Auto-Patentkrieg: Weitere Niederlagen für Daimler

Der Autobauer hat vor Gericht gegen Nokia und Conversant verloren. Die Hoffnungen ruhen jetzt auf dem EuGH. Unterdessen schafft ein Zulieferer Fakten.

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(Bild: Dean Burton/Shutterstock.com)

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Im Patentkrieg, den Inhaber von Mobilfunkpatenten auf breiter Front gegen die Autoindustrie führen, musste der Daimler-Konzern in der vergangenen Woche erneut Niederlagen einstecken. In zwei Verfahren verurteilte das Landgericht München I den Autohersteller zur Unterlassung und damit steht ein Verkaufsverbot für betroffene Fahrzeuge im Raum. Während Daimler in Berufung gehen will, wirft sich erneut Huawei als Lizenznehmer in die Bresche. Unterdessen wird mit Spannung erwartet, ob das Landgericht Düsseldorf in der nächsten Woche den Europäischen Gerichtshof hinzuzieht.

Am vergangenen Freitag hat das Landgericht München I den Daimler-Konzern für schuldig befunden, das Nokia-Patent DE60240446C5 für ein Verfahren zur Paketverarbeitung in Mobilfunknetzen zu verletzen (Az. 21 O 3891/19). Laut Nokia ist das Verfahren ein essenzieller Bestandteil des UMTS-Standards. Damit verletze der Daimler-Konzern mit jedem Auto, das eine moderne Mobilfunkeinheit eingebaut hat, dieses Patent. Die Kammer des Landgerichts hält das für erwiesen und hat Daimler zur Unterlassung und Schadensersatz verurteilt. "Das Urteil ist hinsichtlich der Verurteilung zur Unterlassung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 18 Millionen Euro vollstreckbar", erklärte ein Gerichtssprecher.

Eine Woche zuvor hatte dieselbe Kammer Daimler in einem ähnlichen Fall verurteilt. Kläger ist der Patentverwalter Conversant, der ein auf Nokia zurückgehendes, standardrelevantes Mobilfunkpatent in Stellung gebracht hat (Az. 21 O 11384/19). Angegriffen werden in allen Klagen die in den Mercedes-Fahrzeugen verbauten Mobilfunkeinheiten. Daimler werde in beiden Fällen in Berufung gehen, sagte ein Sprecher gegenüber heise online. Der Konzern erwartet darüber hinaus keine kurzfristigen Konsequenzen für den Verkauf seiner Fahrzeuge. "Wir gehen nicht davon aus, dass es zu einem Produktions- oder Verkaufsstopp kommen wird."

Theoretisch ist ein solches Verkaufsverbot denkbar. Nokia und Conversant könnten die Urteile vollstrecken lassen, wenn sie eine bestimmte Summe als Sicherheit hinterlegen. Diese Sicherheitsleistung soll einen möglichen Schadensersatz abdecken, sollte das Urteil in der nächsten Instanz aufgehoben werden. Das Münchner Gericht setzt die Höhe der zu hinterlegenden Sicherheitsleistung vergleichsweise niedrig an: Im Nokia-Fall sind es 18 Millionen Euro, bei Conversant nur 5 Millionen. Das Landgericht Mannheim hatte in einem vergleichbaren Verfahren im August eine Sicherheitsleistung von 7 Milliarden Euro angeordnet.

In den jüngsten Verfahren um standardessenzielle Patente geht es auch um die Frage, ob Patentinhaber die Hersteller von Endgeräten – in diesem Fall die Autobauer, aber in anderen Verfahren wie etwa gegen Lenovo auch Elektronikkonzerne – zur Lizenznahme zwingen können, oder ob sie nicht den Zulieferern der betroffenen Teile eine Lizenz geben müssen. Die Inhaber standardessenzieller Patente sind grundsätzlich verpflichtet, einem Interessenten eine Lizenz zu fairen und transparenten Bedingungen zu gewähren (sog. FRAND-Prinzip). Deshalb hält Daimler an seiner Auffassung fest, "dass einem Unternehmen die Nutzung von solchen Patenten nicht untersagt werden kann, wenn gleichzeitig seine Lieferanten zur Lizenznahme bereit sind", sagte der Sprecher.

Daimler will das nun in der Berufung klären. Außerdem steht die Gültigkeit einiger der gegen die Autobranche vorgebrachten Patente zur Debatte. Allerdings ist wohl erstmal der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Zug. Denn die strittige Frage steht auch im Mittelpunkt eines weiteren von Nokia angestrengten Patentstreits am Landgericht Düsseldorf (Az. 4c O 17/19). Während andere Gerichte den Einwänden der Daimler-Zulieferer, sie hätten sich erfolglos um eine Lizenz für die Patente bemüht, bisher wenig Gehör geschenkt haben, sind die Düsseldorfer skeptischer. Die dem Verfahren Vorsitzende Richterin Sabine Klepsch hat bereits durchblicken lassen, dass sie diese zentrale Frage gerne dem EuGH zur Klärung vorlegen würde. Die Entscheidung wird in der kommenden Woche erwartet.

Prozessbeobachter und Patentexperte Florian Müller kritisiert die Gerichte in München und Mannheim dafür, die Interessen der Patentinhaber zu bedienen. "Alle Augen sind in den Automobil-Patentstreitigkeiten nun auf das Landgericht Düsseldorf gerichtet", sagte Müller gegenüber heise online. "Verweist dieses am Donnerstag nächster Woche bestimmte Rechtsfragen zum Lizenzanspruch der Zulieferer an den Gerichtshof der Europäischen Union, wird die Frage in Luxemburg entschieden." Nokias Attacken seien "ebenso verzweifelte wie brutal durchgeführte Versuche", Daimler noch vor einer Entscheidung des EuGH in die Knie zu zwingen.

Unterdessen schaffen die Zulieferer Fakten, was auch darauf hindeutet, dass sich die Kläger ihrer Sache gar nicht mal so sicher sind. In zwei Verfahren haben die Patentinhaber inzwischen ein Lizenzabkommen mit dem Zulieferer Huawei geschlossen. Anfang Oktober hat sich Sharp mit Huawei und Daimler auf einen Deal verständigt. Wie aus Unternehmenskreisen zu hören ist, gibt es auch im Conversant-Fall eine Einigung mit Huawei. Damit ist Daimler für diese Patente aus dem Schneider.

Dass der patentrechtliche Unterlassungsanspruch angesichts langjähriger Gerichtsverfahren und weitreichender Folgen für betroffene Unternehmen nicht immer verhältnismäßig ist, will nun die Bundesregierung mit einer Reform des Patentrechts angehen. Die möchte eine Härtefallregel in das Gesetz schreiben, die Richter in die Lage versetzt, "die in jedem Einzelfall angemessene Entscheidung zu treffen". Grundsätzlich solle der Unterlassungsanspruch aber nicht abgeschafft werden.

(vbr)