Heiko Maas: "Morddrohungen sind zu treuen Begleitern geworden"

Die SPD-Minister Heiko Maas und Christine Lambrecht werben für ein schärferes Vorgehen gegen Hassrede auf Ebene des Europarats nach NetzDG-Muster.

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(Bild: Katya Rekina/Shutterstock.com)

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Bundesaußenminister Heiko Maas fordert ein international stärker abgestimmtes Vorgehen gegen Hass und Hetze im Netz. "Morddrohungen sind zu treuen Begleitern geworden in der letzten Zeit", erklärte der Sozialdemokrat am Donnerstag auf der Konferenz "Unboxing Hate Speech" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Bei ihm landeten Ankündigungen körperlicher Gewalt "gegen das komplette Umfeld", auch seine Familie sei davon betroffen.

Ein Politiker müsse so etwa aushalten und lernen, mit Häme und Hass umzugehen, meinte Maas, bei dem sich unter anderem schon eine Neun-Millimeter-Patrone im Briefkasten fand. Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, stellten sich dagegen eher die Frage, ob sie sich dies antun sollten. Internet führe zwar auch dazu, "dass es zu demokratischen Bewegungen kommt". Viele Angegriffene zögen sich aber aus ihrer gesellschaftlichen Arbeit zurück, da Hassrede zunehmend die gesamte Kommunikation verändere.

"Verbale Gewalt im Netz führt zu körperlicher Gewalt auf der Straße", machte der Minister eine "hässliche Entwicklung" aus. Der Staat, die Zivilgesellschaft und jeder Einzelne müssten sich dem entgegensetzen: "Die große, große Mehrheit will eine Gesellschaft", in der man sich im Internet mit Respekt gegenübertrete. Auch die großen Tech-Konzerne hätten hier eine Verantwortung. Dazu gehöre insbesondere, "sich an die Gesetze zu halten". Diese würden noch nicht im Silicon Valley gemacht, sondern in den Parlamenten.

Allerdings haben Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft & Co. Maas zufolge inzwischen "soviel Macht, dass sie Länder auch gegeneinander ausspielen können". Die Bundesregierung wolle daher im Rahmen des deutschen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats in diesem Jahr dafür sorgen, dass die Online-Plattformen künftig zumindest in dessen 47 Mitgliedsstaaten "auf die gleichen Regeln stoßen". Eine Expertenkommission werde dazu im Sommer Vorschläge veröffentlichen. Im Dezember sei dann geplant, eine entsprechende Richtlinie gegen Hass im Netz zu verabschieden. Letztlich müssen sich aber auch die UNO mit diesem Thema beschäftigen, nachdem gerade bei rechtsextremen Zellen international immer mehr Waffen gefunden würden.

"Sobald man anfängt, über Regeln im Internet zu sprechen, ist man der Totengräber der Meinungsfreiheit", ist dem SPD-Politiker nicht entgangen. Hier werde aber viel mit Fehlinformationen gearbeitet. Die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit bleibe geschützt, Halbwissen müsse die Politik mit wissenschaftlichen Studien entgegentreten.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zeigte eine klare Grenze auf: "Wo das Strafrecht beginnt, endet die Meinungsfreiheit." Wer anderen Mord oder körperliche Gewalt androhe, könne sich damit auch im Netz nicht hinter eine "vermeintliche Anonymität" zurückziehen. Sie schätze das Internet prinzipiell "als Segen", da damit etwa der Informationszugang demokratisiert werde. Sie kämpfe aber dafür, dass sich jeder online frei äußern können sollte ohne Shitstorms und massive Drohungen.

"Es gehört leider mit dazu, dass jede Bemerkung hart kritisiert wird", sagte die SPD-Politikerin auf sich bezogen. Viele in der Zivilgesellschaft würden von Hate Speech beeinflusst. Wenn sich etwa Wissenschaftler äußerten, würden sie oft "sehr, sehr schnell Opfer solcher Einschüchterungsversuche".

Bei der geplanten Europaratsinitiative kündigte Lambrecht daher an, die hiesigen Erfahrungen mit dem umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) einzubringen. Dieses solle durch das nach wie vor auf Eis liegende Anti-Hass-Gesetz so verschärft werden, dass illegale Äußerungen nicht nur gelöscht, sondern schwere Straftaten auch verfolgt werden sollten durch die Herausgabe von IP-Adressen an das Bundeskriminalamt. Sie wolle zudem mit dem Demokratiefördergesetz dafür sorgen, dass Projekte gegen Hassrede wie HateAid sich nicht mehr von einer Projektförderung zur nächsten durchhangeln müssten.

