Industrie 4.0: Verfassungsschutzchef warnt vor Massendaten im "Hochrisikoraum"

Hans-Georg Maaßen hat ein zwiespältiges Verhältnis zum Datenschutz. Als Oberspion zeigt er "großes Interesse an Big Data", bei der Industrie und den Bürgern mahnt er zugleich mehr Sensibilität bei der Datenfreigabe an.

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Industrie 4.0: Verfassungsschutzchef warnt vor Massendaten im Hochrisikoraum
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Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, hat für ein "Mehr an Sensibilität gegenüber Massendaten" geworben. Die Wirtschaft und die Bürger müssten sich "stärker bewusst machen, was es bedeutet, wenn Daten preisgegeben werden", betonte der Geheimdienstchef am Donnerstag auf dem Entscheiderforum des Bundesverbands der IT-Anwender Voice in Berlin. Der Cyberspace sei "ein Hochrisikoraum", in dem man sich schon entsprechend verhalten müsse, "wenn man E-Mails verschickt oder sich irgendwo einloggt".

Hans-Georg Maaßen

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Die Industrie 4.0 hält der 54-Jährige für "eine unausweichliche Folge der digitalen Revolution", auch das vernetzte Auto sei "ein ausgesprochen wichtiges Projekt für die deutsche Wirtschaft". Wenn damit aber jeder auf die Daten im Fahrzeug zugreifen könne, befürchteten die Staatsschützer, "dass dies zu mehr Kriminalität und Hacking führen wird". Mit dem Internet der Dinge nehme die Angriffsfläche enorm zu, sodass hier "Schutzschilder" nötig seien. IT-Sicherheit sei so keine "Spaßbremse", sondern diene dazu, die hiesige Wirtschaft zu schützen und es ihr zu erleichtern, einschlägige Lösungen mit dem Prädikat "Made in Germany" weltweit zu verkaufen.

Auch dem NSA-Whistleblower Edward Snowden, den der Jurist im Bundestag voriges Jahr noch in die Nähe eines russischen Spions rückte, kann Maaßen in dieser Hinsicht etwas Gutes abgewinnen. Mit dessen Veröffentlichungen sei deutlich geworden, "wie wenig wir im Cyberraum souverän sind in Deutschland und Europa". Laptops, Router oder Smartphones kämen aus den USA oder Asien, vor allem kritische Infrastrukturen seien damit nur schwer zu schützen beziehungsweise in den Griff zu bekommen: "Wir brauchen ein Stück weit digitale Souveränität."

Helmuth Ludwig, der für IT bei Siemens verantwortlich ist und die Industrie vernetzen will, rieb sich an Maaßens Wahl des Begriffs Massendaten: "Wir nennen das Big Data, das klingt schon ganz anders", hielt er ihm entgegen. Der Geheimdienstler räumte rasch ein, "dass meine Behörde natürlich auch ein großes Interesse an Big Data hat" und er persönlich ein spezielles Verhältnis zum Datenschutz habe. Deutschland und Europa hätten hier "sehr ausdifferenzierte" Regeln. Wenn er darüber "mit den Amerikanern" spreche oder ein "Abkommen mit Vietnam" aushandle, verstünden ihn die Gegenüber an diesem Punkt oft gar nicht. Man dürfe es eben nicht übertreiben, sonst drohe eine "Phobie gegen die Weggabe von Daten".

Der Netzexperte der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, gab zu bedenken, dass hiesige IT-Großprojekte wie der elektronische Personalausweis oder das Sozialdatensystem Elena nicht so richtig gezündet hätten. Es bringe offenbar wenig, die Menschen im Bereich der Privatheit erziehen zu wollen: "Die Angst vor Massendatenspeicherung rauszulobbyieren ist nicht der richtige Ansatz."

Der Oppositionspolitiker appellierte an die eigene Zunft und die Internetwirtschaft, sich "mit Verve zu Rechtsstaatlichkeit zu bekennen" und etwa keinen Nutzer mithilfe von Algorithmen zu diskriminieren. Er wundere sich über den verhaltenen Protest aus der Industrie angesichts der von Snowden angestoßenen Erkenntnisse, dass Geheimdienste "an allen Glasfaserpunkten der Welt die Daten rausziehen" und jede deutsche Firma so ausgespäht werde. Dem Staat warf von Notz zudem Scheinheiligkeit bei der Cybersicherheit vor, wenn dieser "für Millionen Sicherheitslücken aufkauft, um Netze zu infiltrieren".

Eine "mangelnde Kreativität bei der Gesetzgebung zu Grundrechten" beklagte der EU-Abgeordnete Axel Voss. Nach wie vor werde in den einschlägigen Vorgaben auch in der EU die Datenverarbeitung generell verboten und im Nachgang in Ausnahmefällen erlaubt, sowie Big Data auch immer zugleich mit den damit potenziell einhergehenden Gefahren beschrieben. Mit der neuen Datenschutzverordnung gehe zudem ein Löschanspruch einher, obwohl dieser "nicht mehr realitätsnah" sei und Löschen immer dem "Wegwerfen von Daten" entspreche.

"Da denken wir zu alt", monierte der CDU-Politiker. Die nötige Balance rund um die Privatsphäre werde nicht erreicht, wenn künftig das in der EU vorgesehene Datenschutzboard mehr oder weniger wie das chinesische Zentralratskomitee ohne demokratische Legitimation agiere. Was mit der derzeit beratenen E-Privacy-Verordnung komme, bezeichnete Voss als "mittlere Katastrophe". Vielen Firmen sei etwa noch nicht bewusst, dass die Kommunikation zwischen einem Lkw und einem Server darunterfallen könnte.

Hinweis: "heise Events" ist Mitveranstalter des Voice-Entscheiderforums. (mho)