Signorina aus China

Benellis Modelloffensive 2018

Benelli wurde vor zehn Jahren vom chinesischen Motorradhersteller QJ gekauft. Nach diesem Kulturschock startet Benelli eine Marktoffensive mit nicht weniger als zehn Modellen, angetrieben von chinesischen Motoren. Das Design ist italienisch, der Preis chinesisch

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  • iga
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Die 1911 gegründete Marke Benelli hat Höhen und Tiefen erlebt. 2005 war der damalige Besitzer Andrea Merloni gezwungen, die finanziell klamme Firma zu verkaufen und fand einen solventen Käufer in dem chinesischen Motorradhersteller Quinjiang. Eine europäische Motorradmarke unter asiatischer Leitung – kann das gut gehen? Aber ja, der Automobilsektor hat es vorgemacht. Volvo gehört seit 2010 zum chinesischen Geely-Konzern und Jaguar Land Rover seit 2008 der indischen Tata-Gruppe, und sowohl dem schwedischen als auch dem britischen Autohersteller geht es blendend. Jetzt startet Benelli eine Modelloffensive auf dem europäischen Markt.

Benellis made in China

Während der Merloni-Ära baute Benelli ab 2002 einige eindrucksvolle Dreizylindermotorräder, zunächst die Tornado 900, dann die TNT 1130. Sie waren kräftig und fielen durch ihr außergewöhnliches, aggressives Design auf. Aber leider auch durch viele Kinderkrankheiten. Als die reiche Unternehmerfamilie Merloni ihrem Sprößling Andrea den Geldhahn zudrehte, musste er die Marke loswerden. In China boomte derweil das Geschäft mit Rollern und Motorrädern. Die Quinjiang Group Company existiert bereits seit 1971 und ist somit eine der ältesten Zweiradhersteller im Reich der Mitte. Heute bauen 13.500 Mitarbeiter der Marke 1,2 Millionen Krafträder pro Jahr. Den Wunsch nach Expansion ins Ausland kam die Firma mit dem Label Keeway nach. Doch für den europäischen Markt waren die kleinen Kräder aus China nicht hochwertig genug. Da kam das Kaufangebot aus Italien gerade recht.

Das Design- und Entwicklungszentrum CentroStile Benelli gründete QJ – wie sich Quinjian der Einfachheit halber nennt – im Benelli-Stammsitz in Pesaro, gebaut wird aber in China. Es hatte eine Weile gedauert, bis die italienisch-chinesische Zusammenarbeit klappte, der Kulturschock war für beide Seiten groß. Mit dem großvolumigen Dreizylindermotor der TNT 1130 konnte man bei der Übernahme in China wenig anfangen. Also, setzten sich die Entwickler in Pesaro ans Zeichenbrett und die Ergebnisse können sich sehen lassen.

Kopien, aber günstig

Das Design des Naked Bikes BN 300 nahm bereits vor drei Jahren deutliche Anleihen bei der Kawasaki ER-6n, wird aber von einem kleineren 300er-Zweizylinder-Motor mit 38 PS angetrieben, der auch in der vollverkleideten Sportlerin BN 300 R zum Einsatz kommt. Darüber rangierte das Naked Bike BN 600 R, (2017 abgelöst durch die günstigere BN 600i) mit einem 82 PS starken Vierzylinder, am unteren Ende steht die kleine TNT 125 im Stile der Honda MSX 125.

Vor zwei Jahren beeindruckte dann die Benelli Leoncino 500 bei der Präsentation auf der Intermot in Köln als hübsches Retro-Bike und die TRK 502 als Reiseenduro, die wie eine verkleinerte Ducati Multistrada aussah. Auf den Markt kommen beide Modelle erst jetzt, aber dafür zu sehr erfreulichen Preisen von je 5990 Euro. Befeuert werden sie von einem wassergekühlten 500-cm3-Reihenzweizylinder mit zwei oben liegenden Nockenwellen, der von QJ selbst entwickelt wurde. Der Motor leistet maximal 48 PS bei 7000/min und passt damit perfekt in den EU-Stufenführerschein. Seine Laufkultur ist, entgegen vieler Befürchtungen, durchaus angenehm, Drehmoment baut er bereits früh auf und schafft immerhin 46 Nm bei 6000/min, darüber treten allerdings leichte Vibrationen auf. Beide neuen Modelle könnten sich auf dem europäischen Markt über den günstigen Preis etablieren.

Modellflut

Aber das war erst der Anfang – Benelli hat noch viel vor und präsentierte letzten November auf der EICMA in Mailand nicht weniger als zehn neue Modelle. Allen voran das neue Topmodell 752 S, das die BN 600i ablösen wird. Wer in dem Naked Bike die MV Agusta Brutale 1090 zu erkennen glaubt, steht nicht alleine da mit seiner Meinung. Die Benelli 752 S mag abgekupfert sein, aber das tut ihrer Attraktivität keinen Abbruch.