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"Hate Speech ist ein heimtückisches Phänomen", beklagte die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić. Soziale Netzwerke gäben Hetzern ein virtuelles Megafon in die Hand, mit dem sie etwa Minderheiten wie Geflüchtete oder Mitglieder der LGBTI-Community angreifen könnten. Es gebe keinen Zweifel, "dass die modernen Technologien die Flammen anfachen". Der Europarat wolle daher mithelfen, das Problem an der Wurzel zu packen und Hassrede auszuradieren. Neben Gesetzen, mit denen etwa die Netzwerkbetreiber stärker in die Verantwortung kommen sollten, seien dafür auch Maßnahmen wie Aufklärung und die Produktion von Gegenrede nötig.

Der Staatenbund unterstütze seit 2013 die "No Hate Speech"-Kampagne und habe jüngst einen Sonderbeauftragten für Hass gegen Juden und Muslime eingesetzt, führte die Kroatin aus. Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention sichere das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses müsse aber ausbalanciert werden etwa mit dem Recht auf Privatsphäre aus Artikel 8.

Der Rat werde seinen Mitgliedern mehr Empfehlungen an die Hand geben, wie sie im Kampf gegen Hass und Hetze "alle straf-, zivil- und verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten" ausschöpfen könnten, ergänzte die Leiterin der Generaldirektion Demokratie des Gremiums, Snežana Samardžić-Marković. Natürlich dürften auch Politiker online ihre Meinung äußern, kommentierte sie die Sperre von Ex-US-Präsident Donald Trump durch Plattformen wie Twitter, Facebook und YouTube nach dem Sturm auf das Kapitol. Die Gesellschaft sollte ihnen gegenüber aber nicht nachsichtiger sein als gegenüber anderen Bürgern.

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"Es mag sympathisch erscheinen", dass der Republikaner "mal gesperrt" worden sei, kommentierte Maas diesen Schritt. Dieser werfe aber grundsätzliche Fragen auf. Solche Entscheidungen dürften nicht den Tech-Konzernen überlassen werden. Die Plattformen hätten Trump "sehr lange laufen lassen", monierte Lambrecht. Sie hätten auch ein "gewisses digitales Hausrecht", müssten zugleich aber stärker offenlegen, unter welchen Voraussetzungen sie Sperren verhängten. Dienstebetreiber dürften nicht darüber verfügen, was richtig und falsch sei.

Die Europäer sollten eine abgestimmten Ansatz gegen Hassrede verfolgen, forderte Julia Mozer von der Organisation CEJI, die einen jüdischen Beitrag für ein inklusives Europa liefern will. Politiker hätten besonders große Möglichkeiten, Hetze zu verbreiten. Andererseits gebe es autoritäre Regimes, "in denen sich staatliche Regulierung wie eine Bedrohung anhört".

Die Blockade Trumps sei eine "Ausnahmesituation" gewesen, warb Markus Reinisch, der bei Facebook in Europa für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, um Verständnis. "Politiker sein heißt nicht, alles zu dürfen auf einer Plattform." Andererseits hätten die Bürger ein Recht darauf zu hören, was ihre Staatschefs sagen wollten. Wie damit umzugehen sei, "sollten nicht wir entscheiden", monierte der Insider auch Versäumnisse bei der Politik. Facebook fordere generell mehr Regulierung, wolle sich seiner Verantwortung stellen und halte daher auch den geplanten Digital Services Act der EU grundsätzlich für nötig.

Reinisch unterstrich, dass der US-Konzern bereits auf Basis seiner Hausregeln fast 90 Prozent von Hassrede, terroristischer Propaganda und sexueller Missbrauchsdarstellungen per Algorithmus automatisch rausnehme, "bevor die Leute solche Äußerungen überhaupt sehen". Man versuche auch, "Clickbaiting mit polarisierenden Informationen" zu reduzieren und stattdessen gemeinschaftsfördernde Inhalte in den Vordergrund zu rücken. Zusätzlich beschäftige das Unternehmen zehntausende Content-Moderatoren fürs Nachjustieren.

(mho)