Neues Schutzrecht: Bundestag macht Weg fürs EU-Einheitspatent frei

Im zweiten Gang hat der Bundestag den Gesetzentwurf für das EU-Patentgericht mit der nötigen Zweidrittelmehrheit trotz viel Kritik von außen beschlossen.

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(Bild: Maksim Kabakou/Shutterstock.com)

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Mit den Stimmen fast aller Fraktionen hat der Bundestag am Donnerstag einen umkämpften Gesetzentwurf verabschiedet, mit dem Vorgaben aus Brüssel für das seit vielen Jahren geplante neue EU-Einheitspatent und das damit verknüpfte harmonisierte Patentgericht in nationales Recht im zweiten Anlauf ratifiziert werden sollen. Nur die AfD war dagegen.

Die Initiative erhielt so die erforderliche Zweidrittelmehrheit. 2017 hatte das Parlament den Entwurf schon einmal zu später Stunde ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen befürwortet. Damals waren bei der Entscheidung aber nur 38 von über 630 gewählten Abgeordneten anwesend. Im März erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz so nach einer Beschwerde des Düsseldorfer Patentanwalts Ingve Stjerna aufgrund dieses Formfehlers für nichtig.

Der Kläger monierte auch inhaltliche Verstöße gegen das Grundgesetz wie etwa die Auswahl der EU-Patentrichter. Damit setzten sich die Karlsruher Richter aber nicht auseinander. Den Wortlaut des neuen Entwurfs ließ die Bundesregierung daher unverändert, nur die Begründung passte sie an. Der Bundesrat brachte im September keine Bedenken vor. Eine Aussprache zur 1. Lesung sparte sich der Bundestag genauso wie eine Sachverständigenanhörung.

Mit dem Gesetz stimmt der Bundestag dem Übereinkommen für ein EU-Patentgericht zu, das als Schlussstein der Reform des europäischen Patentsystems gilt. Das einheitliche Patentgericht besteht als internationale Organisation mit Sitz in Luxemburg aus einem Gericht erster Instanz, einem Berufungsgremium und einer Kanzlei. Eine Zentralkammer kommt nach München.

Ein Teil der Rechtsprechung soll laut dem Text, der in die Jahre gekommen ist, in London erfolgen. Dies sorgt bei vielen für Stirnrunzeln, da sich Großbritannien mit dem Brexit aus dem gesamten System für das Einheitspatent zurückgezogen hat. Einschlägige Abkommen stehen eigentlich nur EU-Mitgliedsstaaten offen.

Da sich der Gesetzentwurf mit derlei Belangen nicht beschäftige, sei das Patentgericht nach wie vor angreifbar, gab deswegen etwa der Münchner Patentanwalt Tilman Müller-Stoy zu bedenken. Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei warf die Frage auf, ob Deutschland überhaupt noch das Rechte habe, das Abkommen zu unterzeichnen, solange formell ein Drittstaat an Bord sei. Es gibt aber auch Stimmen, wonach die London-Frage und Alternativen noch entschieden werden können, wenn der Vertrag von allen benötigten Parteien unterschrieben ist.

Ursprünglich war zumindest die Ratifizierung des Abkommens für das Patentgericht durch Großbritannien, Deutschland und Frankreich als erforderlich angegeben worden, damit die Regeln greifen können. Das Bundesjustizministerium geht nun aber davon aus, dass ein unerwarteter, nicht vorhersehbarer Rückzug einer der drei Staaten ein Inkrafttreten des gesamten Systems für die anderen Beteiligten nicht verhindert.

Das Übereinkommen sei zwischenzeitlich von 16 Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden, darunter Frankreich und Großbritannien, schreibt die Bundesregierung in dem Entwurf. Für sein Inkrafttreten sei nur noch die Ratifikation durch die Bundesrepublik erforderlich.

Mit dem Einheitspatent geht die Hoffnung einher, dass Unternehmen Erfindungen bald einfacher und günstiger EU-weit schützen lassen können. Der Zugang zum Patentschutz soll erleichtert, mehrfache Prozessführung in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten verhindert werden.

