Die Kunstfehler der Kunst

Das technische und wissenschaftliche Repertoire, um Kunstfälschungen zu entlarven, wird beständig größer. Dennoch wächst auch das Problem. Warum?

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In einem Museum.

(Bild: Photo by Jonas Smith on Unsplash)

Lesezeit: 10 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wenn das mal keine verkaufsfördernde Biografie ist: Der Maler Bohumil Samuel Kecir wurde 1904 in Holuci in Böhmen geboren, studierte Malerei in Paris, kehrte 1931 nach Tschechien zurück, wurde von den Nazis mit Berufsverbot belegt und in ein Straflager deportiert. Nach dem Krieg landete er wegen schwerer psychischer Probleme in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, wo er einen Großteil seiner Bilder produzierte – und 1987 verarmt und vergessen starb. Bis seine Bilder in den 90er-Jahren wiederentdeckt wurden. Das kleine Problem: Die gesamte Biografie ist „höchstwahrscheinlich fiktiv“, schreibt der Kunsthistoriker Hubertus Butin in seinem neuen Buch „Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde“.

Natürlich ist Kunstfälschung kein neues Phänomen, und nicht immer ist sie schädlich: 1496 etwa versuchte ein junger Künstler dem römischen Kardinal Raffaele Riario eine künstlich gealterte Statue des römischen Liebesgottes anzudrehen – und flog damit auf. Statt den Fälscher anzuzeigen, engagierte der Kardinal den talentierten Bildhauer. Der wurde später unter dem Namen Michelangelo weltberühmt. In den allermeisten Fällen aber fügen Fälschungen nicht nur den Geschädigten, sondern dem gesamten Kunstbetrieb schweren Schaden zu, der beständig größer wird.

Denn obwohl die technischen und wissenschaftlichen Methoden zur Entlarvung von Fälschungen immer besser werden, lässt sich ein schlüssiger Beweis der Echtheit auch mit den raffiniertesten Messungen nicht führen. „Viele Privatleute kommen zu uns mit der Vorstellung, wir hätten eine Maschine, die am Ende eine Jahreszahl und am besten auch noch gleich einen Künstlernamen ausspuckt“, sagt Heike Stege, Leiterin der naturwissenschaftlichen Abteilung am Doerner Institut. Das Institut ist Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und für Restaurierung und Erforschung von Maltechnik zuständig, verfügt aber auch über „Jahrzehnte gutachterlicher Tätigkeit im Fälschungsbereich“. „Im Grunde genommen muss man aber sagen, dass wir gar nicht in der Lage sind, zu beweisen, dass ein Bild echt ist. Es ist immer nur im Umkehrschluss möglich, aufgrund verschiedener Indizien zu beweisen, dass es sich um eine Fälschung handeln muss.“

Indizien lassen sich auf zahlreichen Ebenen finden: So prüfen Kunstexperten bei Werken, die sie für möglicherweise falsch halten, zunächst den Stil, aber auch sämtliche Informationen über die angebliche Herkunft des Bildes. Wenn sich daraus hinreichende Verdachtsmomente ergeben, wird das Bild weiter untersucht und beispielsweise mit Infrarotlicht bestrahlt. Das langwellige Licht durchdringt die oberen Farbschichten und macht so beispielsweise Unterzeichnungen sichtbar. Diese und andere bildgebende Verfahren können einerseits darauf hinweisen, dass eine echte, alte Leinwand vom Flohmarkt übermalt wurde. Sie können aber auch den Entstehungsprozess des Bildes sichtbar machen und damit seine Echtheit belegen.

Als zentrale Methode für die Identifikation – und damit auch für eine indirekte Datierung des Kunstwerks – hat sich die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA, englisch XRF) erwiesen. Dabei wird das Bild mit weichem Röntgenlicht angestrahlt, das in den Atomen anorganischer Farbbestandteile innere Elektronen anregt. Wenn die angeregten Elektronen nach einiger Zeit wieder in ihren Grundzustand zurückkehren, senden sie selbst Röntgenlicht spezifischer Wellenlängen aus, mit denen man zum Beispiel metallische Elemente wie Titan oder Kupfer identifizieren kann. „Wenn ein Bild vorgeblich italienischer Renaissance zu uns kommt, stellt sich häufig die Frage, ob es eine Kopie aus dem 19. Jahrhundert ist“, sagt Stege. „Die Chancen sind sehr groß, dass dann moderne Materialien wie Chrom auf dem Bild auftauchen.“

