Fernbedienung für Nervenzellen

Durch einen genetischen Trick lassen sich graue Zellen mit Licht an- und abschalten. Nun gelang es, Licht ins Hirn zu bringen, ohne den Schädel ­zu öffnen.

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Fernbedienung für Nervenzellen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christian Wolf

Hirnforscher konnten Nervenzellen lange nur bei der Arbeit zusehen. Bis die Optogenetik ins Spiel kam: Mit ihr lassen sich Neuronen im Hirn gezielt mit Licht an- und abschalten und ihre Rolle bei Gedächtnisprozessen oder neurologischen Störungen untersuchen. Nun gelingt es Forschenden, dieses Licht zu den Zellen zu bringen, ohne das Gehirn öffnen zu müssen.

TR 8/2020

Um die unter der Schädeldecke gut geschützten Zellen lichtempfindlich zu machen, schleusen Forscher den Bauplan lichtempfindlicher Ionenkanäle in die Nervenzellen ein. Diese daraufhin von den Neuronen hergestellten "Opsine" sitzen in den Zellmembranen. Sie öffnen sich bei einer ganz bestimmten Wellenlänge des Lichts und fluten die Zellen mit positiv oder negativ geladenen Ionen. Das regt die Neuronen zum Feuern an oder bringt sie zum Schweigen, je nachdem um was für einen Typ von Opsin es sich handelt.

So elegant das klingt, gibt es jedoch eine große Hürde: Da Licht fast nicht durch Knochen und Gewebe dringt, müssen die Forschenden eine Glasfaser ins Gehirn implantieren, und das birgt Komplikationen. Um das Problem zu lösen, hat man beispielsweise Opsine entwickelt, die auf rotes Licht mit etwa 630 Nanometern Wellenlänge reagieren. Das wird nicht so stark vom Schädelknochen und Hirngewebe gestreut wie kurzwelliges und dringt tiefer ein. Auch mit ins Gehirn injizierten Nanopartikeln haben Forschende experimentiert. Sie wurden mit Nahinfrarotlicht beleuchtet, absorbierten es und emittierten als Reaktion sichtbares Licht, das wiederum die Nervenzellen aktivierte. Der Nachteil all dieser Opsine: Sehr schnell schließen sich die Ionenkanäle von allein wieder und beenden die Reaktion der Neuronen. Forscher können die Zellen also nur an-, aber nicht gezielt wieder ausschalten. Dieses Problem lässt sich mit sogenannten Step-Function-Opsinen umgehen. Sie öffnen sich bei Licht einer Wellenlänge und schließen ihre Pforten bei Licht einer anderen Wellenlänge wieder.

Damit ist es nun dem Neurowissenschaftler Guoping Feng vom Massachusetts Institute of Technology und seinen Kollegen gelungen, einen so empfindlichen An- und Ausschalter für Neuronen zu entwickeln, dass dafür keine Lichtfaser ins Gehirn implantiert werden muss. Durch gezielte Mutationen haben sie einerseits die Öffnungszeit der Kanäle verlängert und andererseits mehr Ionen durch sie hindurchströmen lassen. Anschließend brachten sie bei Mäusen ein Glasfaserkabel außerhalb des Schädels an. Blaues Licht öffnete die Opsine, und selbst im etwa sechs Millimeter unter der Hirnoberfläche liegenden Hypothalamus entfalteten die Ionenkanäle ihre Wirkung: Sie hemmten das Fressverhalten hungriger Mäuse. Mit orangenem Licht schlossen sich die Kanäle wieder, und die Mäuse begannen erneut zu fressen, wie sie in "Neuron" vorgestellt haben.

Allerdings sind Mäusehirne klein. Selbst die tiefsten Hirnregionen liegen noch nah am dünnen Schädelknochen. Das Licht überwindet also wenig Hindernisse. Als die Forscher die Technik auf Makaken-Affen übertrugen, reichte Licht von außen nicht. Sie mussten das Glasfaserkabel durch eine Öffnung im Schädelknochen bis oberhalb der Dura mater, der äußeren Hirnhaut, verlegen. Das ist zwar nach wie vor invasiv, aber die Glasfaser muss nicht bis ins Gehirn gesteckt werden. Und es funktionierte: Blaues Licht aktivierte selbst Neuronen tief im Gehirn der Makaken.

"Es ist auf jeden Fall ein Gewinn, dass man nicht-invasiv bei Mäusen und minimal-invasiv bei Affen Nervenzellen mit Licht ansteuern kann", sagt der Biophysiker Ernst Bamberg, emeritierter Direktor des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Biophysik und Pionier der Optogenetik. Hochempfindliche Opsine mit langen Öffnungszeiten hätten allerdings den Nachteil, dass man schnelle Vorgänge der Nervenzellen nicht im Detail untersuchen könne. Die zeitliche Auflösung sei zu gering. Allerdings würden sich die in der Studie vorgestellten Ionenkanäle sehr gut eignen, um gezielt Bereiche des Gehirns anzusteuern. Damit könne man neurodegenerative Krankheiten wie beispielsweise Parkinson oder Epilepsie untersuchen.

Peter Hegemann von der Humboldt-Universität Berlin sieht eine mögliche Anwendung an Patienten jedoch kritisch. Den Mitbegründer der Optogenetik treiben ethische Bedenken um. Schließlich wäre auch beim Menschen ein gentechnischer Eingriff notwendig, um die Neuronen lichtempfänglich zu machen. "Ins Genom des Menschen darf man hierzulande vernünftigerweise nicht eingreifen", so Hegemann. Aber chinesische Forscher könnten weniger Skrupel haben, da dort die Auflagen lockerer seien. "Ich hoffe, die Kollegen sind vorsichtig."

(bsc)