"Viele Crowdworker kommen aus Venezuela"

Eine neue Studie untersucht die Arbeitsbedingungen von Crowdworkern. Sie deckt auf, wer auf die ortsunabhängigen Jobs angewiesen ist.

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Crowdworker: Menschen werden nicht überflüssig - nur der Maschine untergeordnet"

(Bild: Photo by Headway on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.

Florian A. Schmidt ist Professor für Designkonzeption und Medientheorie an der HTW Dresden. In einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung (pdf-Link) hat er untersucht, welche Rolle Crowdworking beim Trainieren autonomer Autos spielt.

TR: Algorithmen für selbstfahrende Autos benötigen hochwertige Trainingsdaten. Diese werden in der Regel von über die ganze Welt verteilten "Crowdworkern" bereitgestellt. Wie sieht deren Arbeit aus?

Schmidt: Es geht beispielsweise darum, bei einer Aufnahme aus dem Straßenverkehr jedes Element klar zu definieren, ob Busch, Oma mit Rollator oder Postfahrzeug – mit der Position im dreidimensionalen Raum, damit die Maschine lernen kann, wie sich die Objekte bewegen.

(Bild: M. Ebert-Hanke)

Wie unterscheidet sich das vom klassischen Crowdsourcing?

Früher boten Crowd-Plattformen ihren Kunden lediglich Zugriff auf die Crowdworker an, und die Kunden mussten selbst den restlichen Prozess managen. Heute verkaufen die Plattformen fertige Datensätze. Dabei sichern sie auch eine Mindestqualität zu, beispielsweise 99 Prozent Genauigkeit.

Wie ändert sich dadurch die Arbeit der Crowdworker?

Viele machen die Arbeit lieber als vorher. Sie können sich beispielsweise spezialisieren, etwa auf die dreidimensionale Positionierung von Objekten oder die Verschlagwortung. Außerdem bekommen sie bessere Werkzeuge. So können sie schneller arbeiten. Und weil sie ihr Geld direkt von der Plattform bekommen, ist die Bezahlung verlässlicher – wenn auch nicht höher. Und sie werden menschlich besser behandelt. Die Plattformen haben schließlich ein größeres Interesse daran, ihre Spezialisten an sich zu binden.

Ist das mit der engen Bindung nicht eine ziemlich zwiespältige Sache? Verschwindet eine Plattform, müssen die Crowdworker woanders wieder bei Null anfangen.

Ja, es gibt einen Lock-in-Effekt. Einerseits müssen die Arbeiter die ganze Zeit lernen, andererseits ändern sich die Aufgaben ständig. Das Wissen, was die Leute sich aneignen, hat eine sehr kurze Halbwertszeit. Außerdem lässt sich viel schwieriger argumentieren, dass die Crowdworker noch freiberuflich tätig sind und nicht scheinselbstständig. Das führt zu der paradoxen Situation, dass es den Arbeitern zwar besser geht, die rechtliche Situation aber eher auf wackeligen Füßen steht.

Haben Sie Ansätze zur Schaffung einer Interessensvertretung beobachtet?

Eher nicht. Für Arbeit, die überall erledigt werden kann, ist das sehr schwer zu realisieren. Dadurch entsteht ein extremes Gefälle, was die Leute als Lohn akzeptieren. Für mich war interessant zu sehen, wie durch das Wettrennen um das autonome Fahren plötzlich viel Bedarf für diese Arbeit entstanden war. Sobald Geld da ist, finden diese Plattformen eine Marktlösung, um große Heerscharen an Hilfsarbeitern zu generieren. Sowie es mehr Arbeit gibt, gibt es auch wieder mehr Arbeitskräfte. Es wird nie der Punkt kommen, wo es einen genauen Ausgleich von Arbeitskräften und verfügbarer Arbeit gibt. So nehmen die Plattformen den Auftraggebern das Risiko für ein schwankendes Arbeitsangebot ab und reichen es an die Arbeitskräfte durch.

Woher stammen die Crowdworker typischerweise?

Das ist von Plattform zu Plattform verschieden. Die Tendenz geht weg von den Hobbyisten in westlichen Ländern, hin zu einer Professionalisierung mit großen Auftragsvolumina aber sehr schlechter Bezahlung in Schwellenländern. Eine der überraschendsten Erkenntnisse meiner aktuellen Studie ist, dass auf mehreren der großen neuen Plattformen für Trainingsdaten über 75 Prozent der Arbeitskräfte aus Venezuela kommen. Dort gibt es eine relativ gut ans Internet angebundene Mittelschicht, die völlig verzweifelt ist, aber auf diese Weise genug Geld verdienen kann, um ihre Familien zu finanzieren. Innerhalb der desolaten Situation in Venezuela stehen sie sehr gut da, haben mit Stundenlöhnen von ein bis zwei Dollar aber auch komplett die Preise ruiniert.

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Wie bewerten Sie das?

Ich habe diese Sache früher eher als Ausbeutung betrachtet, aber in Venezuela ist es natürlich ein Rettungsring. Aber wenn jetzt das nächste Land in die Krise rutscht, dann wird die Arbeit einfach dorthin fließen. So pendelt sich ein globaler Lohn ein, der deutlich unter dem Existenzminimum liegt. Das ist in einem globalen Markt bei ortsungebundener Arbeit kaum zu verhindern.

Wird diese Art von Arbeit zunehmen oder ist das nur eine Übergangsphase?

Künstliche Intelligenz lernt zwar ständig, neue Aufgaben zu lösen, aber es kommen auch immer mehr Aufgaben hinzu. Und dann braucht man wieder Menschen, um sie zu trainieren. Zudem wird die Validierung immer wichtiger: Menschen müssen nachträglich die Entscheidungen von Maschinen überprüfen. Die von mir interviewten CEOs der Plattformen halten den Markt dieser Validierungsdaten perspektivisch für wichtiger als die Trainingsdaten.

Wird die nötige Qualifizierung der Crowdworker dadurch immer höher?

Die CEOs waren unterschiedlicher Auffassung. Einige glauben, dass sich Aufgaben in so kleine Einheiten zerteilen lassen, dass man dafür gar keine Skills braucht. Natürlich werden nicht alle Aufgaben so umgewandelt werden können, aber sie zeigen eine Zukunft der Arbeit, bei der Menschen nicht überflüssig werden, sondern gebraucht werden, um Maschinen zu trainieren – nur sind sie der Maschine untergeordnet.

(grh)