Weniger ist mehr

Fahrbericht Yamaha Ténéré 700

Yamaha übt sich bei der neuen Ténéré 700 in der Kunst des Weglassens und landet einen Volltreffer. Die Mittelklasse-Reiseenduro verzichtet auf überflüssigen Firlefanz und ist ein lebender Beweis, dass es beim Fahrspaß weder auf Leistung noch auf Ausstattung ankommt

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Fahrbericht Yamaha Ténéré 700 18 Bilder
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  • iga
Inhaltsverzeichnis

Die Ténéré 700 muss ein großes Erbe antreten. Ihre Vorfahrin XT 600 Z Ténéré galt Mitte der 1980er Jahren als die Reiseenduro schlechthin, war zeitweise sogar das meistverkaufte Motorrad in Europa. Benannt nach einer der lebensfeindlichsten Regionen der Sahara – einst Schauplatz der Rallye Paris-Dakar – meisterte die 162 Kilogramm leichte Einzylinder-Enduro dank langer Federwege und einem monumentalen 30-Liter-Tank jede Wüstendurchquerung und erarbeitete sich einen legendären Ruf.

Im Laufe ihrer langen Karriere setzte die Ténéré jedoch immer mehr Speck an, wurde größer, schwerer und unhandlicher, bis schließlich kaum noch etwas von dem ursprünglichen Enduro-Gedanken übrig war. Als sie 2017 eingestellt wurde, war die XT 660 Z Ténéré die letzte japanische Reiseenduro mit Einzylindermotor. Mit nur 48 PS, aber 211 Kilogramm Gewicht wurde sie von der zweizylindrigen Konkurrenz abgehängt.

Endlich wieder geländetauglich

Yamaha plante die Nachfolgerin deshalb generalstabsmäßig und ließ sich bei der Entwicklung viel Zeit. Jahrelang tauchten auf diversen Motorradmessen immer wieder Prototypen auf, bis die neue Ténéré 700 dieses Jahr endlich auf den Markt kam. Yamaha legte bei ihr großen Wert auf Geländetauglichkeit und ging damit den umgekehrten Weg wie die Konkurrenz. Die Mühe hat sich bezahlt gemacht, statt einer Fünf-Zentner-Wuchtbrumme mit Ledersessel und Infotainment, steht die neue Ténéré 700 rank und schlank da.

Ihre athletische Optik wirkt so, als warte die Yamaha nur darauf, dass die Reise nach Dakar endlich losgeht. Tatsächlich bringt sie vollgetankt nur 204 Kilogramm auf die Waage. Das Design will die Rallye-Gene nicht leugnen, die Verkleidung ragt hoch empor, der Windschild steht fast senkrecht. Die Ähnlichkeit zur Yamaha WR 450 F Rally Replica ist unverkennbar.

Zweizylinder aus der MT-07

Auch wenn die Ténéré seit 1983 mit einem Einzylindermotor gebaut wurde, beschloss Yamaha die Tradition zu beenden und sie wie ihre größere Schwester, die Super Ténéré, mit einem Zweizylinder zu bestücken. Yamaha brauchte gar nicht lange zu konstruieren, sondern griff zum Zweizylinder-Reihenmotor aus der Yamaha MT-07 (Test). Der Crossplane-Motor des zweitmeistverkaufen Motorrads in Deutschland hat 689 Kubikzentimeter und 75 PS, fühlt sich jedoch stets nach mehr an, rennt wie der Teufel und ist ein Muster an Laufkultur. In der Ténéré 700 wurde die Spitzenleistung um zwei PS gekappt zugunsten eines besseren Drehmomentverlaufs.

Der erste Fahreindruck fällt daher sehr positiv aus: Die Enduro spurtet aus dem Stand hurtig los, dreht flott hoch und scheut auch keine fünfstelligen Drehzahlen. Nötig ist das nicht, denn selbst im sechsten Gang zieht der Zweizylinder vom Stadttempo 50 klaglos bis zur Höchstgeschwindigkeit von 193 km/h durch. Kaum zu glauben, dass der Motor wirklich nur 73 PS und 68 Nm haben soll.

Komfortabel, aber hoch

Die Sitzposition ist entspannt mit großzügigem Kniewinkel und die Polsterung erweist sich als komfortabler als sie auf den ersten Blick aussieht. Selbst nach einer 200-Kilometer-Runde steigt der Fahrer noch schmerzfrei ab. Allerdings thront der Pilot in luftigen 880 Millimeter Höhe. Für Kurzgewachsene hält Yamaha aber eine niedrigere Sitzbank und einen Tieferlegungssatz im Zubehör parat.