Turboschnell: Mit dem Porsche 911 Turbo um den Hockenheimring
Porsches 911 Turbo machte seine Schlagzeilen immer mit der Nennleistung. Seine Freunde machte das Auto jedoch mit einfacher Fahrbarkeit und Granturismo-Tugenden
Herausragend sind beim aktuellen 911 Turbo weniger die reinen Fahrleistungen - sie sind es natürlich auch - als vielmehr die Fahrbarkeit des gesamten Autos.
(Bild: Gleich)
Porsches "Turbo"-911er bargen seit jeher einen inneren Wert, den man ihnen auf den ersten Blick nicht ansah. Es waren von Anfang an ausgezeichnete GT-Wagen – nicht im Sinne von GT-Rennwagen, sondern im Sinne von Gran-Turismo-Straßenautos: Sportwagen, die ausgezeichneten Langstrecken-Komfort mit Sportwagenspaß fürs Zielgebiet kombinieren. Früher kursierten dazu im 911 Turbo über 17 Liter Öl um ein schwarzes Turboloch, in das ein ganzer 911-Sauger passte. Heute serviert Porsche dir 580 PS auf einem Tablett, das niemanden überfordert. Der Turbo zieht von 0 auf 100 in 2,8 Sekunden. Dennoch würde ich ihn bedenkenlos die Großeltern fahren lassen oder sagen wir: deutlich bedenkenloser als einen alten 911 Turbo.
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Bleifuß
"Es wäre gut, wenn es regnete", sagte Porsches Chassis-Spezialist am Hockenheimring, "dann könnten alle sehen, wie gut fahrbar dieses Auto ist. Das zeigt sich bei Nässe noch besser." Er erhielt seinen Wunsch teilweise: Ein Herbstschauer sprenkelte den Asphalt von Hockenheims GP-Strecke leicht, ohne eine komplett nasse Fahrbahn zu schaffen. Das Auto zeigte dennoch, wie leicht zugänglich es seine enorme Leistung macht. Hockenheims Schlüssel und Reiz liegt in der Parabolika, dieser langen Biegung, in die man am besten möglichst früh beschleunigt und aus der man am Ende aus (je nach Fahrzeug) über 260 km/h auf 40 km/h abbremst, denn ihr folgt das engste Eck des Tracks.
Moar Powarr! (11 Bilder)

(Bild: Porsche)
Nachdem ich zwei Runden lang Respekt vor der Nennleistung hatte, erinnerte ich mich an die Qualität von Porsches Fahrhilfen. Ich trat also kurz vor dem spät gelegten Scheitel das Gaspedal durch, um abzuwarten, was das mit mir, mit den Reifen und mit dem Auto machen würde. Das Ergebnis war erstaunlich, erfreulich, fast: erschreckend unspektakulär: Das Auto zieht dich einfach mit der maximal möglichen Beschleunigung auf allen vier Rädern aus dem Eck. Nichts wackelt, nichts zuckt. Der Puls, vorher stark hochgetaktet im Cayman GT4 auf Porsches Handling-Kurs im Inneren Hockenheims, bleibt weit unten.
Wenn jemand den Stand der Technik in Sachen Sportwagenbau kennenlernen will: Fahren Sie einen Turbo auf einem von Porsches Events. Danach sind Ihre Fragen beantwortet, vor allem: "Macht das noch Spaß?" Oh ja. Es wird viel mehr Leuten viel mehr Spaß machen, weil Porsche es ihnen zugänglich macht. Der Spaß an der Furcht, sich mit einem alten Hecktriebler in die Botanik zu kreiseln, wird im Rückblick überschätzt.
