Elektroauto Audi e-tron GT im Test

Der e-tron GT ist sparsam und stark. Das gilt für die Geschwindigkeit an der Ladesäule wie auch auf der Straße. Ein Gran Turismo im Wortsinn ist er aber nicht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 608 Kommentare lesen
Audi e-tron GT

Die Form des Hecks kam bei Passanten am besten an. Unabhängig davon ist der Audi e-tron GT ein beeindruckendes Elektroauto.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Der Audi e-tron GT ist das neue elektrische Spitzenmodell der Marke. Die Sportlimousine hat einen der seltenen funktionierenden e-Routenplaner: Nach der Zieleingabe im Navigationssystem werden nicht nur eventuelle Zwischenstopps an schnellen Ladesäulen integriert. Eine aktive Batterieheizung bringt die Zellen auch auf die Wohlfühltemperatur von 30 Grad. Pro Grad Celsius, das überwunden werden muss, vergeht ungefähr eine Minute.

Das Ergebnis: Die optimale Ladeleistung war während des zweiwöchigen Praxistests jederzeit abrufbar. So waren beispielsweise nach einem Halt von einer Viertelstunde 49 kWh nachgeladen. Diese Strommenge entspricht bei einem Durchschnittsverbrauch von 22,9 kWh/100 km 214 km Reichweite. Ein Topwert im Umfeld batterieelektrischer Autos. Einen kleinen Abstrich gibt es beim e-Routenplaner trotzdem: Die dynamische Prognose des State of Charge (abgekürzt SoC) wird leider erst durch einen Klick in die erste Subebene des Bediensystems sichtbar.

Der Audi e-tron GT baut wie der Porsche Taycan auf der Plattform J1 auf: 800 Volt Batteriespannung, 83,7 kWh Energieinhalt netto. Die Einstiegsversion des e-tron GT (ab 99.800 Euro) hat eine Motorleistung von 350 kW, die im Boost – also zum Beispiel über die Launch-Control – auf 390 kW angehoben wird. Bis 100 km/h vergehen minimal 4,1 Sekunden, und bei 245 km/h Spitzengeschwindigkeit ist Schluss. Werte, die vor nicht allzu langer Zeit nur in Supersportwagen abrufbar waren, sind heute die Basis. Seien Sie versichert: Der e-tron GT ist potenziell in allen Lebenslagen sehr viel schneller als notwendig. Dass der RS e-tron GT oder ein Taycan Turbo ab 220 km/h aufwärts nochmal richtig durchstarten, steht auf einem anderen Datenblatt.

Audi hatte dem Testwagen eine bewusst leichte Ausstattung mitgegeben: Keramikbremsen, Karbondach und der Verzicht auf Extras wie den künstlichen Innensound sollten den dynamischen Charakter unterstützen. Dabei fielen zwei Aspekte auf. Erstens: Auch ohne Allradlenkung ist das Einlenkverhalten in Kurven herausragend. Sensible Naturen und Stadtparker bemerken dennoch einen habhaften Unterschied. Die Empfehlung ist also, die 1390 Euro Aufpreis für die Allradlenkung zu investieren und das Mehrgewicht hinzunehmen. Aus dem Audi wird mit 2365 kg laut Fahrzeugschein (A7 TDI: 2085 kg) so oder so keine Feder. Echte Sportwagen sind leichter.

Audi e-tron GT Technik (5 Bilder)

Der Heckspoiler variiert seine Position in Abhängigkeit der Geschwindigkeit. Der Unterboden ist glatt. (Bild: Audi)

Zweitens: Ohne künstlichen Innensound ist der erste Gang des Zweigang-Getriebes mechanisch deutlich hörbar. Das geht gerade noch als sportlich durch, zumal der erste Gang im Normalmodus nur bei Kickdown zum Einsatz kommt. In "dynamic" wird grundsätzlich im ersten Gang und bis circa 90 km/h gefahren, aber dieser Modus ist die Ausnahme im Realbetrieb. Schön in "dynamic" ist die leicht heckbetonte Auslegung, die Spaß in die Bude bringt.

Was den e-tron GT ausmacht, ist, dass er ein Audi ist und kein öder Taycan-Klon. Besonders das Design ist gelungen und entspricht der Marke außen und innen. Der e-tron GT sieht gut aus, er steht geduckt und flach auf der Straße. Und er ist groß. Ohne Rundumsicht-Kameras ist das Rangieren kaum möglich, zumal die Übersicht ein Witz ist, allerdings kein guter.

