Sterben auf Raten: Wie der Kohleausstieg aussehen soll

Die Politik feiert sich für den Kohleausstieg bis 2038, Umweltschützer bemängeln, dass er zu langsam erfolgt. Auch der Umwelt soll er so kaum etwas bringen.

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Sterben auf Raten: Wie der Kohleausstieg aussehen soll

(Bild: Roschetzky Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Andreas Hoenig
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Das Wort "historisch" dürfte häufig fallen an diesem Freitag – wenn Bundestag und Bundesrat das Aus für die Kohle in Deutschland bis spätestens zum Jahr 2038 beschließen. Allerdings kommt es auf die Perspektive an. Kohle-Länder bekommen eine lange Übergangsphase und Milliardenhilfen für den Strukturwandel, Kraftwerksbetreiber hohe Entschädigungen. Die Bundesregierung sieht sich international als Vorreiter, weil Deutschland bis 2022 auch aus der Atomkraft aussteigt. Ganz anders sehen das Umweltverbände, die von einem "historischen Fehler" sprechen. Der Kohleausstieg komme zu spät und bringe dem Klima zu wenig. Ein Überblick.

Kohlekraftwerke werden zwar ohnehin nach und nach vom Netz genommen. Eigentlich aber wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen für die Kohleverstromung. Das soll nun fürs Klima vorgezogen werden. Immer noch kommt nämlich viel Strom aus Kohlekraftwerken – obwohl der Ökostrom-Anteil in Deutschland stetig steigt. Wenn Braunkohle zu Strom wird, entsteht besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2). Eine von der Regierung eingesetzte Kommission aus Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Umweltverbänden hatte sich Anfang 2019 darauf geeinigt, dass der Ausstieg spätestens bis 2038 abgeschlossen sein soll – aber schon damals ging das den Umweltverbänden zu langsam.

Ziel des Kohleausstiegsgesetzes ist es, die Verstromung von Kohle in Deutschland bis spätestens Ende des Jahres 2038 – wenn möglich auch früher schrittweise und möglichst stetig auf null zu reduzieren. Dadurch sollen Emissionen verringert und Klimaziele erreicht werden. Das Gesetz sieht nun einen Fahrplan vor, bis wann wie viel Gigawatt Braun- und Steinkohleverstromung reduziert werden, zu Beginn ab 2020 passiert dies vor allem im Rheinischen Revier. Während des Kohleausstiegs soll in den nächsten Jahren immer wieder überprüft werden, ob die Stromversorgung gesichert ist und welche Folgen der Ausstieg auf die Strompreise hat – steigt dieser, sind Entlastungen vorgesehen, darauf hatte die Wirtschaft gepocht.

Aber reicht das fürs Klima? Umweltverbände sagen: Nein, bei weitem nicht. "Greenpeace wird weiter gemeinsam mit der gesamten Klimabewegung bei dieser und der nächsten Regierung für das Ende der Kohleverbrennung bis spätestens 2030 kämpfen", sagt Geschäftsführer Martin Kaiser und spricht von einem "Pseudo-Kohleausstieg". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumte zwar mit Blick auf den Ausstiegspfad ein: "Ich weiß, dass wir Hänger haben in der Mitte der 20er Jahre." Insgesamt aber sei der Kohleausstieg ein "ganz, ganz wichtiger Schritt".

Für Braunkohle-Konzerne wie RWE sind für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerken Milliarden-Entschädigungen geplant, dazu soll es einen Vertrag zwischen Bundesregierung und Unternehmen geben. Hilfen sollen auch Betreiber von Steinkohlekraftwerken bekommen. Die Koalition hatte sich auf den letzten Drücker noch auf neue milliardenschwere Förderprogramme geeinigt, um Kraftwerke umzurüsten, etwa auf Gas oder zum Einsatz von Biomasse oder Wasserstoff. Zudem sind höhere Entschädigungen für Stilllegungen vorgesehen.

Noch immer hängen Tausende von Jobs im Rheinland und in Ostdeutschland – in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier – an der Kohle. Damit Strukturbrüche vermieden werden, öffnet der Bund seine Schatulle: Vorgesehen sind bis 2038 Hilfen von insgesamt 40 Milliarden Euro, die den Kohleregionen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg beim Umbau ihrer Wirtschaft sowie beim Ausbau der Infrastruktur helfen sollen. Die große Angst: Ganze Regionen könnten sonst wirtschaftlich abgehängt werden.

Bei den Hilfen geht es zum einen um direkte Finanzhilfen des Bundes für wichtige Investitionen der Kohle-Länder und ihrer Gemeinden von bis zu 14 Milliarden Euro. Der zweite große Batzen von 26 Milliarden Euro sind Maßnahmen, die in der Zuständigkeit des Bundes liegen – zum Beispiel neue Bahnstrecken oder Straßen. Dies soll die Regionen als Standorte attraktiver machen.

Außerdem sind neue Bundesbehörden oder Forschungsinstitute geplant – damit sich darum neue Firmen ansiedeln. Die Vision ist, dass die alten Kohleregionen "Modellregionen" für Zukunftstechnologien werden. Ob das klappt? Die Gelder gehen in einem Schlüssel an die Länder, geplant ist noch eine Bund-Länder-Vereinbarung.

Keiner der Kohlekumpel soll ins "Bergfreie" fallen, wie der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, sagt. Deswegen soll es ein eng geknüpftes Sicherheitsnetz geben, zum Beispiel mit einem milliardenschweren Anpassungsgeld für Beschäftigte ab 58 Jahren, die die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen, sowie einem Ausgleich von Renten-Einbußen. Die große Frage aber ist: Klappt es, dass gut bezahlte Ersatz-Arbeitsplätze entstehen?

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Neben dem Gelingen des Strukturwandels kommt es aus Sicht vieler Experten nun vor allem darauf an, einen "Einstiegsplan" zu formulieren, wie Vassiliadis sagt – nämlich für den derzeit stockenden Ausbau der erneuerbaren Energien aus Sonne oder Windkraft und für den Ausbau der Stromnetze, die den vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden transportieren. Doch oft gibt es Widerstand gegen neue Windparks an Land oder Strommasten, deswegen will die Bundesregierung nun die Akzeptanz erhöhen. Außerdem sollen Zukunftstechnologien wie der "grüne" Wasserstoff vorangetrieben werden.

(olb)