Netto-Null-Emissionen 2045: Bundestag beschließt verschärftes Klimaschutzgesetz

Mit dem Klimaschutzpaket sollen die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 88 Prozent sinken, mehr Windräder entstehen und Smart Meter rechtssicher werden.

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(Bild: Georgii Shipin/Shutterstock.com)

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Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der Bundestag am Donnerstag ein umfangreiches Klimaschutzpaket verabschiedet, mit dem zahlreiche Gesetze und Verordnung geändert werden. Kernteil ist die umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes. Deutschland muss damit in den kommenden Jahren deutlich mehr CO2 und andere klimaschädliche Gase einsparen als zunächst geplant. Die Bundesrepublik soll demnach bis 2045 klimaneutral werden. Ursprünglich sollten die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf netto Null sinken.

Die Opposition stimmte aus unterschiedlichen Gründen geschlossen gegen die Novelle. Alle nicht an der Regierung beteiligten Fraktionen hatten Dutzende eigene Anträge für oder gegen mehr Klimaschutz eingebracht, die keine Mehrheiten fanden.

Das Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität für 2030 lautet, den Treibhausgasausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Bislang sollten es 55 Prozent sein. Für 2040 gilt die Vorgabe von 88 Prozent Minus. Den Löwenanteil der zusätzlichen CO2-Einsparungen bis 2030 sollen die Energiewirtschaft, die ihre Jahresemissionsmenge von 280 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2020 auf 108 Millionen Tonnen bis 2030 verringern muss, und die Industrie übernehmen.

Dort seien "die Vermeidungskosten am geringsten", erläuterte die Bundesregierung diesen Ansatz. Zudem kämen diese Sektoren weiterhin auf die höchsten Emissionen. Zugleich werde das neue höhere EU-Klimaziel für 2030 mit einem 55-Prozent-Reduktionsziel berücksichtigt. Die Kosten des neu eingeführten CO2-Preises sollten laut der Exekutive nicht mehr allein von den Mietern, sondern zur Hälfte auch von den Vermietern getragen werden. Die CDU/CSU-Fraktion legte aber ihr Veto ein, sodass die Klausel außen vor blieb.

Eingefügt hat die Koalition eine Passage, wonach der erwartete umfassende Klimaschutzbericht der Regierung erstmals 2024 und dann alle zwei Jahre eine Darstellung zum Stand und zur weiteren Entwicklung der CO2-Bepreisung innerhalb der EU sowie zu technischen und internationalen Entwicklungen und zu ihrer Kompatibilität mit nationalen Vorgaben enthalten muss. Die Abschätzungen sollen möglichst auch "Auswirkungen auf die Beschäftigungsentwicklung, die Wirtschaftsstruktur, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch im ländlichen Raum sowie die Effizienz des Einsatzes von natürlichen Ressourcen" einschließen.

Die Initiative ist verknüpft mit einem Investitionspakt mit der Industrie für "klimafreundliche Produktion in Deutschland". Der Einsatz von grünem Wasserstoff zur Energiegewinnung soll gefördert, das Potenzial natürlicher CO2-Senken wie Wälder und Moore stärker genutzt werden. Dazu kommt ein 8 Milliarden Euro schweres Sofortprogramm, mit dem die Umsetzung der neuen Klimaschutzziele in den verschiedenen Sektoren unterstützt werden soll.

Mit dem Paket reagiert die Exekutive auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz von Ende April. Demnach müssen die Anstrengungen bis 2045 fairer zwischen den jetzigen und künftigen Generationen verteilt werden.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hatte – genauso wie mehrere Sachverständige bei einer Anhörung am Montag – vorab moniert, dass offen bleibe, wie die neuen Ziele erreicht werden können. Bestehende Maßnahmen müssten nachjustiert, neue entwickelt "und mit entsprechender Finanzierung hinterlegt werden". Gesetze und andere Vorgaben etwa für die erneuerbaren Energien, "die derzeit den Ausbau von notwendiger Infrastruktur verhindern", gehörten auf den Prüfstand. Der Normenkontrollrat fordert erheblich beschleunigte Planungs-, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren, um die nötigen Investitionen in industrielle Produktionsprozesse und Infrastruktur zu ermöglichen.

