Flagge aus Gummirauch

Fahrbericht Kia Stinger GT

"Wer soll das denn kaufen?", fragten die meisten Autofreunde, als sie Bilder von Kias Stinger sahen, denn die Bilder verrieten es nicht. Man muss ihn fahren, dann ist die Antwort glasklar: Freunde der Fahrdynamik

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Kia 21 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

In der Hyundai Motor Group wurde Kia immer als die Marke mit der Prise mehr Lebensfreude beworben. Es gab nur kein Auto, das diese Aussage unterstrichen hätte. Bis jetzt. Auftritt Kia Stinger: Ein Auto, dem man am gelungenen, aber gesetzten Schreyer-Design nicht ansieht, wie sehr sich die Arbeit der koreanischen Ingenieure in Sachen Fahrbarkeit gelohnt hat. Der Stinger gehört zu meinen Geheimtipps.

Ob Kias Plan aufgeht, muss die Zeit zeigen. Markenbildung, das lehrt die Geschichte, ist ein zäher, langwieriger Prozess. „Wer soll das denn kaufen?“ in vielen Variationen hört man dann auch am häufigsten zum Kia Stinger. Die Frage impliziert, dass niemand so einen Wagen haben möchte. Ich kann mir schon vorstellen, wer so einen Wagen mögen könnte: Autofreunde, denen das Fahren sehr wichtig ist, die Marke aber nicht. Eben diese kleine Zielgruppe soll Kias metaphorische Markenflagge bei ihren Stinger-Fahrten zeigen.

Anfängerkönnen

Dass Kia sich Fahrdynamiker holt, die ihr Auto auf europäische Art zu einem guten Chassis führen, war klar. Was bei solchen Projekten häufig weniger klar ist: Wie gut das gebotene von Endkunden dann auch genutzt werden kann, also die Bedienbarkeit, das Nutzer-Interface an Lenkrad und Pedalen. Ebendies ist so gut gelungen, dass es unser Grund war für diesen zweiten, ausführlicheren Fahrbericht. Wie einfach sich Kias ja doch recht groß und schwer gewordener Karren dirigieren lässt, war eine große, freudige Überraschung für mich. Das Heck fährt unter dir heraus, ein Schlenker der variablen unterstützten Lenkung sortiert das wieder ein. Auf dem Modus „Sport+“ darf das Heck schon so weit aus der Spur fahren, dass die meisten weder merken werden noch je brauchen, dass man das ESP auch komplett abschalten kann (einige Sekunden auf dem ESP-Aus-Knopf bleiben, bis eine zweite ESP-jetzt-aber-wirklich-aus-Lampe leuchtet). Erst wenn der ausladende Hintern des Stinger mit dem Schwung eines versehentlichen Scandinavian Flick überholen will, kommt der ESP-Hammer herunter. Dann hättest du da aber komplett ohne ESP mindestens genausoviel Zeit auf die Runde verloren. Alles sehr gut.

Sie haben es sicherlich schon herausgelesen: Kia baut den Stinger erst einmal grundsätzlich mit Standardantrieb (Hinterradantrieb mit Motor vorne). Das große V6-Modell mit 370 PS gibt es bei uns nur mit dem Allradantrieb. Der gibt bedarfsweise die Vorderachse per Lamellenkupplung Drehmoment auch auf die Vorderachse, wenn hinten Schlupf entsteht. In den Sportmodi liegt die Kraftverteilung standardmäßig auf ca. 80 Prozent hinten. Die Antriebsvariante ohne Allrad gibt es bei uns in den kleineren Modellen, einem 255-PS-Benzin-Vierzylinder und einem 200-PS-Vierzylinder-Diesel (beides Turbomotoren); den Diesel gibt es wahlweise auch mit Allrad. Beim reinen Hinterradantrieb legt Kia noch ein mechanisches Sperrdifferenzial drauf, das alle Journalisten nach dem V6 mit nur Hinterradantrieb schreien ließ, den der Konzern in anderen Märkten anbietet. Warten wir ab, was deutsche Kunden schreien, vielleicht kriegen wir den ja doch noch.

Selbst die Bremsen blieben auf dem zugegebenermaßen kleinen Kurs fester, als ihre Größenrelation zur Autogröße und vor allem zum immensen Gewicht (über 1900 kg) vermuten ließe. Gute Lüftung? Egal, funktioniert. Mich hat nur im normalen Verkehr gestört, dass das Bremsservo zu Beginn des Pedalwegs überproportional stark zuzieht, was die ganz leichten Bremsungen unnötig schwerer dosierbar macht.