Erneuter Kurswechsel: München will möglichst breit auf Open Source setzen

Die Verwaltung steckt in der Rückmigration von Linux auf Windows, doch Rot-Grün will wieder mehr freie Software.

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Erneuter Kurswechsel: München will möglichst breit auf Open Source setzen

(Bild: Charles Bergman / shutterstock.com)

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Nachdem die Grünen in München nach der Kommunalwahl im März wieder zusammen mit der SPD eine Koalition geschmiedet haben und die CSU aus der Regierung ausgeschieden ist, soll nun auch erneut ein Strategiewechsel im IT-Bereich erfolgen. In der am Sonntag bestätigten Koalitionsvereinbarung für die bis 2026 laufende Stadtratsperiode der beiden Parteien und Fraktionen heißt es im Digitalisierungsteil: "Wo immer technisch und finanziell möglich setzt die Stadt auf offene Standards und freie Open Source-lizenzierte Software und vermeidet damit absehbare Herstellerabhängigkeiten."

Weiter schreibt Rot-Grün: "Diese Abwägung nehmen wir als Kriterium für Ausschreibungen mit auf." Falls von diesem Grundsatz abgewichen werden sollte, müsse dies begründet werden. Die Stadt soll ein öffentlich zugängliches "Open-Source-Dashboard" inklusive Kostenbilanz auch bei Betriebssystemen und Office-Anwendungen unterhalten, aus dem hervorgeht, in welchen Bereichen die Landeshauptstadt freie Software verwendet und welche Fortschritte sie "in diesem Bereich gemacht" hat.

Im eigenen Hoheitsbereich gelte grundsätzlich das Prinzip "Public Money, Public Code", legt die neue Regierungsallianz fest. "Das heißt: Sofern keine personenbezogenen oder vertrauliche Daten enthalten sind, wird auch der Quellcode städtischer Software veröffentlicht. Die entsprechende Kampagne, der sich jüngst etwa die Niederlande angeschlossen haben, besagt eigentlich, dass mit Steuergeld finanzierte Programme für die Verwaltung frei und wiederverwendbar sein sollen und geht so deutlich über die reine Publikationsfrage hinaus.

Die Stadt will zudem die Entwicklung freier Softwareprojekte mit einem "Munich Open Source Sabbatical" unterstützen. Professionelle Programmierer, die sich für drei oder sechs Monate ganz auf die Fortentwicklung eines entsprechenden Projekts konzentrieren möchten, sollen sich dafür auf ein städtisches bezahltes Stipendium bewerben können. Die geförderten Initiativen müssen dem Plan nach "einen kommunalen Nutzen haben".

Was der teils vage Wortlaut für die aktuelle, von Schwarz-Rot festgezurrte Digitalisierungsstrategie Münchens bedeutet, wollten Fraktionssprecher von SPD und Grünen auf Anfragen von heise online nicht erläutern. So bleibt offen, ob die Rechnerinfrastruktur der Stadtverwaltung auch auf dem Desktop nun doch weiter beziehungsweise wieder unter Linux laufen soll und das von früheren Spitzenpolitikern vorausgesagte Revival auch des Gedankens der Unabhängigkeit von einzelnen Herstellern erfolgt. Der Stadtrat hatte im November 2017 eigentlich das Aus für das einstige Open-Source-Prestigeprojekt LiMux und die Rückkehr zu Windows beschlossen. Die zunächst auf 86,1 Millionen Euro taxierte Migration ist in vollem Gange.

So hielt das IT-Referat in seinem Jahresbericht 2019 zu dem extra aufgelegten Programm "neoIT" fest: Die Architektur für den "Rollout" des Windows-10-Clients sei definiert und "befindet sich im Aufbau". Das Vorhaben solle "bis Ende 2021 und damit schneller als ursprünglich geplant abgeschlossen werden".

Auf Basis eines Gutachtens des Beratungshauses KPMG hatte der Stadtrat Ende Oktober 2018 auch einer Vorlage des IT-Referats zugestimmt, wonach die Verwaltung vollständig von LibreOffice auf Microsoft Office 365 umsteigen soll. Bis dahin war LibreOffice noch mit rund 30.000 Installationen auf LiMux- und Windows-Clients als Standard-Bürokommunikationssoftware im Einsatz. Ferner verfügte die Stadt bereits über rund 3000 im Einsatz befindliche Lizenzen von Microsoft Office, die überwiegend über die Virtualisierungsplattform MoviA beziehungsweise auf Basis lokaler Installationen auf den Windows-Clients genutzt werden. Zusätzlich hatte der Stadtrat schon Ende 2017 weitere 6000 Lizenzen für Microsofts Büropaket bewilligt.

Die Mehrkosten für die Office-Umstellung gegenüber einem Verbleib bei LibreOffice schätzte KPMG auf einmalig 19,97 Millionen Euro, zudem sollen im Betrieb bis 2023 2,69 Millionen Euro zusätzlich anfallen. Bisher lediglich mit Papierformularen unterstützte Prozesse, die über Dokumente beziehungsweise Merkmale auf Dokumenten im Open-Source-Vorlagensystem WollMux gesteuert wurden, sollten den Prüfern zufolge "aus rechtlichen, datenschutzrechtlichen wie auch aus datentechnischen Gründen" dringlich auf ein IT-System umgestellt werden, wofür sie noch einmal gut zehn Millionen Euro veranschlagt haben.

"Die Aufgliederung dieser Kosten und die Beantragung der dafür benötigten Finanzmittel finden sich aus Vertraulichkeitsgründen im nicht-öffentlichen Teil der Beschlussvorlage", war der Sitzungsvorlage des IT-Referats zu den Office-Plänen zu entnehmen. In seinem Bericht Ende 2019 beschied dieses, dass mittlerweile auch die "Lizenzen für Microsoft Office 365 vorhanden" und die "technischen Voraussetzungen für den Rollout" umgesetzt seien. Ein neues Vorlagenverwaltungssystem habe man ebenfalls bereits ausgewählt.

Auch mit diesen Schritten sei eine "grundsätzliche oder generelle Abkehr von Linux und anderen Open-Source-Produkten" in der Stadtverwaltung aber "keineswegs verbunden", versicherte IT-Referent Thomas Böning im Oktober in einem Blogbeitrag zum Umgang mit dem Know-how Münchens rund um freie Software. Viele Server liefen wie bisher unter Linux – aktuell weist die Behörde einen Anteil von 73 Prozent für das Betriebssystem mit dem Pinguin-Logo bei insgesamt 4153 entsprechenden Rechnern aus. Zudem würden auch neue Open-Source-Produkte eingeführt wie etwa Camunda als "Workflow-Plattform". Geplant sei auch, neben WollMux weitere Komponenten von LiMux der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, das gesamte System könne aber "schon aus Lizenzgründen" nicht einfach freigegeben werden.

Trotz der offenen Punkte begrüßt die Free Software Foundation Europe (FSFE) die Formulierungen im Koalitionsvertrag als "starkes Bekenntnis zur Nutzung freier Software" und "positives Signal". Öffentliche Verwaltungen, die dem Prinzip von "Public Money? Public Code!" folgten, könnten "von der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Einrichtungen, der Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern, möglichen Steuereinsparungen, mehr Innovation und einer besseren Basis für IT-Sicherheit profitieren". Der rot-grüne Plan enthalte aber "einige typische Schlupflöcher", sodass man die Fortschritte beim Implementieren der neuen Linie und damit erforderlichen Anpassungen bei Ausschreibungsprozessen genau beobachten werde. (kbe)