Beschlossen hat der Bundestag ferner einen Gesetzentwurf, mit dem er die Vorgaben der EU-Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen implementieren will, sowie eine Verordnung zur Umsetzung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften. Dadurch soll das Zulassungsverfahren vor allem für Windräder effizienter und weniger kompliziert werden. Das "Repowering" von Windanlagen, also die Nachrüstung vorhandener Windräder, wird mit einem Zusatz der Koalition erleichtert: Dabei ist künftig im Genehmigungsverfahren nur noch maßgeblich, ob zusätzliche Belastungen entstehen.

Ebenfalls verabschiedet haben die Abgeordneten einen Gesetzentwurf mit neuen Regeln für "reine Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht". Für die Umwidmung von Gasleitungen, den Neubau von Wasserstoffleitungen und für die Integration bestehender privater Infrastrukturen soll damit Planungs- und Investitionssicherheit geschaffen werden.

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Die Koalition fügte dem entsprechenden Regierungsentwurf zahlreiche Änderungen hinzu, die weit über den Bereich Wasserstoff hinausgehen. Bei Windenenergieanlagen an Land dürfen den betroffenen Gemeinden so künftig Beträge von insgesamt 0,2 Cent pro Kilowattstunde etwa für die tatsächlich eingespeiste Strommenge angeboten werden, wenn die Anlage eine installierte Leistung von mehr als 750 Kilowatt hat und gefördert wurde.

Schwarz-Rot will mit einem Zusatz zudem mehr Rechtssicherheit für den Einbau von intelligenten Stromzählern schaffen, nachdem ein Gericht entsprechende Pflichten jüngst gestoppt hatte. Daten aus solchen Messgeräten sollen nun nur noch direkt an die berechtigten Stellen übertragen werden, soweit das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) dies als technisch möglich bewertet und die Bundesnetzagentur das Verfahren gebilligt hat.

Der Bundestag fordert die Regierung ferner auf, im Dialog mit Energiewirtschaft und Verbraucherschützern auf ein "breit verfügbares Angebot attraktiver und einfacher variabler Stromtarife hinzuwirken", die etwa unter Einbeziehung von Smart-Meter-Gateways und Energiemanagement-Systemen Stromkunden, Markt und Netz gleichermaßen von Nutzen sein könnten.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hatte nach der Absprache von Schwarz-Rot erklärt, dass die Einigung "das grundsätzliche Scheitern der großen Koalition beim Klimaschutz" besiegele. Nie zuvor seien die Dringlichkeit und die Möglichkeiten, etwas zu tun, größer gewesen. Schwarz-Rot habe aber eine "sozial-gerechte Reform des CO2-Preises" verpasst und stümpere weiter beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Verkehrswende sei noch nicht einmal in Angriff genommen worden. Diese "fortgesetzte Handlungsverweigerung" gefährde Wohlstand, Freiheit und Arbeitsplätze und lasse die Industrie sowie die Menschen alleine.

Die FDP-Fraktion monierte, es sei unklug, mit Zielen vorzupreschen, bevor die EU ihre Pläne bekanntgegeben habe. Die jährlichen Minderungsvorgaben für den Treibhausgasausstoß seien schwer nachvollziehbar. Die Linke forderte zentrale ordnungsrechtliche Schritte und Vorgaben, aus denen sich niemand rauskaufen könne. Ansätze wie eine Photovoltaik-Pflicht für sämtliche Gebäude, ein kräftiger Ausbau der Windkraft und ein Tempolimit seien zwar in der Koalition diskutiert, von der CDU/CSU-Fraktion aber verhindert worden. Erneute Verfassungsbeschwerden sind bereits angekündigt.

(mho)