Beim Fahren verbindet der Audi e-tron GT wie oben erwähnt ein absurd gutes Einlenkverhalten mit einer kommoden Federung. Der Abrollkomfort und die Abrollgeräusche könnten noch besser sein, wenn nicht wie üblich bei Presseautos die größtmögliche Reifen-Felgen-Kombination geordert worden wäre. Bei 305er-Hinterreifen kapituliert die eine oder andere Waschanlage.

Der Audi e-tron GT ist kein Gran Turismo aus dem Bilderbuch. Zwar ist ein Verbrauchswert von 22,6 kWh/100 km bei Tempo 130 = 370 km Reichweite sehr, sehr gut. Es ist wirklich erstaunlich, wie effizient und sparsam dieser leistungsstarke Allrad-Antriebsstrang ist. Unterstützt wurde diese Eigenschaft durch die besonders günstigen Rahmenbedingungen mit trockener Straße, nahezu Windstille und moderater Lufttemperatur um 20 Grad Celsius.

Audi e-tron GT außen (4 Bilder)

Der Audi e-tron GT kostet mindestens 99.800 Euro und basiert auf der J1-Plattform des Konzerns, auf die auch der Porsche Taycan setzt.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Die verwöhnte Premiumkundschaft wird auf der Langstrecke aber möglicherweise in Unmut verfallen, weil die Reichweite bei konsequentem Fahrstil auch auf 200 km reduziert werden kann. Das ist bei anderen batterieelektrischen Autos genauso – oder schlimmer. Echte Vielfahrer werden weiter zum Verbrennungsmotor wie zum Beispiel im Audi A7 greifen. Dort gibt es auch eine Heckklappe statt eines Stummeldeckels. Immerhin hat der e-tron GT vorne einen Frunk mit 85 Litern Volumen.

Der Durchschnittsverbrauch von 22,9 kWh auf 100 km (entsprechend 366 km) liegt auf dem Niveau weitaus kleinerer und schwächerer Elektroautos. Inklusive Ladeverlusten betrug der Verbrauch 26,2 kWh/100 km (WLTP-Angabe: 21,6 kWh/100 km). Im Überlandbetrieb waren es 18,3 kWh/100 km (= 457 km). Das Zusammenspiel aus 800-Volt-Plattform und geringer Stirnfläche für beste Aerodynamik (cW-Wert 0,24/cA-Wert 2,35) ist eben unschlagbar und setzt einen scharfen Kontrast zu den batterieelektrischen SUVs.

Das noch Bessere ist der Gegner des sehr Guten, und darum muss sich der Audi e-tron GT in der Liga, in der er spielt, auch Kritik gefallen lassen. Elektroautobesitzer wünschen sich zum Beispiel nicht nur beim Laden, sondern auch beim Fahren eine permanente SOC-Anzeige in Prozentpunkten. Anders als beim Porsche Taycan war auch keine Anzeige für die Batterietemperatur zu finden. Nachbessern, bitte! Das geht beim e-tron GT übrigens nicht over the air.

Audi e-tron GT Innenraum (5 Bilder)

Im Innenraum gibt der e-tron GT das markentypische Statement ab. Er wirkt noch hochwertiger als der Taycan.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Auch die Fahrassistenzsysteme sind gemessen am Premiumsegment nicht mehr auf dem neusten Stand. Das Lenkrad etwa erkennt den Fahrer nicht kapazitiv, also durch Berührung, sondern durch einen Momentsensor, was zu mehrfachen nervösen Fehlwarnungen führte. Auch das Wiederanfahren im Stop & Go-Verkehr hat, anders als der BMW iX3, noch ein Zeitlimit, und eine adaptive Rekuperation gibt es nicht. Die konventionelle Rekuperation wiederum hat mit 265 kW eine dermaßen hohe Leistung, dass die Bremsscheiben nur bei wirklich sehr schneller Autobahnfahrt oder im Gebirge arbeiten müssen.

Der e-tron GT ist die Audi-Interpretation der J1-Plattform. Er ist effizient, sparsam und leistungsstark. Das gilt für die Geschwindigkeit an der Ladesäule wie auch auf der Straße, wo der e-tron GT selbst als vermeintliche Einstiegsversion den meisten anderen mit Macht davonzieht. Was den Audi im Alltag ausmacht, sind die Präzision des Fahrens und das markentypische Gefühl im Innenraum. Der e-tron GT ist ein starkes Statement und ein Versprechen für zukünftige Elektroautos. Schließlich will Audi 2033 den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor einstellen. Nur ein echter Gran Turismo für die Langstrecke ist er nicht.

Der Hersteller hat die Kosten für die Überführung übernommen, der Autor jene für die Fahrenergie.

(mfz)