Biotech: Bakterien sollen in Pilotanlage von Evonik Alkohol herstellen

Neue Bakterien verdauen Kohlendioxid zu Sprit. Ist das die Rettung fürs Klima oder wenigstens eine ethisch korrekte Kraftstofffabrik?

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Bakterien fressen Kohlendioxid

(Bild: Shutterstock)

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Aus Zucker machen Hefen Bier, seit Jahrtausenden. Nun verfallen Biotechnologen auf eine ganze andere Idee, Sinnvolles zu brauen. Sie verfüttern unter anderem Kohlendioxid an Mikroben in einem Kessel und heraus kommt: Alkohol. Damit können Autos fahren – und chemisch ein wenig umgewandelt können mit dem Sprit auch Flugzeuge fliegen.

Auf den ersten Blick macht die neue Brautechnologie das klimagefährliche Kohlendioxid zum Rohstoff. Und sie liefert Alkohol, ohne dafür Ackerflächen zu beanspruchen. Das Spezialchemieunternehmen Evonik aus Essen nimmt Anfang 2020 am nordrhein-westfälischen Standort Marl erstmals eine Versuchsanlage in Betrieb, in der zwei Bakterienspezies Butanol und Hexanol aus Synthesegas herstellen sollen, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe. Beteiligt ist auch Siemens, das Forschungsministerium unterstützt das Projekt namens Rheticus mit 6,3 Millionen Euro.

TR 2/2020

Eine große Herausforderung ist, den Prozess wirtschaftlich zu machen. In Marl sollen der Alkohol aus Kohlendioxid daher nur der Anfang sein. Die eigentlichen Ziele sind zumindest derzeit noch Substanzen, mit denen sich mehr Geld verdienen lässt. "Das Großartige ist, dass die Bakterien auch andere Chemikalien produzieren können. Unser Fokus liegt auf werthaltigen Spezialchemikalien", so Thomas Haas, der Rheticus-Projektverantwortliche bei Evonik. Bisher mussten die Entwickler die verwendeten Bakterienspezies dafür nicht einmal gentechnisch oder molekularbiologisch trimmen. "Das Geheimnis liegt in der gemeinsamen Kultur beider Bakterien. Da kommt es auf jedes Vitamin und Spurenelement im Nährmedium an. Das ist ein ganz neuer Ansatz in der Biotechnologie", erklärt Haas.

Im Evonik-Fermenter der Rheticus-Anlage setzen Bakterien Synthesegas zu Ethanol und Spezialchemikalien um.

(Bild: Evonik)

Bis zur kommerziellen Reife des Verfahrens dürften allerdings noch Jahre vergehen. Die Versuchsanlage in Marl ist keine Industriefabrik. Sie wird einige Kilogramm Alkohol pro Stunde produzieren und die Machbarkeit demonstrieren. Wie es nach Ablauf des Projektes Rheticus weitergeht, "können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen", betont Haas. Letztlich hängt die Entwicklung der Technologie auch vom CO2-Preis ab. Je höher dieser ist, desto eher kann sich das Verfahren rechnen.

Gleichwohl hat Haas bereits eine klare Vorstellung, mit wem man für die Kommerzialisierung ins Gespräch kommen müsste. "Wir würden zunächst Anlagen dort errichten, wo Kohlendioxid leicht zugänglich ist, aber der Abgasstrom keinen Sauerstoff enthält. Das wären Biogasanlagen und Bioethanolanlagen." Auf jedes Molekül Alkohol setzen letztere nämlich ein Molekül Kohlendioxid frei, in Summe riesige Mengen jeden Tag. Die könnten Evoniks Bakterien in einem zweiten Braukessel zu Chemikalien umsetzen.

Kohlendioxid entsteht bei vielen Prozessen, die bisher nicht zu ersetzen sind. Bestes Beispiel sind Zementfabriken. Auf sie gehen vier bis acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes zurück, und die Hälfte davon entsteht beim Brennen von Zementklinker. Für jedes produzierte Molekül Kalziumoxid wird ein Molekül Kohlendioxid freigesetzt. Eine technologische Senke für das Treibhausgas wäre deshalb mehr als willkommen, um zu den Klimazielen beizutragen. Da ist dann auch der kapitale Haken, den die Kohlendioxidbrauerei hat, wegzustecken: Dass die Bakterien Wasserstoff für ihren Stoffwechsel brauchen.

Mehr über "Die CO2-Fresser" erfahren Sie in der neuen Februar-Ausgabe von Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich).

[Update 03.02.20 10:24 Uhr:] Erzeugte Alkoholart korrigiert. (jsc)