel komme – aber noch nicht jetzt. "Wir reden da eher über 2030 als über 2020."