Gesetz gegen Hass: Bundesrat warnt vor Justizüberlastung wegen Meldepflicht

Mindestens 170.000 neue Gerichtsverfahren sieht der Bundesrat mit den geplanten Meldeauflagen für Plattformbetreiber auf die Länder zukommen.

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Gesetz gegen Hass: Bundesrat warnt vor Justizüberlastung wegen Meldepflicht

(Bild: Shutterstock)

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Der Bundesrat hat bei einer Sondersitzung am Freitag umfangreichen Korrekturbedarf am Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" angemeldet. Vor allem die weitreichenden Auswirkungen der vorgesehenen Pflicht für Betreiber sozialer Netzwerke, IP-Adressen und Portnummer von Nutzern schon beim Verdacht auf strafrechtliche Vergehen proaktiv an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterzuleiten, hat die Regierung laut dem Gremium nicht hinreichend bedacht.

Kritisch äußert sich die Kammer in ihrer beschlossenen Stellungnahme vor allem zu den Folgekosten im Justizbereich. Die Bundesregierung müsse konkreter darlegen, was die geplanten Maßnahmen für die Länderhaushalte bedeuteten, fordert sie. Es sei unter anderem ein weiterer Anstieg der Beschwerden nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu erwarten, was den Personalbedarf bei den Justizbehörden der Länder erhöhe.

Das Gremium rechnet damit, dass den Staatsanwaltschaften rund 250.000 Ermittlungsverfahren zugeleitet würden etwa vom BKA, das die Fälle selbst offenbar gar nicht auf strafrechtliche Relevanz prüfen dürfe. Vermutlich unterlägen allein bei Google und Facebook sogar rund 340.000 Vorgänge der neuen Meldepflicht, die erfahrungsgemäß bundesweit zu mindestens 170.000 Gerichtsverfahren führen dürften. Parallel würden durch die notwendige Arbeit der Ermittlungsbehörden der Länder deutliche Mehrkosten im Polizeibereich entstehen, die im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt seien.

Zugleich regt der Bundesrat an, dass der Aufgabenzuschnitt des BKAs eine "Filterfunktion" der dort einzurichtenden "Zentralstelle" umfassen sollte, um die Länder zu entlasten. Mit der Meldepflicht für Betreiber sozialer Netzwerke werde zunächst verhindert, "dass strafbare Inhalte im Netz gelöscht und damit der strafrechtlichen Würdigung und gegebenenfalls Verfolgung entzogen werden", begründet er seine Initiative. Ein Hinweis von Nutzern sei aber "keine Strafanzeige", auf die hin man direkt in jedem Fall reagieren müsse.

"Auch in der analogen Welt übermittelt die Polizei nicht sämtliche ihr zugetragenen Erkenntnisse ungefiltert der Staatsanwaltschaft", erläutert die Kammer. "Zur Übernahme laienhafter rechtlicher Bewertungen verpflichtet sie auch das Legalitätsprinzip nicht, solange keine Strafanzeige erstattet wird und zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat nicht erkennbar sind." Sollten alle Meldungen ungeachtet ihres Inhalts an eine Staatsanwaltschaft übermittelt werden, vertiefe dies den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Nutzer. Dies wäre "auch datenschutzrechtlich bedenklich".

Nach dem Gesetzentwurf hält es der Bundesrat zumindest nicht für ausgeschlossen, "dass das BKA bei der Auswertung der Meldungen eine Filterfunktion wahrnimmt". Im weiteren Verfahren sollte daher klargestellt werden, dass die Zentralstelle die Aufgabe hat, "lediglich die ihr gemeldeten und nach dortiger Einschätzung strafrechtlich relevanten Inhalte an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden" weiterzuleiten.

Zu den geplanten erweiterten Vorschriften zur Bestandsdatenauskunft inklusive Passwort-Herausgabe äußert sich die Kammer nicht. Vorschläge aus den Ausschüssen, die Passage noch zu verschärfen oder infrage zu stellen, fanden keine Mehrheit. Der Bundesrat fordert aber erneut, für Anbieter von Telemediendiensten das so genannte Marktortprinzip einzuführen. Diese könnten sich dann gegenüber Strafverfolgern nicht mehr darauf berufen, dass abgefragte Daten im Ausland gespeichert sind, da sie ihre Leistungen in Deutschland anbieten.

Weiter sprechen sich die Länder dafür aus, die skizzierten Straftatbestände gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert sowie die Normen "zum Schutz der Ehre" zu präzisieren. Es bleibe auch unklar, wer die "zuständige Stelle" bei der Lizenz zur Bestandsdatenauskunft zur "Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum" sein sollte. Um den betroffenen Diensteanbietern und den Länderbehörden angemessen Zeit einzuräumen, sei die Frist für das Inkrafttreten der neuen Regeln von vier beziehungsweise sieben Monaten auf einheitlich zehn Monate zu verlängern.

Dem Appell des Innenausschusses, eine Klarnamen- und sogar Identifizierungspflicht von Nutzern für Anbieter von sozialen Netzwerken und Spieleplattformen einzuführen und die "Bagatellgrenze" der Zahl der registrierten Nutzer deutlich anzuheben, folgten die Länderchefs nicht. Dies könnte auch ein Vorentscheid sein für eine gesonderte einschlägige Initiative aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die zunächst in den Ausschüssen beraten wurde und über die eigentlich im April abgestimmt werden sollte. Kritiker befürchten, dass damit nicht nur die Meinungsfreiheit untergraben wird, sondern auch Jugendliche unter 16 Jahren praktisch aus vielen Online-Foren ausgeschlossen werden. (bme)