Insbesondere die deutsche Industrie, auf die rund 40 Prozent der vom Europäischen Patentamt (EPA) an europäische Anmelder erteilten europäischen gewerblichen Schutzrechte entfallen, werde davon profitieren, heißt es beim Justizministerium. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in zukunftsorientierten Innovationsfeldern tätig seien, verbessere sich die Situation deutlich.

Die EU-Kommission räumte in einem Arbeitsdokument 2015 aber ein, dass das Kostenrisiko für Immaterialgüterrechte und insbesondere Patentstreitigkeiten beträchtlich sei sowie KMU "unverhältnismäßig hart" treffe. So müssten Firmen, die einen Rechtsstreit beim einheitlichen Patentgericht verlieren, die Gebühren des Gewinners zahlen. Diese beliefen sich nach vorläufigen Schätzungen auf eine feste Summe von 11.000 Euro plus einen vom Streitwert abhängigen Beitrag von bis zu 220.000 Euro. Dazu kämen die Gerichtskosten des Gewinners, die sich auf bis zu drei Millionen Euro belaufen könnten. Ferner werde die unterlegene Partei in der Regel auch Schadenersatz leisten müssen.

Das Einheitspatent werde als eine "billigere" Lösung für Patente in Europa angepriesen, beklagte der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) Montag in einem offenen Brief an den Bundestag. "Aber am Ende haben wir ein System, das für einen einfachen Fall im Vergleich zur gegenwärtigen Situation teurer ist, um einen Rechtsstreit zu führen".

Zugleich verwies der Verein auf gravierende Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit der Initiative. So sei es etwa nicht möglich, das EPA wegen Fehlfunktion vor dem neuen Patentgericht zu verklagen. Ferner sei noch eine Verfassungsbeschwerde wegen unzureichendem Rechtsschutz beim EPA gegen eine Entscheidung der Beschwerdekammern anhängig, auf dessen Ausgang der Bundestag hätte warten müssen.

Zuvor hatte der FFII gewarnt, dass Deutschland mit der Ratifizierung gegen drei andere internationale Abkommen verstoße. Schon seit Langem gibt es auch Bedenken, dass durch die vereinheitlichte Rechtsprechung die umstrittenen Softwarepatente leichter durchsetzbar werden. Neue Verfassungsbeschwerden sind bereits angekündigt, wenn der Bundesrat abschließend zustimmt, was für den 18. Dezember geplant ist. Der FFII bittet um Spenden, um eine Klage finanzieren zu können.

Bei der abschließenden Aussprache betonten Redner von CDU/CSU und SPD die Bedeutung des Übereinkommens und des dadurch garantierten Patentschutzes für die deutsche Wirtschaft. Die vom EPA bisher vergebenen Bündelpatente reichten für den europäischen Binnenmarkt nicht aus, da man gegen diese in mehreren einzelnen Staaten klagen müsse, meinte Ingmar Jung von der CDU. Der vereinheitliche Ansatz stärke die Wettbewerbsfähigkeit.

Ein "Forum-Shopping" mit dem Gang zu Gerichten in einzelnen Ländern aus taktischen Gesichtsgründen sei künftig nicht mehr möglich, signalisierte Roman Müller-Böhm (FDP) Zustimmung. Friedrich Straetmanns bezeichnete das Projekt, die Patentpolitik zu vereinheitlichen, für die Linke als sinnvoll. Die Schwierigkeiten mit dem Standort London hätte die Regierung aber nicht unter den Tisch fallen dürfen.

Es sei wertvolle Zeit verstrichen, beklagte Tabea Rößner für die Grünen. Das einheitliche Patentgericht sei wichtig, da Ansprüche nun nicht mehr in mehreren Staaten angefochten werden könnten mit den damit verknüpften hohen Kosten. Fragen rund um Softwarepatente müssten aber noch angegangen werden. "Man sollte meinen, aus Schaden wird man klug", erklärte Roman Reusch (AfD). Die Mehrheit im Parlament sei aber für "Augen zu und durch". Ohne Anhörung sei es nicht möglich, angesichts der zahlreichen Einwände eine informierte Entscheidung zu treffen.

(mho)