Warum solch ein Indiz nicht immer ausreicht, beschreiben Stefan Simon und Stefan Röhrs vom Rathgen-Forschungslabor Berlin, das zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört, in der Fachzeitschrift „Arts“. Das Institut war an der Untersuchung der Gemälde im Prozess gegen den Fälscher Wolfgang Beltracchi beteiligt. Bei den Gemälden, die angeblich von Malern der Klassischen Moderne wie Max Pechstein und Max Ernst und zwischen 1905 und 1914 entstanden sein sollen, wurde durch eine Röntgenfluoreszenzanalyse unter anderem Titan gefunden. Das könnte aus Titanweiß stammen. Das wiederum wurde laut Kunstexperten frühestens 1938 in Deutschland vermarktet. Experten nennen so etwas einen „Terminus post quem“-Punkt, weil das Material „nicht früher als“ ein bestimmter Zeitpunkt verwendet worden ist. Allerdings findet sich Titan auch in „Erdfarben“ wie Ocker oder einigen Grüntönen wieder, die das Mineral Ilmenit enthalten. Die Analytiker mussten deshalb Proben der Farbschichten nehmen, die sie weiteren analytischen Tests unterzogen, um die Pigmente zu identifizieren. Als zusätzliches Indiz entpuppte sich dabei auch Phthalocyaninblau, ein synthetischer Farbstoff, der erst 1935 kommerzialisiert wurde.

Als kritisch erweist sich gelegentlich auch die Frage, welche Stellen des Bildes untersucht wurden beziehungsweise wo die Proben genommen wurden. „Denn Sie wissen ja nicht sicher, ob die Stelle, die Sie da untersucht haben, nicht vielleicht eine restaurierte Bildpartie ist“, sagt Stege. In solchen Fällen kann zusätzlich noch das Macro-XRF-Scanning zum Einsatz kommen: Dabei wird das Bild Punkt für Punkt mit Röntgenlicht abgerastert. Dadurch bekommt man für jeden Bildpunkt ein charakteristisches Spektrum, das auf die Verteilung von anorganischen Pigmenten oder Blattmetallen schließen lässt. „Damit können Sie aber immer noch nicht ausschließen, dass es sich um eine alte Fälschung handelt“, sagt Stege. „Modigliani zum Beispiel ist ja hochkompliziert. Da wurde im direkten Umfeld nach dem Tod des Künstlers – Modigliani starb bereits mit 35 Jahren – in seinem Stil weitergearbeitet.“

Im Unterschied zur indirekten Datierung durch die Identifikation von Pigmenten setzen Materialforscher daher mittlerweile große Hoffnungen auf die Radiokarbonmethode: Der Chemiker Willard Frank Libby entwickelte die Kohlenstoffdatierung in den 1940er-Jahren, als er die Effekte der kosmischen Strahlung erforschte. Hochenergetische Neutronen von der Sonne erzeugen in den oberen Schichten der Atmosphäre aus Stickstoff ein instabiles Kohlenstoffisotop, ¹⁴C, das mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren wieder zerfällt. Libby erkannte: Stirbt ein Organismus, nimmt er kein neues ¹⁴C mehr auf, stattdessen sinkt die Zahl der Atome durch den radioaktiven Zerfall. Über die Halbwertszeit kann man also zurückrechnen, wann der Stoffwechsel aussetzte. Um das zu können, muss man jedoch den Startwert kennen. Da der Gehalt an ¹⁴C von der Kohlenstoffkonzentration in der Atmosphäre und der Sonnenaktivität abhängt und stark schwankt, muss man die Messung mithilfe von Eichkurven aus Baumscheiben kalibrieren.

„In der letzten Zeit gab es große Fortschritte bei dieser Technik“, sagt Laura Hendriks von der ETH Zürich. „In den 70er-Jahren hat man ein Milligramm Kohlenstoff gebraucht – das war nicht so gut, um Bilder zu untersuchen. Jetzt reichen 20 Mikrogramm.“ Hendriks hat eine Methode entwickelt, um Leinwand, Farbe und Bindemittel in der Farbschicht gleichzeitig zu datierten. „Ölfarben enthalten Pigment gemischt mit Bindemitteln“, erklärt sie. „Das Öl ist in der Regel pflanzlich – Leinöl, Nussöl oder Ähnliches. Das kann man also mit der Radiokarbonmethode datieren. Eine Leinwand kann man recyceln. Bindemittel nicht. Wenn beide Daten nicht übereinstimmen, ist das ein starkes Indiz dafür, dass das Bild gefälscht ist.“