Wie und warum
Wenn man sich fragt, wie Porsche bei jeder Generation noch etwas bessere Straßenlage herauskitzelt, dann ist ein Teil der Antwort immer: Die 911-Modelle werden beständig breiter. So ist auch der neue Turbo wieder der breiteste bisher gebaute Straßen-911er. Irgendwann in näherer Zukunft erreicht Porsche vielleicht den Punkt vieler Supercars, an dem sie auf Fahrten ins Hintere Elend (Schwarzwald) erheblich langsamer gefahren werden müssen als ein Ford Fiesta ST. Der Turbo ist jetzt über 2 Meter breit über Spiegel (1,9 ohne). Eher was für die großen Bundesstraßen, Autobahnen, Rennstrecken, weniger fürs enge Geschlängel des deutschen Hinterwalds.
Der zweite Teil der Antwort liegt in den Details. Ein Fahreindruck, eine Rundenzeit, diese Dinge entstehen aus einem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren. Porsche optimiert dann möglichst viele davon möglichst signifikant. So wollte Porsche zum Beispiel diese sehr großen Felgen (20" vorn, 21" hinten) mit geringen Federwegen. Gleichzeitig darf ein Porsche natürlich nicht so einfach die Traktion abreißen lassen, wie es mit kurzen, harten Federwegen der Fall wäre. Also erhielt der Turbo hinten Helper-Federn, die ein leicht werdendes Heck mit 60 N/mm Federrate nachdrücken, wenn die Hauptfedern mit je 152 N/mm nicht passen.
Turbo-Details (10 Bilder)

(Bild: Porsche)
Mit dem ganz tiefen Fahrwerk und dem großen Flügel hinten erreicht Porsche bis zu 170 kg Abtrieb auf der Hinterachse. Damit man in Innenstädten dennoch ohne Frontspoiler-Schaben über Hindernisse kommt, hebt eine Hydraulik die Schnauze leicht an. Ein GPS-System merkt sich auf Wunsch die Orte, an denen der Fahrer dies für nötig hielt.
Jeden Tag fahren
Der GPS-Nasenheber reiht sich ein in andere Optimierungen auf den Straßenbetrieb, in dem ein Granturismo ja nicht nerven soll. Bei der enormen Leistung wichtig: Das Auto zeigt nicht nur den Reifenluftdruck, sondern auch die Temperatur an. Es gibt einen Parkassistenten und ab Dezember 2020 ferngesteuertes Einparken mit dem Smartphone. Das Ansprechverhalten wurde verbessert, unter anderem leistet sich Porsche jetzt zwei spiegelverkehrte Gussformen für die Turbolader, damit beide Zylinderbänke mit identischen Rohrlängen arbeiten können. Die Biturbo-Anlage mit elektrischen Wastegates sorgt für situativ stets passenden Ladedruck. Den Topspeed erreicht das Auto im 6. Gang der PDK-Automatik. 7. und 8. Gang sind also Spargänge.
Da ich verdrängt hatte, wie langweilig die Straßen rund um Hockenheim sind, nutzte ich abends die Chance, Ende Oktober in einem Turbo-Cabrio von 580 PS etwa 30 zu nutzen – die allerdings mit offenem Dach! Keine besonderen Auffälligkeiten. Selbst die Breite fällt nicht auf, weil es einfach mittlerweile so viele so breite Autos gibt. Wenn Sie allerdings ein Auto suchen, um damit am Sonntag ein bisschen zu cruisen, rate ich Ihnen vom Turbo ab. Kaufen Sie einen alten Mercedes SL, am besten einen ab G-Kat-Generation. Das macht Sie weniger arm, glücklicher und beliebter an der Schwerpunktstrecke.
Zahmes Monster mit superben Manieren
Die Cabrio-Variante des 911 Turbo sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Porsche hier ein Monster anbietet. Ein zahmes Monster mit superben Manieren, aber immer noch ein Monster. Wer damit am Café vorfährt, wird sich ähnlich fühlen wie ich mich in den 30er- bis 70er-Zonen rund um Hockenheim: übermotorisiert. Wobei ich eines nicht verneinen will: Das gute Gefühl kaum auslotbarer Leistungsreserven, es gehört so elementar zum Reiz des 911 Turbo wie sein großer Heckflügel.