Dass die Methode funktioniert, konnte Hendriks im Rahmen ihrer Doktorarbeit zeigen – allerdings an einer bereits bekannten Fälschung von Robert Trotter, der sich darauf spezialisiert hatte, amerikanische Volkskunst des 19. Jahrhunderts zu produzieren. Nachdem er 52 Fälschungen auf dem Markt platzieren konnte, schnappte ihn das FBI. „Der nächste Schritt war dann, auch Pigment zu datieren“, sagt sie. „Dazu muss das Pigment allerdings kohlenstoffhaltig sein. Wir haben uns deshalb auf Bleikarbonat konzentriert.“

TR 9/2020

Das Bleikarbonat entsteht bei der Herstellung von Bleiweiß – das Blei bindet bei seiner Reaktion Kohlendioxid aus der Luft. Dieses Weiß wurde häufig zur Grundierung verwendet. „Die Farbe befindet sich also oft am umgeschlagenen Rand der Leinwand. Wenn man da eine Probe nimmt, riskiert man nicht, das Bild selbst zu beschädigen“, sagt Hendriks. „Stimmen alle drei Datierungen überein, ist die Wahrscheinlichkeit noch höher, dass das Bild echt ist.“ Allerdings hat die Methode einen Haken: Weil die ¹⁴C-Konzentration zwischen 1700 und 1950 stark schwankte, ist die absolute Datierung in diesem Zeitraum sehr ungenau – mit einer Schwankung von 50 Jahren und mehr.

Deshalb ist an dieser Stelle die Detektivarbeit noch lange nicht zu Ende. Giuseppino Fortunato vom Schweizer Materialforschungsinstitut EMPA hat bereits 2004 vorgeschlagen, die unterschiedliche Zusammensetzung der verschiedenen Blei-Isotope in Bleiweiß-Proben zur Bestimmung des Herstellungsortes zu nutzen. Denn während des Mittelalters war Venedig das Zentrum der Bleiweiß-Herstellung. Im 17. Jahrhundert verlagerte sich die Herstellung nach Holland, während Ende des 18. Jahrhunderts parallel auch eine Bleiweiß-Industrie in Großbritannien entstand.

Da Blei mit einer spezifischen Isotopenzusammensetzung jeweils aus lokalen Minen stammte, lässt sich die Probe so indirekt datieren. Zumindest in der Theorie. Hendriks versuchte nun, auch diese Methode anzuwenden und mit den beiden anderen Datierungen zu kombinieren. „Allerdings ist die Interpretation der Daten sehr schwierig“, sagt sie. Denn die Isotopenzusammensetzung holländischer und britischer Proben unterschied sich nicht. „Außerdem haben wir in der Literatur gefunden, dass die Holländer eine Zeit lang Blei aus britischen Minen importiert haben.“

Möglicherweise bekommen Hendriks und ihre Kollegen schon bald Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Denn mittlerweile ist künstliche Intelligenz in der Lage, den Stil eines Künstlers zu erkennen und zu replizieren, wenn man ihr nur genügend Beispiele zeigt. Das mag neue Möglichkeiten für Fälscher eröffnen, aber auch neue Methoden, Fälschungen zu entlarven. Ahmed Elgammal von der Rutgers University veröffentlichte 2018 eine Studie, in der er zeigte, dass eine von ihm trainierte KI auch eine Kombination von vorgegebenen und gelernten Features in Zeichnungen mit einer Genauigkeit von 90 Prozent als Fälschung erkennen konnte. Und Steven und Andrea Frank veröffentlichten 2019 eine Methode, um die Entropie von Bildteilen zu messen. Die Größe, die eigentlich aus der Thermodynamik stammt, kann auch verwendet werden, um den theoretischen Informationsgehalt digitaler Daten zu messen. Gibt es Abweichungen in der Entropie relevanter Bildteile, sei das ein Hinweis auf Bildmanipulationen.

Heike Stege vom Doerner Institut bleibt jedoch skeptisch. „Ich will nicht grundsätzlich ausschließen, dass das für manche Künstler funktionieren kann“, sagt sie. Aber die Methode könne „nur funktionieren, wenn es hinsichtlich des Malstils eine Art unverwechselbare Handschrift gäbe. Dies sehe ich in den seltensten Fällen für einen Künstler gegeben“. Der Wettlauf zwischen Fälscher und Kunstexperten wird also weitergehen.

(bsc)